Das Protein Spastin unterbricht die Versorgungsleitungen im Inneren der Nervenzellen
Bonn (idw) - Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat dem Ursachenbild der Alzheimer-Erkrankung einen
weiteren Mosaikstein hinzugefügt. Demnach spielt ein Protein mit dem Namen „Spastin“ eine bislang ungeahnte
Rolle: Spastin kann die Versorgungsleitungen im Inneren von Nervenzellen kappen, infolgedessen sterben sie ab.
Daher könnten Wirkstoffe, die dieses Protein gezielt eindämmen, den Krankheitsverlauf möglicherweise
günstig beeinflussen.
An den Untersuchungen waren Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE),
Standort Bonn, des Forschungszentrums caesar sowie des Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung, Außenstelle
Hamburg, federführend beteiligt. Die Studie ist im EMBO Journal erschienen.
Verblassende Erinnerungen bis hin zur völligen Orientierungslosigkeit und Demenz sind die Folgen von Alzheimer.
Im Gehirn kommt es dabei zum massiven Absterben von Nervenzellen. Die Ursachen dafür sind bislang nur teilweise
verstanden. Die Krankheit gilt als „multifaktoriell“. Nun haben Forscher aus Bonn, Hamburg und den USA einen weiteren
Akteur mit dem Namen „Spastin“ identifiziert. Im Kreise der neurodegenerativen Erkrankung ist dieses Molekül
kein Unbekannter. Krankhafte Veränderungen dieses Proteins gelten als Hauptursache erblich bedingter spastischer
Paraplegie. „Das mutierte Spastin hat schädliche Effekte auf die Zellen des Rückenmarks. Das führt
zur Lähmung der Beine. Wir haben nun festgestellt, dass Spastin, in diesem Fall seine gesunde Form, Hirnzellen
schädigen kann, wenn es falsch reguliert wird. Das hat uns überrascht, denn von der Alzheimer-Forschung
wurde Spastin bislang nur wenig beachtet“, sagt die Neurowissenschaftlerin Eva-Maria Mandelkow, die gemeinsam mit
ihrem Mann Eckhard Mandelkow die Ursachen von Alzheimer erforscht. Das Ehepaar betreibt Labors in Bonn und Hamburg.
Das Team der Mandelkows – mit Erstautor Hans Zempel, Doktorand am Bonner DZNE – stellte bei Experimenten mit Zellkulturen
fest, dass Spastin die Versorgungsleitungen innerhalb der Dendriten beschädigen kann. Dendriten sind feine
Verästelungen des Zellkörpers über die eine Nervenzelle von anderen Zellen Reize aufnimmt. Doch
die Kontaktstellen verkümmern, wenn für den Stoffwechsel wichtige Substanzen auf der Strecke bleiben.
Werden die Versorgungsleitungen – die sogenannten Mikrotubuli – unterbrochen, dann gehen die Dendriten und letztlich
auch die Nervenzellen zu Grunde. Diese Reaktion konnten die Forscher auch bei ihren Laborversuchen beobachteten.
Fatale Verkettung
Bei Alzheimer geht die Anzahl der Mikrotubuli in den Nervenzellen bekanntermaßen zurück. Davon betroffen
ist neben den filigranen Dendriten auch das Axon, ein langer Fortsatz, über den die Nervenzelle Signale weiterleitet.
„Die Ursachen für den Rückgang der Mikrotubuli scheinen bei Dendriten und Axonen nicht unbedingt dieselben
zu sein“, gibt Eva-Maria Mandelkow zu bedenken. „Unsere Untersuchungen verschaffen uns nun ein genaueres Bild davon,
warum die Mikrotubuli in den Dendriten verschwinden. Wir konnten zeigen, dass die Wirkung von Spastin Teil einer
Reaktionskaskade ist, an der unter anderem die Proteine A-Beta und Tau beteiligt sind.“
A-Beta und Tau werden schon lange mit der Alzheimer-Erkrankung in Verbindung gebracht. Diese Proteine sind für
gewöhnlich Einzelgänger, lagern sich bei Alzheimer jedoch zu Klumpen von Proteinen zusammen, die als
„Plaques“ und „Tangles“ typische Merkmale im Gehirn von Alzheimer-Patienten sind.
Die Wissenschaftler behandelten Nervenzellen mit Aggregaten des Proteins A-Beta, was eine Folge von Ereignissen
auslöste. Insbesondere verloren die Zellen nun die Kontrolle über die richtige Verteilung der Tau-Proteine,
die sich dann in den Dendriten ansammelten. Dies führte dort zu einer chemischen Veränderung der Mikrotubuli.
„Dadurch wurden die Mikrotubuli anfälliger für Spastin. Das Protein wirkt wie eine molekulare Schere,
die die Mikrotubuli in Stücke schneidet“, so die Neurowissenschaftlerin.
Im gesunden Organismus wird diese Funktion streng reguliert. Sie ist aber an sich nichts Besonderes, denn die Mikrotubili
werden immer wieder abgebaut und durch neue ersetzt. Doch bei Alzheimer ist der Abbauprozess außer Kontrolle
geraten. „Die natürliche Wirkung von Spastin verstärkt sich. Infolgedessen werden die Mikrotubuli regelrecht
zerlegt“, sagt Eva-Maria Mandelkow.
Therapeutisches Potential
In einem Kommentar im EMBO Journal mutmaßen die US-Forscher Daphney Jean und Peter Baas, die an der aktuellen
Studie nicht beteiligt waren, dass einige der experimentellen Wirkstoffe gegen Alzheimer den negativen Effekt des
Spastins noch fördern könnten. Derzeit werden Substanzen getestet, die den Zusammenhalt der Mikrotubuli
zwar verbessern, die Scherenwirkung von Spastin aber nicht verhindern. Eher im Gegenteil, meinen sie. Grund dafür
ist der Aufbau der langgestreckten Mikrotubuli, die natürlicherweise aus stabilen und vergleichsweise labilen
Abschnitten bestehen. Durch stabilisierende Wirkstoffe schrumpfen die labilen Bereiche, während die stabilen
wachsen. Die so veränderten Mikrotubuli bieten dem Spastin eine größere Angriffsfläche. Denn
das Protein schneidet bevorzugt dort, wo die Mikrotubuli stabil sind.
Ansatzpunkt für eine Therapie könnte es daher sein, die Wirkung von Spastin gezielt einzudämmen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Substanzen, die Spastin blockieren, den Verlauf von Alzheimer möglicherweise
günstig beeinflussen könnten. Aber hier muss man vorsichtig mit Prognosen sein“, sagt Eva-Maria Mandelkow.
„Alzheimer ist eine Erkrankung mit vielen Facetten und es genügt wohl kaum, nur an eine Stellschraube zu drehen.
Fakt ist aber, dass wir einen Mosaikstein identifiziert haben, der uns hilft, das Krankheitsbild besser zu verstehen.“
Originalveröffentlichung
„Amyloid-ß oligomers induce synaptic damage via Tau-dependent microtubule
severing by TTLL6 and spastin“, Hans Zempel, Julia Luedtke, Yatender Kumar, Jacek Biernat, Hana Dawson, Eckhard
Mandelkow, Eva-Maria Mandelkow, The EMBO Journal, Online-Publikation vom 24. September 2013, http://dx.doi.org/10.1038/emboj.2013.207
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