Für das "Österreich Journal" berichtet Margarethe Glac täglich von
den Highlights der Viennale
Wien (öj) - "Tonnerre" (Guillaume Brac, F 2013) ist einerseits das französische Wort für
Donner und andererseits heißt ein kleines Dorf im Norden der französischen Region Burgogne so, die Spielort
dieser Liebesgeschichte ist. Maxime kommt zum Arbeiten nach Tonnerre. Er ist ein 33-jähriger Musiker und kann
sich nur im Haus seines Vaters ausreichend konzentrieren, darüber hinaus braucht er einen Tapetenwechsel nach
einem Beziehungsaus. Umso überraschender fällt auf ihn die Liebe, als die blutjunge Mélodie in
seinem Haus erscheint, um ein Interview für die Dorfzeitung mit ihm zu machen.
Doch auch Melodie verarbeitet gerade eine langjährige Beziehung und als sie dann für drei Tage verreist,
kann sie sich der Versuchung nicht widersetzen. Maxime, der inzwischen Gefühle für Mélodie entwickelt
hat, kann nicht verstehen, warum sie seine Anrufe nicht beantwortet. Doch noch weniger kann er die böse Nachricht
verstehen, die er plötzlich von einer unbekannten Nummer bekommt.
Um sich mit Mélodie auszusprechen, entscheidet er sich für eine ebenso verrückte wie romantische
Tat, die schon sein Vater vor vielen, vielen Jahren begangen hat, nämlich Mélodie zu entführen.
Eine Waffe und Gewalt kommen ins Spiel.
Götz Spielmann erzählt in "Oktober November" (Ö 2013) die Geschichte einer Wirtsfamilie,
die in Annaberg eine Pension betreibt. Das Haus steht jedoch die meiste Zeit leer, denn die Saison ist schon so
gut wie vorbei und die Hausbewohner können sich nun anderen Dingen widmen. Der Vater ist herzkrank und erleidet
einen schweren Infarkt. Seine Tochter Verena, die mit ihrem Mann und dem kleinen Sohn den Betrieb führt, überlegt,
ob sie mit dem Landarzt, mit dem sie seit kurzem eine Affäre hat, nicht viel glücklicher wäre. Und
die zweite Tochter, Sonja, eine erfolgreiche Schauspielerin, kommt in das Haus, in dem sie aufgewachsen ist, um
den kranken Vater zu pflegen und ein Geheimnis zu erfahren, das ihr die Erklärung dafür liefert, warum
sie immer anders war, als der Rest der Familie.
"La Jalousie" (Philippe Garrel, F 2013) bedeutet Eifersucht. Diese steht im Mittelpunkt der Beziehung
zwischen vier Figuren. Louis ist ein Theaterschauspieler, der zwar wenig Geld hat, aber das tut, was er liebt.
Claudia, für die Louis seine Frau und Tochter verlässt, ist ebenfalls Schauspielerin, hatte aber seit
sechs Jahren kein Engagement mehr und durchlebt eine tiefe Krise. Clothilde ist die verlassene Ehefrau, die nun
ganz auf sich allein gestellt ist und alles tut, um ihrer kleinen Tochter ein liebevolles Zuhause zu bieten. Charlotte
liebt ihre beiden Eltern heiß, versteht sich aber auch mit Claudia überraschend gut. Doch Claudia will
unbedingt in ihrem Leben etwas verändern und ahnt wohl nicht, welch tragische Auswirkungen diese Veränderung
haben wird.
"El loro y el cisne" (Alejo Moguillansky, Argentinien 2013), deutsch "Der Papagei und der Schwan"
erzählt eine Liebesgeschichte, die sich während der Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm über Tanz
entwickelt. Loro ist Tontechniker, oft unterwegs und wird deswegen von seiner Freundin verlassen. Lu ist Tänzerin
in der Tanztheater-Gruppe Krapp. Als sie nach den Sommerferien wieder nach Buenos Aires kommt, ist sie hochschwanger,
über den Vater verliert sie jedoch kein einziges Wort.
"Centro histórico" (Aki Kaurismäki/Pedro Costa/Victor Erice/Manoel de Oliveira) ist eine
Auftragsarbeit über die portugiesische Stadt Guimarães, die letztes Jahr Kulturhauptstadt Europas war.
In vier Kurzfilmen soll das Städtchen in allen seinen Facetten vorgestellt werden, seine Tavernen, Treffpunkt
der Einheimischen, seine Geschichte, die Kolonialzeit, seine Produkte, die aufgelöste Textilfabrik, in der
seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele Generation von Einwohnern Arbeit fanden, und nicht zuletzt die Touristenattraktionen,
das historische Stadtzentrum, ein Werk des ältesten aktiven Regisseurs der Welt, Manoel de Oliveira.
In "La jungla interior" (E 2013) verbindet Juan Barrero drei unterschiedliche Epochen, die Ankunft von
Charles Darwin auf einer kleinen Insel im Jahr 1835, die Franco-Zeit, während der die Tante des Regisseurs
ihre Geliebte in einem Verlies versteckte, und die Gegenwart, genauer gesagt, die Schwangerschaft seiner Frau Gala
und die Geburt seines Kindes.
"Le passé" (F/Iran 2013) heißt das neueste Werk des oscargekrönten iranischen Regisseurs
Asghar Farhadi. Als Ahmad nach mehrjähriger Abwesenheit nach Paris zurückkehrt, um die Scheidungspapiere
zu unterschreiben, entdeckt er, dass Marie, seine Ex, ihr Leben völlig neu eingerichtet hat. Und auf den
ersten Blick scheint alles in perfekter Ordnung zu sein, aber eben nur auf den ersten Blick.
Der französische Regisseur Arnaud de Pallières sagte während des Publikumsgesprächs nach
der Vorstellung von "Michael Kohlhaas" (F/D 2013), einer recht frei gehaltenen Adaption der Novelle von
Heinrich von Kleist, dass Mads Mikkelsen wohl für diese Rolle geboren wurde, denn obwohl Mikkelsen seinen
dänischen Akzent nicht ganz verlieren konnte, was sich der Regisseur bis zum Schluss insgeheim erhoffte, gelang
es ihm, sowohl Stärke und Härte als auch Zärtlichkeit zu zeigen und mit wenigen Dialogen eine vielschichtige
und ausdrucksstarke Figur zu erschaffen. Michael Kohlhaas lebt zwar im 16. Jahrhundert, jedoch nicht in Deutschland
sondern in den französischen Sevennen und spricht auch Französisch. Die deutschen Wurzeln dieser Figur
werden durch einen kurzen Dialog im Gefängnis, der auf Deutsch stattfindet. Dieser Dialog ist übrigens
kein Zitat aus der Novelle.
"Återträffen" (S 2013) hat die 39-jährige schwedische Künstlerin Anna Odell gedreht,
nachdem sie erfahren hat, dass sie als einzige zu einem Klassentreffen nicht eingeladen wurde. Im Film stellt sie
sich vor, wie das Treffen wohl abgelaufen wäre, wenn man sie doch eingeladen hätte und spielt sich dabei
selbst. Im zweiten Teil dieses Experiments konfrontiert sie ihre ehemaligen Mitschüler mit diesem Werk und
der Vergangenheit, denn anscheinend hat sie, wie sie sagt, ganz andere Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit
als ihre damaligen Klassenkameraden.
"Die Schwärmer" (D 2013) ist nicht einfach eine Verilmung des Theaterstücks von Robert Musil.
Johann Pauline Maier arbeitet zwar mit Zitaten und erzählt eine Geschichte, die der im Text ziemlich ähnlich
sieht, doch geht es ihr hauptsächlich, wie Musil auch, um die Sprache, um Dinge, die sie selbst doch so gut
kennt, jedoch nie selbst auch nur annähernd so ausdrücken könnte wie es Musil getan hat. "Ich
war überwältigt von der Fülle der Weisheiten, an denen ich mich satt essen wollte in der Beschäftigung
mit ihnen", sagt sie.
"Blue Jasmine" (USA 2013) wird als Woody Allens bester Film seit "Match Point" bezeichnet.
Doch wenn auch die Geschichte brillant und die Pointe überraschend ist, so ist doch Cate Blanchet in ihrer
Rolle als Jasmine so überzeugend, dass man kaum den Blick von ihr abwenden kann. Es ist die Geschichte der
Gattin eines Multimillionärs, eines "Investment-Genies", wie er von vielen bezeichnet wird, der
jedoch aufgrund seiner finanziellen Machenschaften plötzlich verhaftet wird und schließlich Selbstmord
begeht. Jasmine ist auf einmal völlig auf sich allein gestellt, denn der Staat hat das ganze Vermögen
konfisziert. In mehreren Rückblenden wird die Vorgeschichte erzählt, doch warum Hal (Alec Baldwin) eigentlich
überhaupt verhaftet wird, erfährt das Publikum erst zum Schluss.
Der diesjährige Überraschungsfilm der Viennale ist eine Österreich-Premiere. Traditionell am zweiten
Festivalsonntag sah das Publikum im ausverkauften Gartenbaukino Jim Jarmuschs "Only lovers left alive"
(USA 2013) mit Tilda Swinton, Tom Hiddelston, John Hurt und Mia Wasikowski in den Hauptrollen. Die vier sind Vampire
in einer von Zombies dominierten und in den Abgrund driftenden Welt von heute. Sie erinnern sich aber auch an bessere
Zeiten, vor Jahrhunderten, wenn nicht sogar Jahrtausenden, denn Adam und Eve haben ein gutes Gedächtnis und
erzählen gerne. Jarmusch gibt sich nicht mit diesen zwei Namen zufrieden, auch Dr. Faust und Christopher Marlowe,
neben vielen anderen bekannten Namen, begegnen wir.
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