Demokratiewerkstatt: März 1938 mit den Augen eines Zeitzeugen
Gideon Eckhaus: "Eine Demokratie ist nicht selbstverständlich, man muss um sie
kämpfen!"
Wien (pk) - Der fünfzehnjährige Gideon Eckhaus betete gerade in der Synagoge, als er die Nachricht
vom Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland erfuhr. Der Gottesdienst wurde mit der Nachricht unterbrochen,
dass Hitler einmarschiert war. 75 Jahre später stand Eckhaus nun in der Demokratiewerkstatt des Parlaments
vor den SchülerInnen der Klasse 6A des Evangelischen Gymnasiums Wien aus dem 11. Bezirk, um den jungen Leuten
in authentischen Erzählungen genau jene Geschehnisse während der Märztage 1938 begreifbar zu machen,
die sein Leben und das tausend anderer auf menschenunwürdige Weise veränderte.
"Es war ein Freitag, ein ziemlich kalter Freitag", begann Eckhaus in detailgenauen Bildern seine persönliche
Geschichte über den immer stärker werdenden Antisemitismus in den dreißiger Jahren, die Annexion
Österreichs im März 1938, den Tod seines Vaters in Auschwitz und seine Flucht als Jugendlicher aus seiner
Heimat zu schildern. Aus dem frühen Plan, im Rahmen der Jugend-Alijah nach Palästina auszureisen, sei
eine Flucht vor der Verfolgung der Nationalsozialisten geworden, umriss Eckhaus. Als er damals flüchtete,
war er so alt wie die SchülerInnen, die vor ihm saßen und ihm zuhörten. "Plötzlich waren
alle Menschen und Häuser mit einem Hakenkreuz gekennzeichnet", erinnerte sich der Zeitzeuge und erzählte
außerdem von der Arisierung der Firma seines Vaters, seiner Angst in der Schule, als die jüdischen Kinder
von den nicht-jüdischen getrennt wurden und den willkürlichen Demütigungen und Repressionen auf
offener Straße. "Mit Juden will ich nichts mehr zu tun haben", war dabei einer der Sätze jener
Zeit, die ihm besonders in Erinnerung geblieben seien.
Ausführlich widmete sich Eckhaus auch Fragen der SchülerInnen im Zusammenhang mit Grund- und Menschenrechten.
"Wir hatten nach dem Anschluss überhaupt keine Rechte. Wir konnten nicht ja und wir konnten nicht nein
sagen", berichtete er. Deshalb sei es heute auch so wichtig, nach wie vor für eine Demokratie zu kämpfen,
denn diese sei nicht selbstverständlich, mahnte Eckhaus und forderte die jungen Menschen in einer eindringlichen
Botschaft auf, alles zu tun, um die Welt zu verändern.
Gideon Eckhaus erhielt im Juni dieses Jahres das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
Der Vorsitzende der Israelisch-Österreichischen Gesellschaft Tel Aviv war seit 1994 maßgeblich an den
Restitutionsverhandlungen mit der österreichischen Regierung beteiligt.
Parlament stellt sich historischer Bildungsarbeit
Durch die authentischen Schilderungen von ZeitzeugInnen der Märztage 1938 wird im Rahmen der Workshops "Annexion
1938" Jugendlichen die Möglichkeit gegeben, sich aktiv mit den Geschehnissen und Folgen der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
Die Historikerin Ulrike Felber aus der Parlamentsdirektion hilft den Jugendlichen dabei, die Erzählungen der
ZeitzeugInnen in einen historischen Kontext zu betten. Die Workshops richten sich an SchülerInnen ab der 9.
Schulstufe, die das Thema Nationalsozialismus im Unterricht bereits behandelt haben. Neben anderen Jugendprojekten
leistet das Parlament damit einen wichtigen Beitrag zur historischen Bildungsarbeit in Österreich. Bislang
trafen die jungen Menschen im Rahmen der Workshops unter anderen auf die Widerstandskämpferin Käthe Sasso,
den ehemaligen Chefredakteur der "Jerusalem Post" Ari Rath und den Präsidenten der israelitischen
Kultusgemeinde Salzburg Marko Feingold. Die Demokratiewerkstatt plant im Rahmen dieses Projekts weitere ZeitzeugInnen
einzuladen.
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