Neue Forschungsergebnisse zur Evolution von Vögeln
Wien (universität) - In der Regel haben Landwirbeltiere fünf Finger oder Zehen pro Hand oder Fuß.
Viele Tiergruppen haben im Laufe der Evolution diesen Bauplan allerdings abgewandelt. So haben etwa Paarhufer nur
zwei oder vier Zehen. Ähnlich sind im Flügel der Vögel nur drei knochige Finger vorhanden. Die Anlage
eines vierten Fingers auf der Handaußenseite (posterior) lässt sich bei Vögeln jedoch embryonal
belegen. Dadurch stellt sich die Frage, um welche Finger es sich nun tatsächlich handelt: Daumen, Zeige- und
Mittelfinger (I, II, III) oder Zeige-, Mittel- und Ringfinger (II, III, IV). Theoretische Biologen der Universität
Wien haben dies geklärt und publizieren dazu aktuell im Journal of Experimental Zoology.
Bei den meisten Tetrapoden (Landwirbeltieren) ist der erste Finger, der embryonal angelegt wird, der vierte (Ringfinger).
Auch bei Vögeln wird der Finger auf der Handaußenseite (posterior) als erster angelegt, was dafür
spricht, dass es sich dabei um den Ringfinger handelt. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, dass auch anterior
– also auf der Handinnenseite – eine embryonale Fingeranlage vorhanden ist, die allerdings schnell wieder verschwindet.
Diese Daten sprechen für eine Identifizierung der Finger als Zeige-, Mittel- und Ringfinger (II, III, IV).
Allerdings ähneln die drei Finger von Archaeopteryx – dem frühesten bekannten Vogel –, denen der Dinosaurierart
Deinonychus, mit der er wohl nahe verwandt war. Fossilreihen belegen die Reduktion von zwei Fingern an der posterioren
Seite der Hand unter den Vorfahren von Deinonychus und stützen damit die Daumen, Zeige- und Mittelfinger-Identifizierung
(I, II, III) der Vogelfinger. Auch entsprechen die Genexpressionsmuster des vordersten Vogelfingers denen des Daumens
bei anderen Tieren und nicht denen des Zeigefingers.
Um diesen Widerspruch zu lösen, waren bisher drei Ansätze vorherrschend: 1. Vögel stammen nicht
von den Dinosauriern ab, 2. die Dinosauriervorfahren der Vögel hatten ebenfalls die drei mittleren Finger
oder 3. die drei vorderen Finger der Vögel wurden irgendwie auf die drei mittleren embryonalen Positionen
verschoben. Fakt ist, dass keine dieser Theorien alle vorhandenen Daten erklären kann.
Vögel: Daumen, Zeige- und Mittelfinger sind eigentlich Zeige-, Mittel- und Ringfinger
"Das Erscheinungsbild – der sogenannte Phänotyp – der Finger wird während der Embryonalentwicklung
vom Protein Sonic Hedgehog bestimmt, das von der posterioren Handseite ausgeht. Das bedeutet einfach gesagt, dass
die Konzentration des Proteins auf der Handaußenseite am höchsten ist und Richtung Handinnenseite abnimmt.
Die verschiedenen Fingeranlagen passen daher ihre Genexpression – und in Folge auch ihren Phänotyp – der Sonic
Hedgehog-Konzentration in ihrem Umfeld an. Wir haben einen darauf basierenden molekular-biomechanischen Mechanismus
erdacht, der in der Lage ist, alle vorhandenen Daten zu erklären ", so Erstautor Daniel Capek, der in
der Gruppe von Brian Metscher vom Department für Theoretische Biologie der Universität Wien zu diesem
Projekt forschte und derzeit als PhD-Student am IST Austria tätig ist.
Nach dieser Hypothese fand in der Dinosaurier-Evolution zunächst tatsächlich eine Posterior-Reduktion
statt, bei der anfangs der kleine Finger reduziert wurde und dann wegfiel sowie der Ringfinger teilreduziert wurde.
Es ist allerdings deutlich leichter, die beiden äußeren Finger zu reduzieren als zentralere, da diese
in der Entwicklung als letztes angelegt werden. Folglich wurde statt des vierten der erste Finger reduziert, und
die übrigen Finger nutzten den zur Verfügung stehenden Platz aus, indem sie weiter nach innen wuchsen.
Dies führte schließlich dazu, dass diese Finger eine veränderte Sonic Hedgehog-Konzentration vorfinden
und ihre Entwicklung dieser anpassen.
"Dieser Mechanismus erklärt, warum die Finger von Archaeopteryx und moderner Vögel die Form der
anterioren Finger I, II, III haben, obwohl sie eigentlich die zentralen Finger II, III, IV sind. Gleichzeitig stimmt
diese Hypothese mit dem fossilen Befund und den aktuellen entwicklungsgenetischen Resultaten überein",
resümiert Brian Metscher vom Department für Theoretische Biologie der Universität Wien.
Publikation im Journal of Experimental Zoology
Capek, D., Metscher, B. D., and Müller, G. B.: Thumbs Down: A Molecular-Morphogenetic
Approach to Avian Digit Homology. Journal of Experimental Zoology Part B (Molecular and Developmental Evolution),
December 2013. DOI: 10.1002/jez.b.22545
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