Brüssel (ec) - Die wichtigste Herausforderung für die europäische Wirtschaft liegt zum jetzigen
Zeitpunkt in der Festigung der konjunkturellen Erholung. Zu diesem Fazit kommt die Kommission in ihrem am 13.11.
angenommenen diesjährigen Jahreswachstumsbericht. Mit der Annahme des Berichts wird die vierte Runde der als
„europäisches Semester“ bekannten wirtschaftspolitischen Koordinierung eingeleitet. Die Rahmenbedingungen
sind günstig, da das Wachstum allmählich zurückkehrt und die Mitgliedstaaten bei der Korrektur der
Ungleichgewichte, die sich vor der Krise entwickelt hatten, Fortschritte erzielen.
Deshalb behält die Kommission ihre ausgewogene Strategie zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung
und die fünf festgelegten Prioritäten unverändert bei:
- Inangriffnahme einer differenzierten, wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung
- Wiederherstellung einer normalen Kreditvergabe an die Wirtschaft
- Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit für heute und
die Zukunft
- Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Bewältigung der sozialen Folgen
der Krise
- Modernisierung der öffentlichen Verwaltung
Präsident Barroso erklärte: „Europa hat die konjunkturelle Talsohle durchschritten. Die harte Arbeit
der EU zeigt erste Ergebnisse , und das Wachstum kehrt allmählich zurück. Im Jahreswachstumsbericht 2014
wird dargelegt, wo wir die erforderlichen Reformen mit mehr Entschiedenheit angehen müssen, um eine dauerhafte
und beschäftigungswirksame wirtschaftliche Erholung zu gewährleisten.“
Der Jahreswachstumsbericht legt dar, wie die Mitgliedstaaten sich an auf vor kurzem intensivierten wirtschaftspolitischen
Koordinierungsprozess, das „Europäische Semester“, eingestellt haben und auf der Grundlage der gemeinsamen
Regeln besser zusammenarbeiten.
Die Koordinierung der Haushaltspolitik im Euro-Währungsgebiet ist dieses Jahr enger als je zuvor: Die Kommission
wird zum ersten Mal zu den nationalen Haushaltsplänen Stellung nehmen, bevor die nationalen Parlamente die
Haushalte verabschieden. Darüber hinaus wird sie einen Überblick über die Gesamtlage der öffentlichen
Haushalte in Europa vorlegen. Die Ergebnisse ihrer Analysen werden am 15. November veröffentlicht.
Jahreswachstumsbericht: Bestandsaufnahme der erzielten Fortschritte
Die Mitgliedstaaten haben bei allen fünf von der Kommission im Jahr 2013 festgelegten Prioritäten Fortschritte
erzielt. Die Kommission schlägt jetzt vor, diese Prioritäten beizubehalten, wenn auch mit unterschiedlicher
Schwerpunktsetzung, um den sich wandelnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der EU und weltweit Rechnung zu
tragen.
- Haushaltskonsolidierung: Die Kommission hat substanzielle Fortschritte festgestellt.
Das durchschnittliche Haushaltsdefizit in der EU, das 2009 noch einen Höchststand von fast 7 % aufgewiesen
hatte, ist um nahezu die Hälfte zurückgegangen. Die Staatsschulden sind jedoch nach wie vor sehr hoch
und dürften 2014 mit fast 90 % des BIP ihren Höchststand erreichen, bevor ein allmählicher Rückgang
erwartet werden kann. Frühzeitiges Handeln hat den Mitgliedstaaten den Spielraum eröffnet, das Konsolidierungstempo
zu drosseln und das Augenmerk mehr auf die Qualität der öffentlichen Ausgaben und die Modernisierung
der Verwaltungen auf allen Ebenen zu richten. Länder mit einem größeren haushaltspolitischen Spielraum
sollten private Investitionen und Konsum fördern; langfristige Investitionen in Bildung, Forschung und Innovation,
Energie und Klimaschutz sollten von Kürzungen ausgenommen werden. Ferner sollte die Steuerlast vom Faktor
Arbeit hin auf die Besteuerung von Verbrauch, Eigentum und Umweltbelastungen umgelenkt werden.
- Wiederherstellung einer normalen Kreditvergabe: Bei der Gesundung des Finanzsektors
sind Fortschritte zu verzeichnen, und die Lage auf den Finanzmärkten hat sich seit Mitte 2012 beträchtlich
entspannt. Die Maßnahmen der EU zur Schaffung einer Bankenunion werden die Risikomanagementfähigkeiten
der Banken in Zukunft verbessern. Dennoch besteht kurzfristig zusätzlicher Handlungsbedarf, um die hohe private
Verschuldung zu reduzieren (beispielsweise durch Einführung oder Verbesserung des Rechtsrahmens für Unternehmens-
und Privatinsolvenzen), die Banken auf neue Kapitalanforderungen und Stresstests vorzubereiten und den Unternehmen
den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern.
- Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit: Europaweit verlagern sich infolge der
Krise die Gewichte der Wirtschaftstätigkeit in Richtung auf ein stärker exportgetragenes Wachstum. Allerdings
reichen die bisherigen Fortschritte bei der Öffnung von Produkt- und Dienstleistungsmärkten für
den Wettbewerb nicht aus. Dies gilt insbesondere für die Energiemärkte und für reglementierte Berufe.
Auch die Forschungssysteme müssen modernisiert werden.
- Arbeitslosigkeit und soziale Entwicklungen: Die Mitgliedstaaten haben bei der
Modernisierung ihrer Arbeitsmärkte Fortschritte erzielt, was im Laufe der Zeit dazu führen dürfte,
dass mehr Menschen ins Erwerbsleben integriert werden können. Nunmehr sollte das Augenmerk auf die Intensivierung
der aktiven Unterstützung und Qualifizierung Arbeitsloser – auch durch Verbesserungen bei den Arbeitsverwaltungen
und die Einführung von Jugendgarantien – und die Modernisierung des Bildungswesens gelegt werden. Ferner sollten
die Mitgliedstaaten die Lohnentwicklung beobachten, um sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Binnennachfrage
zu fördern, und dafür Sorge tragen, dass die schwächsten Bevölkerungsgruppen nicht durch die
Maschen des sozialen Netzes fallen.
- Öffentliche Verwaltung: Mehrere Mitgliedstaaten bemühen sich um Effizienzfortschritte
in ihrem öffentlichen Sektor, unter anderem indem sie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen
verbessern. Die öffentlichen Dienstleistungen sollten verstärkt online abgewickelt und Bürokratie
abgebaut werden.
Der Jahreswachstumsbericht enthält auch Empfehlungen zur Vertiefung des Europäischen Semesters. Die Mitgliedstaaten
sollten sich die länderspezifischen Empfehlungen mehr zu eigen machen und beispielsweise die nationalen Parlamente,
die Sozialpartner und die Bürger stärker in den Prozess einbinden, um Akzeptanz und Verständnis
für die Reformen zu fördern. Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten der Koordinierung
wichtiger Reformen – insbesondere auf den Arbeits- und Produktmärkten – vor Verabschiedung auf nationaler
Ebene mehr Zeit widmen. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten die länderspezifischen Empfehlungen, die
jedes Frühjahr an sie gerichtet werden, besser umsetzen. Die Kommission wird dem Europäischen Rat für
seine Dezembertagung entsprechende Vorschläge unterbreiten.
Warnmechanismus-Bericht: Wege zu einem ausgewogenen Aufschwung
Der Warnmechanismus-Bericht 2014, mit dem der jährliche Zyklus der Verfahren zur Überwachung makroökonomischer
Ungleichgewichte eingeleitet wird, enthält eine objektive Analyse der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten
auf der Grundlage eines Scoreboards mit Indikatoren für die interne und externe Wettbewerbsfähigkeit.
Im diesjährigen Warnmechanismus-Bericht stellt die Kommission fest, dass mehrere Mitgliedstaaten bei der Reduzierung
ihres Leistungsbilanzdefizits Fortschritte erzielen und Verluste an Wettbewerbsfähigkeit wettmachen. Allerdings
sind in den meisten verschuldeten Ländern weitere Fortschritte erforderlich, um die hohe Verschuldung und
den Netto-Auslandsvermögensstatus anzugehen, wohingegen einige Länder weiterhin hohe Leistungsbilanzüberschüsse
aufweisen, die auf eine möglicherweise unzureichende Ersparnisbildung und Investitionstätigkeit und die
Notwendigkeit einer Stärkung der Binnennachfrage hindeuten.
Im Warnmechanismus-Bericht wird eine vertiefte Prüfung der wirtschaftlichen Entwicklung in 16 Mitgliedstaaten
empfohlen, die mit unterschiedlichen Herausforderungen und potenziellen Risiken konfrontiert sind, die auch auf
die übrigen Mitgliedsländer des Euro-Währungsgebiets und der EU ausstrahlen könnten. Dem Ergebnis
dieser Prüfungen, in denen bewertet wird, ob übermäßige Ungleichgewichte bestehen oder bereits
früher festgestellte Ungleichgewichte fortbestehen oder abgebaut werden, greift der Warnmechanismus-Bericht
nicht vor.
- Im Falle von Spanien und Slowenien waren schon bei der vorangegangenen vertieften
Prüfung im vergangenen April übermäßige Ungleichgewichte festgestellt worden. In den anstehenden
Prüfungen soll bewertet werden, ob die übermäßigen Ungleichgewichte fortbestehen oder abgebaut
werden, und inwieweit die politischen Maßnahmen dieser Länder zum Abbau von Ungleichgewichten beitragen.
- Im Falle Frankreichs, Italiens und Ungarns waren ebenfalls bei der vorangegangenen
vertieften Prüfung vom vergangenen April übermäßige Ungleichgewichte festgestellt worden.
Damals hatte die Kommission energisches politisches Handeln angemahnt. In diesen Ländern muss geprüft
werden, ob die Ungleichgewichte fortbestehen.
Im Falle der anderen Mitgliedstaaten, in denen zuvor bereits Ungleichgewichte festgestellt wurden (Belgien,
Bulgarien, Dänemark, Malta, Niederlande, Finnland, Schweden und das Vereinigte Königreich), werden die
vertieften Prüfungen helfen zu bewerten, wo Ungleichgewichte fortbestehen und wo sie beseitigt wurden. Da
Ungleichgewichte erst im Anschluss an die im Prüfverfahren durchgeführte eingehende Analyse festgestellt
werden, sollte dementsprechend auch der Schluss, dass ein Ungleichgewicht behoben ist, erst gezogen werden, nachdem
unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren eine weitere vertiefte Prüfung durchgeführt wurde.
Auch für Deutschland und Luxemburg werden vertiefte Prüfungen vorbereitet, um die außenwirtschaftliche
Position dieser Länder besser zu prüfen, interne Entwicklungen zu analysieren und zu bewerten, ob in
diesen Ländern Ungleichgewichte bestehen.
Schließlich ist auch im Falle des neuen EU-Mitgliedmitgliedstaats Kroatien eine vertiefte Prüfung erforderlich,
um Art und potenzielle Risiken seiner außenwirtschaftlichen Position, die Handelsleistung, die Wettbewerbsfähigkeitsentwicklung
sowie die binnenwirtschaftlichen Entwicklungen zu verstehen.
Entwurf des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts: Schwerpunkt auf Beschäftigung und soziale Entwicklungen
Wie in dem Jahreswachstumsbericht beigefügten Entwurf des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts festgehalten,
sprechen ermutigende Anzeichen dafür, dass die Arbeitslosigkeit nicht länger zunimmt und die Mitgliedstaaten
im vergangenen Jahr bei ihren Arbeitsmarktreformen vorangekommen sind. Dennoch verharrt die Arbeitslosigkeit –
und insbesondere die Jugend- und die Langzeitarbeitslosigkeit – immer noch auf einem unannehmbar hohen Niveau.
Nach den im erstmalig in diesem Bericht enthaltenen Scoreboard beschäftigungs- und sozialpolitischer Schlüsselindikatoren
enthaltenen Daten gibt es nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten (insbesondere
des Euro-Währungsgebiets) in Bereichen wie Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Haushaltseinkommen, soziale
Ungleichheiten und Armutsquote.
Es muss daher weiterhin alles dafür getan werden, die Arbeitsmärkte robuster zu machen. Darüber
hinaus wird es wichtig sein, die Schaffung von Arbeitsplätzen in wachstumsstarken Wirtschaftszweigen zu fördern,
soziales Gefälle und Armut langfristig abzubauen und zielgerichtete soziale Investitionen zu tätigen.
Bericht über die Integration des Binnenmarktes: Für ein besseres Funktionieren
Dieser zweite jährliche Bericht der Kommission über die Integration des Binnenmarktes enthält eine
Bestandsaufnahme der Binnenmarktintegration in den Bereichen mit dem höchsten Wachstumspotenzial. Dem Bericht
zufolge sind zwar Fortschritte bei der Reform der Finanzmärkte, der digitalen Wirtschaft und des Verkehrssektors
zu verzeichnen, aber für die Belebung der Investitionstätigkeit, die Schaffung von Arbeitsplätzen
und die Verbesserung der Verbraucherzufriedenheit muss in diesen Bereichen noch mehr getan werden. Besonders wenig
Fortschritte sind bei der Öffnung der Energiemärkte festzustellen: Vierzehn Mitgliedstaaten haben das
dritte Energiepaket der EU noch nicht ordnungsgemäß in innerstaatliches Recht umgesetzt, obwohl die
Frist schon seit zwei Jahren verstrichen ist. Außerdem macht der Bericht deutlich, dass einige Mitgliedstaaten
die Dienstleistungsrichtlinie noch vollständig umsetzen müssen, von der sich die Kommission einen Wachstumsbeitrag
von bis zu 2,6 % des BIP in den nächsten 5-10 Jahren verspricht.
Nächste Schritte
Am Freitag, dem 15. November, wird die Kommission Stellungnahmen zu den Übersichten der 13 Mitgliedstaaten
des Euro-Währungsgebiets über ihre Haushaltsplanungen vorlegen (davon ausgenommen bleiben die 4 Länder,
die ein makroökonomisches Hilfsprogramm durchlaufen) und dem Rat Stellungnahmen zu den von 5 Mitgliedstaaten
des Euro-Währungsgebiets im Rahmen des Defizitverfahrens vorgelegten Wirtschaftspartnerschaftsprogrammen vorschlagen.
Darüber hinaus wird sie einen Überblick über die Gesamthaushaltslage im Euro-Währungsgebiet
vorlegen und über die im Defizitverfahren ergriffenen Maßnahmen jener Mitgliedstaaten, die nicht dem
Euro-Währungsgebiet angehören, berichten.
Der Jahreswachstumsbericht wird auf Ministerratsebene erörtert und von den Staats- und Regierungschefs auf
dem Märzgipfel bestätigt. Die Kommission sieht auch dem Beitrag des Europäischen Parlaments erwartungsvoll
entgegen.
Der Warnmechanismus-Bericht wird mit den Finanzministern und den Staats- und Regierungschefs im Dezember erörtert,
die gemeinsame festlegen werden, in welchen Hauptbereichen die Wirtschaftspolitik und die Reformen weiter koordiniert
werden müssen. Die Kommission wird die vertieften Prüfungen für die 16 im Warnmechanismus-Bericht
genannten Länder vornehmen und im Frühjahr 2014 veröffentlichen.
Hintergrund
Das 2010 eingeführte Europäische Semester stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten ihre haushalts- und
wirtschaftspolitische Planung zu bestimmten, über das ganze Jahr verteilten Zeitpunkten mit den EU-Partnern
erörtern. Auf diese Weise wird ihnen ermöglicht, zu den Planungen anderer Mitgliedstaaten Stellung zu
nehmen, und die Kommission wird in die Lage versetzt, zeitnahpolitische Leitlinien vorzulegen, bevor auf nationaler
Ebene Entscheidungen fallen. Die Kommission beobachtet außerdem, ob die Mitgliedstaaten auf die in der langfristigen
EU-Wachstumsstrategie „Europa 2020“ festgelegten Ziele für Beschäftigung, Bildung, Innovation, Klimaschutz
und Armutsminderung hinarbeiten.
Der Zyklus beginnt alljährlich (siehe nachstehende Grafik) mit dem Jahreswachstumsbericht der Kommission im
November (allgemeine wirtschaftspolitische Prioritäten der EU) und Stellungnahmen zu den Haushaltsübersichten
der Mitglieder des Euro-Währungsgebiets, die den Mitgliedstaaten politische Orientierung für das Folgejahr
bieten. Im Frühjahr werden länderspezifische Empfehlungen ausgesprochen, mit denen den Mitgliedstaaten
konkrete Ratschläge zu tiefgreifenderen Strukturreformen angeboten werden, die oft nicht innerhalb eines Jahres
vollständig umgesetzt werden können.
Die haushaltspolitische Überwachung im Euro-Währungsgebiet wird gegen Jahresende intensiviert, wenn die
Mitgliedstaaten Übersichten über ihre Haushaltsplanung vorlegen, die von der Kommission bewertet und
anschließend von den Finanzministern des Euro-Währungsgebiet erörtert werden. Die Kommission bewertet
auch den haushaltspolitischen Kurs im Euro-Währungsgebiet insgesamt.
Die Kommission verfolgt die Umsetzung der Prioritäten und Reformen über das gesamte Jahr hinweg und legt
dabei ihr Augenmerk auf das Euro-Währungsgebiet und die Mitgliedstaaten mit einer schwierigen Haushalts- oder
Finanzlage.
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