Brain Drain in die USA

 

erstellt am
06. 11. 13
14.00 MEZ

Attraktivität akademischer Karrieren im Ländervergleich - Österreich im europäischen Mittelfeld
Wien (wifo) - Junge, talentierte Wissenschafter und Wissenschafterinnen sind, wie viele Studien zeigen, überdurchschnittlich mobil und arbeiten oft an ausländischen Forschungseinrichtungen. Diese hohe Mobilität verläuft aber häufig einseitig in Richtung der prestigereichen Universitäten in den USA. Dieser Brain Drain wirkt sich nachteilig auf Europas Forschungsleistungen aus. Nicht zuletzt bestätigen das die Ergebnisse unterschiedlicher Universitätsrankings. Weil wissenschaftsbasierte Innovationen an Bedeutung gewinnen, leiden mittelfristig auch die Innovationskraft der Unternehmen und die Fähigkeit der europäischen Wirtschaft, zur Lösung von Problemen wie Klimawandel oder Ressourcenknappheit beizutragen. Eine Untersuchung des WIFO zeigt Beweggründe für diese einseitige Mobilität auf, die auch für Österreich relevant sind.

"Bisher gab es kaum empirische Evidenz zu den Beweggründen, an einer Forschungsuniversität in den USA statt in Europa oder Österreich wissenschaftliche Karriere zu machen", führt WIFO-Mitarbeiter Jürgen Janger aus. Neue Studien im Rahmen des vom WIFO geführten europäischen Forschungsprojektes "WWWforEurope - Welfare, Wealth and Work for Europe" werfen nun ein neues Licht auf die Mobilität talentierter, junger Wissenschafter und Wissenschafterinnen. Mehr als 10.000 Forscher und Forscherinnen weltweit nahmen an einem Experiment zur Arbeitsplatzwahl teil, in dem sie sich zwischen typischen akademischen Arbeitsplätzen entscheiden konnten. Anhand der Ergebnisse kann berechnet werden, wie sich die Eigenschaften eines Arbeitsplatzes auf die Wahrscheinlichkeit der Arbeitsplatzwahl auswirken.

Zwei Arten von Arbeitsplätzen standen zur Auswahl: einer für universitäre Forscher und Forscherinnen am Anfang ihrer Karriere, etwa entsprechend einer Assistenzprofessur, und einer für Forscher und Forscherinnen am Höhepunkt ihrer Karriere, entsprechend einer Professur. Nach den Ergebnissen finden junge Wissenschafter und Wissenschafterinnen vor allem Arbeitsplätze attraktiv, die schon zu Beginn eine durchgängige Karriereperspektive versprechen. Diese Perspektive sollte nur von einer positiven Evaluierung der Forschungsqualität abhängen.

Die Forscher und Forscherinnen ziehen einen solchen Arbeitsplatz, der dem Modell des tenure track in den USA entspricht, mit einer um 115% größeren Wahrscheinlichkeit einer von vornherein befristeten Anstellung vor. Auch die Qualität der Fachkollegen und Fachkolleginnen (Wahrscheinlichkeit der Arbeitsplatzwahl steigt um 82%) und die Perspektive auf Autonomie in der Forschung sind wichtig (76%), ebenso wie das Gehalt und die Verfügbarkeit von Drittmitteln (wie sie z. B. von FWF oder ERC gewährt werden). Wissenschafter und Wissenschafterinnen, die sich um einen Arbeitsplatz als Full Professor bewerben, richten ihre Entscheidung vor allem an der Qualität ihrer potentiellen Kollegen, dem Gehaltsniveau und der Verfügbarkeit von Drittmitteln aus.

Die Lebensqualität ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Arbeitsplatzwahl: Sie darf nur nicht schlechter sein als am gegenwärtigen Wohnsitz. Eine bessere Lebensqualität hat aber fast keine Auswirkungen auf die Arbeitsplatzwahl. Arbeitsplätze mit einer guten Balance zwischen Lehre und Forschung (etwa 30 : 70) sind attraktiver als reine Forschungstätigkeiten. Eine Reihe von Eigenschaften haben geringere Effekte auf die Arbeitsplatzwahl, sind aber statistisch signifikant und können bei sehr ähnlichen Arbeitsplätzen entscheidend sein, etwa der Zeitaufwand für administrative Tätigkeiten.

Die so ermittelte Attraktivität von Arbeitsplätzen an Forschungsuniversitäten wurde für elf ausgewählte Länder verglichen. Aus den einzelnen Kategorien wurde ein zusammengesetzter Indikator berechnet, der neben dem Mittelwert auch eine statistische Schwankungsbreite zeigt.

Die USA schneiden in diesem Vergleich am besten ab, vor einer Gruppe europäischer Länder mit bekannt forschungsstarken Universitäten: Niederlande, Schweden, Großbritannien und Schweiz. Österreich befindet sich gemeinsam mit Deutschland und Frankreich im Mittelfeld.

In den USA verfügen Forschungsuniversitäten über einen dreifachen Vorteil, der kurzfristig nur schwer zu kompensieren ist: attraktive Gehälter, gute Arbeitsbedingungen und prestigereiche Fachkollegenschaft. Insbesondere der letzte Faktor erschwert den Versuch, zur Exzellenz der USA aufzuschließen, da hier eine Pfadabhängigkeit der Universitätsentwicklung besteht: Sind erst einmal viele gute Wissenschafter und Wissenschafterinnen an einer Universität, so zieht dies weitere an.

Darüber hinaus ist zwar der Wettbewerb um Forschungsgelder in den USA sehr intensiv, aber das Finanzierungsniveau ist viel höher als in Europa. Viele europäische Universitätssysteme geben ihren jungen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen anders als in den USA relativ wenig Forschungsautonomie oder bieten Arbeitsplätze ohne durchgängige Karriereperspektive an. Wo der Anteil unbefristeter Stellen hoch ist, ist die Vergabe solcher Stellen oft nicht rein meritokratisch. Oft ist ein englischer Unterricht nicht möglich, sodass der Pool an potentiellen Kandidaten und Kandidatinnen für eine Stelle national beschränkt bleibt; englischsprachige Universitäten können hingegen weltweit rekrutieren. In vielen europäischen Ländern könnte daher eine Reform des universitären Karrieresystems die internationale Attraktivität der Arbeitsplätze steigern. "Österreich hätte insbesondere Potential, einer höheren Zahl junger Wissenschafter und Wissenschafterinnen als bisher unbefristete und durchgängige Karrieren bis zur Professur anzubieten, vorausgesetzt die Forschungsleistung wird positiv evaluiert", meint Jürgen Janger vom WIFO. "Gesetzlich müssen derzeit Full Professors gesondert berufen werden, das ist gegenüber den USA ein Nachteil, wo schon die Assistenzprofessur die Aussicht auf den Aufstieg bis zur Professur bietet."

Dieses Forschungsprojekt erhielt finanzielle Unterstützung von der Europäischen Kommission, GD Forschung und Innovation, N-RTD-2010-S236-359211, und vom 7. Rahmenprogramm FP7/2007-2013 mit der Nummer 290647.

 

 

 

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