So vereinnahmten die Nationalsozialisten die Wirtschaft für ihre Ziele
Salzburg (lk) - Knapp 200 Interessierte kamen am 07.11. zum jüngsten Termin der Vortragsreihe im Zuge
des mehrjährigen Projekts „Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“. Zum Thema „Nazifizierung des reginalen
Wirtschaftssystems, Machtstrukturen in der Wirtschaft“ referierte der Wirtschaftsgeschichtler Prof. Dr. Mag. Christian
Dirninger.
Ein wesentlicher Faktor der Etablierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems auf gesamtstaatlicher wie
auf regionaler Ebene war die sukzessive Vereinnahmung, Kontrolle und Instrumentalisierung (= „Nazifizierung“) der
wirtschaftlichen Abläufe und Zusammenhänge. In der damit einhergehenden Lenkung der regionalen Wirtschaftsentwicklung
und des regionalen Wirtschaftssystems konkretisiert sich eine spezifische Ausprägung von Machtstrukturen im
NS-System.
Diese wird für die Stadt Salzburg im Bereich der Wirtschaftsorganisationen, im Unternehmensbereich, im Finanzsystem
und in der Regulierung und Kontrolle der wirtschaftlichen Abläufe und Zusammenhänge untersucht und dargestellt.
Einen speziellen Aspekt des Themas stellt die Wehrmacht als Wirtschaftsfaktor dar.
Dabei wird von vier Dimensionen der „Nazifizierung“ des regionalen Wirtschaftssystems ausgegangen: Die ideologische
Dimension (Wirtschaft im Dienst der „Volksgemeinschaft“). Die systemische Dimension (Einbeziehung der lokalen Wirtschaft
in das NS-Wirtschaftssystem in funktioneller Hinsicht). Die personale Ebene (Besetzung zentraler Schaltstellen
im wirtschaftspolitischen System). Die institutionelle Ebene (Durchdringung und Kontrolle der Organisationen der
Wirtschaft)
Konkret erfolgte die „Nazifizierung“ v.a. in 7 Bereichen:
- Betrieblicher Bereich
- Eigentumsverhältnisse
- Überbetrieblicher Bereich
- Regionale Geld- und Kreditwirtschaft
- Kommunale Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftspolitik
- Wehrmacht als Wirtschaftsfaktor
- Lenkung und Regulierung der regionalen Marktverhältnisse
Im betrieblichen Bereich ist vor allem die Einführung der nationalsozialistischen Betriebsordnung maßgeblich,
in der der Unternehmer zum „Führer des Betriebes“ und die Arbeiter und Angestellten zur „Gefolgschaft“ werden,
die gemeinsam der „Volksgemeinschaft“ und damit den politischen Zielen des Regimes zu dienen hatten.
Bei den Eigentumsverhältnissen sind vor allem die „Arisierungen“ zu nennen.
Der überbetriebliche Bereich betrifft insbesondere die Integration der Wirtschaftsorganisationen (v.a. die
Handelskammer => „Gauwirtschaftskammer“) in die nationalsozialistische „Kommandowirtschaft“. Eine Schlüsselfigur
dabei, auch hinsichtlich der Verflechtung mit Partei und staatlichen Funktionen, war Dr. Erich Gebert (Geschäftsführer,
Präsident der Gauwirtschaftskammer, Gauwirtschaftsbeauftragter, Gaurat, Beauftragter für die Behandlung
aller Fragen der Dienst- und Arbeitszeit in der Privatwirtschaft usw.)
Wesentlich bei der Geld- und Kreditwirtschaft ist deren Einbindung in die nationalsozialistische „geräuschlose“
Rüstungs- und Kriegsfinanzierung. Dabei wurde ein großer Teil der Spareinlagen beim Reichshaushalt veranlagt
und damit direkt in Ausgaben des Reiches übergeleitet. Eine zentrale Bedeutung hatte die Salzburger Sparkasse
und die Bausparkasse Wüstenrot.
Die nach dem Führerprinzip organisierte kommunale Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftspolitik (Oberbürgermeister
Anton Giger) war als wesentlicher Faktor der „zivilen“ Aufrüstung, als Auftraggeber für die Wirtschaft
und als Regulierungsinstanz der Wirtschaft relevant. Ihre finanzielle Basis wurde durch Beiträge des Reiches
zur Gemeindeentschuldung, Reichszuschüsse und Reichsdarlehen sowie die Einführung des deutschen Steuersystems
(Bürgersteuer, Gewerbesteuer, Lohnsummensteuer, Getränkesteuer) wesentlich gestärkt.
Die Wehrmacht (Salzburg wird Sitz des Wehrkreiskommandos XVIII) wird als Wirtschaftsfaktor vor allem als Auftraggeber
Nachfrager für die Bauwirtschaft bedeutsam. Rüstungsbetriebe gibt es in der Stadt Salzburg nur wenige
(Oberascher, Kasern). Zunehmend kommt es zu Konkurrenz- bzw. Konfliktsituationen durch die steigende Beanspruchung
von Ressourcen durch die Wehrwirtschaftsbereiche.
Die Lenkung und Regulierung der regionalen Marktverhältnisse kommt v.a. in zweierlei Hinsicht zum Tragen.
Zum einen durch Steuerung der Nachfrage, insbesondere in den beiden regionalen Leitsektoren Bauwirtschaft und Fremdenverkehr,
wobei sich mit zunehmendem Kriegsverlauf eine immer deutlichere Diskrepanz zwischen Ansprüchen bzw. Erwartungen
einerseits und der Realität andererseits ergibt. Zum anderen im, während des Krieges immer rigoroser
werdenden System der Preisregulierung, Preiskontrolle und Bewirtschaftung
Ao. Univ. Prof. Mag. Dr. Christian Dirninger, geb. Am 1. August 1952 in Bad Aussee. Zuständig für
Wirtschaftsgeschichte am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre:
Geschichte der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Geschichte der Wirtschaftstheorie, Geschichte der Europäischen
Wirtschaftsintegration, Geschichte der Geld- und Kreditwirtschaft, Regionale Wirtschaftsgeschichte.
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