Wien (fotogalerie wien) - Ausschweifende Mobilität ist – neben exzessiver Kommunikation – eines der bestimmenden
globalen Phänomene am Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Fotogalerie Wien zeigt in ihrem diesjährigen Schwerpunkt
künstlerische Arbeiten, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln den mannigfaltigen Aspekten dieses Themas
widmen. Dabei umfasst die dreiteilige Ausstellungsserie Positionen zu den ineinander verwobenen Feldern der freiwilligen
Reisen, der Grenzen und Grenzgebiete sowie der volatilen Kapital- und Informationsflüsse mit ihren physischen
Konsequenzen für viele. Jeden Teil dieser Trilogie entwickelt das kuratorische Team in einem offenen Prozess
gemeinsam mit den KünstlerInnen und begibt sich damit selbst auf eine Reise mit oftmals überraschenden
Entdeckungen; in ihrem dialogischen Zusammenspiel machen die verschiedenen Arbeiten immer wieder neue Momente sichtbar
und ermöglichen es, die Vielschichtigkeit des Themas Mobilität aufzuzeigen. Sich diesem gerade in und
durch das Medium Bild zu nähern, kann auch als eine Referenz an ein wesentliches Merkmal der Globalisierung
gelesen werden – zählen doch gerade Bilder zu deren mobilsten Einheiten, die sich längst schon über
alle Grenzen hinweggesetzt haben
"Geld", die dritte und letzte Ausstellung der Fotogalerie Wien im Rahmen des diesjährigen Schwerpunkts
Mobilität, führt nach den Themenfeldern „Reisen“ und „Grenzen“ nun zur Auseinandersetzung mit den virtuellen
wie volatilen Einflüssen eines globalisierten Waren- und Finanzmarkts und seinen realen Auswirkungen. Neben
Recherchearbeiten, Dokumentationen und kritischen Analysen von den Machenschaften der Mächtigen wird die Schau
durch auf emotionalen Zugangsweisen basierenden Arbeiten erweitert. Dabei werden die aktuellen, weltweit relevanten
Themen der Finanz- und Wirtschaftskrise, des Immobilencrashs sowie der Korruption und des Machtmissbrauchs in unterschiedlicher
Weise sichtbar gemacht. Der Zusammenhang von Ausbeutung und Gewinnabschöpfung, die sich vergrößernde
Schere zwischen Reich und Arm kommen dabei ebenso zur Sprache wie die Ohnmacht und Existenzbedrohung der breiten
Masse im Zuge der Krise.
In ihrem Video The Bull Laid Bear (2012) analysieren Zanny Begg (AU) und Oliver Ressler (AT) die Hintergründe
der jüngsten Rezession und Finanzkrise (genannt „Bear Market“ – im Gegensatz zu „Bull Market“, dem Wirtschaftsboom).
Das spannende Wechselspiel von Animationsfilm und klassischen Interviews spielt in einem Pub, wo sich ganovenartige
Bären herumtreiben und zwei US-Ökonomen, eine Aktivistin und ein Kriminologe die harten Fakten zum Verfall
der Wirtschaftsordnung zur Sprache bringen.
Die Künstlergruppe Chto Delat (RU) zeigt im Kino der Fotogalerie Wien das Video The Tower: A Songspiel (2010),
das auf einem real geplanten Hochhaus-Projekt des Energie-Giganten Gazprom im Zentrum von St. Petersburg beruht.
Die vielstimmige Szene, ein Chorgesang, ist geteilt zwischen denen, die darin eine glorreiche Zukunft sehen und
den Kritikern, die es schließlich zu Fall bringen. Soziale Bruchlinien werden in dieser Arbeit ebenso sichtbar
wie der Zusammenhang von Machtdemonstrationen, die sich als Fortschritt tarnen, und Korruption.
Die Künstlergruppe G.R.A.M. (AT) reinszeniert in ihrer Arbeit NixCheckCashing (2011) Pressefotos von Mimiken
und Gesten entsetzter oder verwunderter Börsen-Broker, die auf drastische Kursverfälle während der
Finanzkrise reagieren. Sonst eher selten in den Medien gezeigt, tauchen Bilder geschockter Börsianer immer
dann als Signal auf, wenn sich die Krise verlängert, und geben ihr somit ein Gesicht. Bereits seit 1998 rekonstruiert
die Künstlergruppe in einer Reihe von Projekten reale Ereignisse und macht auf diese Weise die Funktion der
Bilder und die Mechanismen von Bildpolitiken sichtbar.
In dem experimentellen Kurzfilm Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik (2012) bezieht sich Katharina Gruzei (AT)
auf den ersten Film der Brüder Lumière La Sortie de l’Usine Lumière à Lyon (1895) und
thematisiert gleichzeitig chronisch akute Probleme von Arbeitsbedingungen in der industriellen Produktion. Aufgenommen
in einer aufgelassenen Tabakfabrik in Linz, deren Schließung hunderte Arbeitsplätze gekostet hat, begleitet
der/die BetrachterIn eine immer größer werdende Schar von ArbeiterInnen beim Gang durch dunkle Fabrikkorridore,
die nur kurzzeitig durch flackerndes Neonlicht ausgeleuchtet sind. Werden sie wiederkehren oder droht das Outsourcing?
Helmut & Johanna Kandl (AT) setzen sich in ihrer Arbeit sozialkritisch mit postmodernen Arbeitssituationen
auseinander. Mittels eines künstlerischen Rückgriffs auf kolorierte Glasdiapositive aus der Zwischenkriegszeit,
die sie mit affirmativen Slogans aus dem Repertoire des neoliberalen „Neusprechs“ in zynischer Weise aufladen,
wird die Divergenz zwischen dem Versprechen angemessener Entlohnung von erbrachter Leistung und der realen Arbeitsmarksituation
sichtbar (Your Way to the Top, 2001). Erweitert wird diese Arbeit durch das Video von Helmut Kandl Womit handelst
Du? (2001), das Straßenkünstler und Straßenverkäufer in ihrem täglichen Kampf ums Überleben
zeigt.
Mittels eines eigens angefertigten, fahrbahren Mini-„McMansion“ durchqueren Wouter Osterholt und Elke Uitentuis
(NL) in der Videoarbeit Your House is in our Hands (2009) das Städtchen Victorville, Kalifornien, und porträtieren
dessen BewohnerInnen. Rund hundert Meilen von Los Angeles gelegen, bietet diese Retortenstadt im Nowhere auch für
einkommensschwache Schichten die Möglichkeit eines leistbaren Eigenheims mit Garten und somit ein Stück
des „American Dream“. In ihrer konzisen dokumentarischen Analyse gelingt es dem Künstlerduo, die Wünsche
und Sehnsüchte, die Veränderungen der Lebensbedingungen nach dem explosiven Anwachsen der Retortenhomes
und somit des Ortes, sowie die Ängste und Kritik nach dem Immobiliencrash, einzufangen.
In ihrer Fotoarbeit No Futures! (2009) referiert Lisl Ponger (AT) auf das klassische Genre der „Marktbilder“ der
frühkapitalistischen Niederlande. In der sorgfältigen Komposition thematisiert sie das Gewebe des Marktes,
die sozialen Gefälle und den sinkenden Absatz im Zuge der Krise. Der Titel bezieht sich aber nicht nur auf
Zukunftsängste, sondern steht auch als Forderung im Raum, Spekulationen auf Grundnahrungsmittel an den Börsen
im Rahmen von „Futures“-Geschäften einzustellen. Darauf verweisen die Tulpen zur Linken der Verkäuferin;
war doch einst der kostenintensive Kauf von Tulpenzwiebeln eine Spekulation auf eine prosperierende Zukunft.
Isa Rosenberger (AT) reinszeniert im Video Espiral (2010/12) Kurt Jooss‘ expressionistisches Ballett „Der grüne
Tisch“ (1932), mit dem dieser die Verkettung von Macht, Ökonomie und Krieg im Zusammenhang mit der ersten
Weltwirtschaftskrise tänzerisch verarbeitet hat. Vor dem Hintergrund der Österreichischen Nationalbank
gedreht, konzentriert sich Rosenbergers Arbeit auf die Rolle der österreichischen Banken und die Parallelen
in ihrem (Fehl-)Verhalten damals wie heute. Der Titel Espiral („Spirale“) spielt dabei auf die gleichnamige, von
Jooss gegründete Tanzschule in Santiago de Chile an, die Kindern unterprivilegierter Schichten eine Ausbildung
ermöglichte, aber auch auf Abhängigkeiten innerhalb einer globalisierten Ökonomie.
Yorgos Zois (GR) zeigt in seinem Kurzfilm Titloi Telous (Out of Frame) (2012) leere Werbetafeln entlang der Straßen
von Athen. In standfotografischer Manier fängt er in eindrücklichen und atmosphärischen Bildern
die tragische Situation in Griechenland ein. Die leeren Tafel-Skelette des Kapitalismus sind als Parabel auf die
Hoffnungslosigkeit, die die Krise vielerorts mit sich brachte, zu verstehen. Ein einsames Hundebellen durchbricht
die gespenstischen Aufnahmen vor blauem Himmel. Eine griechische Flagge weht verlassen in der Weite.
Philipp Levar und Petra Noll
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