EU-Ausschuss beschließt kritische Mitteilung an EU wegen Zunahme delegierter Rechtsakte
Wien (pk) - Einmal mehr wehren sich die Bundesrätinnen und Bundesräte gegen die zunehmende Anzahl
sogenannter "delegierter Rechtsakte", die der Kommission weitreichende Möglichkeiten gesetzgeberischer
Art einräumen. In einem einstimmig vom EU-Ausschuss des Bundesrats beschlossenen Antrag auf Mitteilung wird
zwar die grundsätzliche Sinnhaftigkeit solcher delegierter Rechtsakte im Interesse einer größeren
Flexibilität nicht bestritten, die Länderkammer beobachtet jedoch mit großer Sorge die massive
Häufung von Regelungen, die im Rahmen von delegierten Rechtsakten bzw. Durchführungsbefugnissen erfolgen.
Dabei würden die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten an die EU-Kommission delegiert, was aus demokratiepolitischer
Sicht problematisch sei, heißt es in der Mitteilung. Die Intransparenz der Entscheidungen verhindere in manchen
Fällen die Kontrolle durch die Öffentlichkeit und die nationalen Parlamente.
Grund für die neuerliche Diskussion war der Verordnungsvorschlag der Kommission ("Omnibus 3"), mit
dem jene Regelungen in bestehenden Rechtsakten an den Vertrag von Lissabon angepasst werden, die der Kommission
bestimmte Umsetzungsbefugnisse einräumen, um die Basisgesetze zu konkretisieren. Damit wird das bis zum Inkrafttreten
des Lissabon-Vertrags geltende Komitologieverfahren – ein Verfahren, das eine Mitwirkung der EU-Länder durch
ExpertInnen im Rahmen von Ausschüssen sichergestellt hat – abgelöst. Der Vertrag über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) sieht nun zwei Wege vor, wie der Unionsgesetzgeber der Kommission bestimmte
Befugnisse bei der Umsetzung verbindlicher EU-Gesetzgebungsakten einräumen kann: einerseits durch delegierte
Rechtsakte (Art. 290 AEUV) und andererseits mittels Durchführungsbefugnissen (Art. 291 AEUV).
Unter dem Begriff der delegierten Rechtsakte versteht man eine quasi Gesetzgebung der Kommission, die auf der Basisgesetzgebung
von Rat und EU-Parlament beruht und diese ergänzt oder verändert. Eine solche Ermächtigung der Kommission
ist aber nur bei jenen Vorschriften möglich, die als weniger wesentlich eingestuft werden, wobei die Definition,
was wesentlich und unwesentlich zu betrachten ist, unklar bleibt. Das Mitgestaltungsrecht der Mitgliedstaaten bei
den delegierten Rechtsakten ist nun nicht mehr gegeben, dafür können aber Rat und Parlament in Zukunft
jedem einzelnen von der Kommission erlassenen delegierten Rechtsakt widersprechen, sie können die Ermächtigung
für einzelne Bereiche auch gänzlich widerrufen. An dieser Verschiebung zu Ungunsten der Mitgliedsländer
stießen sich vor allem die im Ausschuss anwesenden Vertreter der Wiener und Kärntner Landesregierung.
Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEU) wiederum betreffen technische Vorschriften der Kommission, die die
verbindlichen Rechtsakte näher ausführen, um eine einheitliche Durchführung durch die Mitgliedstaaten
zu gewährleisten. Damit auch hier die Kontrolle der Kommission gewährleistet ist, werden gemäß
der Komitologieverordnung Ausschüsse eingesetzt, die von ExpertInnen der Mitgliedstaaten zu beschicken sind.
Diese werden in die Vorbereitung und Annahme der Kommissionsakte einbezogen.
Der Verordnungsvorschlag der Kommission sieht des Weiteren vor, die Ermächtigung der Kommission in einzelnen
Fällen überhaupt zu streichen. Die Diskussion in der EU über den Kommissionsvorschlag steht erst
am Beginn.
Legislativverfahren dürfen nicht zu Exekutivverfahren werden
Das Problem sei, dass durch delegierte Rechtsakte versucht werde, der Kommission durch die Hintertür gesetzgeberische
Kompetenzen einzuräumen, zeigte sich Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) skeptisch und unterstrich damit
die Notwendigkeit der vorliegenden Mitteilung. Er werde dies auch Mitte Dezember beim Hearing mit dem Ausschuss
der Regionen thematisieren, kündigte er an. Ziel sei es, über diese wichtige Frage mit der europäischen
Kommission in Dialog zu treten, ergänzte Bundesrat Stefan Schennach (S/W). Den kritischen Äußerungen
schlossen sich auch die BundesrätInnen Monika Mühlwerth (F/W), Cornelia Michalke (F/V) und Marco Schreuder
(G/W) an. Delegierte Rechtsakte seien Blankochecks für die Kommission, meinte etwa Michalke, und Schreuder
hielt fest, es sei darauf zu achten, dass Legislativverfahren solche auch bleiben und nicht zu Exekutivverfahren
werden.
Der Vertreter des Außenministeriums zeigte Verständnis für die Bedenken des Bundesrats, unterstrich
jedoch, man sollte sich nicht prinzipiell gegen die delegierten Rechtsakte stellen. Die ExpertInnen der Mitgliedstaaten
würden zwar nicht mehr so eng einbezogen wie im Rahmen des Komitologieverfahrens, man müsse aber bedenken,
dass durch den Lissabon-Vertrag nunmehr das Europäische Parlament auch in diesem Zusammenhang gestärkt
worden sei.
Besonders kritisch bewerteten die Entwicklung die beiden VertreterInnen der Landesregierungen von Wien und Kärnten.
Sie sahen die Interessen der Länder massiv bedroht, vor allem seien die Länder hinsichtlich ihres Vollziehungsbereichs
in ca. 50 Rechtsakten betroffen. Die gesetzgeberischen Rechte der Kommission betreffen etwa die Bodenschutzrichtlinie,
die Richtlinie über die Luftqualität, jene über das Management von Hochwasserrisiken, die Tierseuchenverordnung
und den Pflanzenschutzbereich, Grenzwerte für Kfz, Schwellenwerte für gentechnisch veränderte Organismen,
Gebührenfestsetzungen und Begriffsdefinitionen für die Sicherheit im Schiffsverkehr, gaben sie zu bedenken
und erblickten darin eine überbordende Anmaßung. Dass seien keine Kleinigkeiten, die man der Kommission
ohne Mitgestaltungsrecht der Mitgliedsstaaten überantworte. Die Proportionalität sei nicht mehr gegeben,
hier gehe es um die demokratische Legitimität, so die warnenden Stimmen aus den Bundesländern.
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