Umsetzung der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit in die Wege geleitet
Wien (pk) - Mit der am 15. Mai 2012 vom Nationalrat verabschiedeten Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle
2012 wurde eines der wichtigsten Reformvorhaben in der Geschichte der österreichischen Bundesverfassung beschlossen
und ab heuer in der Praxis umgesetzt. Die über 25 Jahre währenden Bemühungen zur Schaffung einer
zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit haben damit endlich zum Erfolg geführt, heißt es in der Einleitung
des vom Bundeskanzler vorgelegten Berichts über die Tätigkeiten des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes
im Jahr 2012. Damit gehören auch die Sonderbestimmungen über den Rechtsschutz in Asylsachen der Vergangenheit
an. Die asylrechtlichen Entscheidungen des künftigen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl können
nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht bekämpft werden.
Auch wenn damit in Asylsachen wieder eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes besteht, wie sie bis
zur Errichtung des Asylgerichtshofes mit 1. Juli 2008 bestanden hat, ist aus der Sicht des VfGH noch nicht absehbar,
wie sich die Schaffung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Arbeitsanfall im Verfassungsgerichtshof
auswirken wird.
Verfassungsgerichtshof: 4.574 abgeschlossene Verfahren
Das Jahr 2012 war sehr arbeitsintensiv für den Verfassungsgerichtshof, allein 1.393 Verfahren wurden aus den
Vorjahren übernommen und zusätzliche 4.643 kamen neu hinzu. Ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz
entfiel wieder auf Verfahren gemäß Art. 144a B-VG, d.h. Beschwerden in Asylrechtssachen; diese machten
auch rund 60 % des Neuanfalls aus. Insgesamt hat der VfGH im letzten Jahr 4.574 Verfahren erledigt. Dazu zählen
– neben den 2.601 Asylbeschwerden – unter anderem auch 125 Gesetzesprüfungsverfahren, 90 Verordnungsprüfungsverfahren,
1.703 Bescheidbeschwerden und 21 Wahlanfechtungen. 1.462 Rechtssachen waren zum Jahresende noch anhängig.
In 201 (4,4 %) Fällen gab der Verfassungsgerichtshof laut Bericht dem Antrag des Beschwerdeführers bzw.
der Beschwerdeführerin statt. Dem standen 117 Abweisungen, 203 Zurückweisungen und 1.531 Ablehnungen
gegenüber. Dazu kommen noch 2.522 "sonstige Erledigungen", wozu u.a. auch Verfahrenseinstellungen
zählen.
Die durchschnittliche Verfahrensdauer, vom Eingangsdatum bis zur Abfertigung der Entscheidung, blieb mit rund 8
Monaten (210 Tage) im langjährigen Durchschnitt, wobei die die viel kürzer dauernden Asylrechtssachen
bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt sind.
Asylrechtssachen: Ein Plus von 7 % gegenüber dem Vorjahr
Der besseren Übersichtlichkeit halber wurden die Asylrechtssachen im Bericht gesondert dargestellt: Beim Verfassungsgerichtshof
wurden 2012 insgesamt 2770 Asylrechtssachen gemäß Art. 144a B-VG anhängig gemacht. Davon entfielen
360 auf Beschwerden, 2150 auf Verfahrenshilfeanträge und 260 auf Verfahrenshilfe mit gleichzeitig eingebrachter
Beschwerde. Dies bedeutet einen Gesamtzuwachs von rund 7 % gegenüber dem Jahr 2011. Unter Berücksichtigung
der 454 aus den Jahren 2010 und 2011 offen gebliebenen Asylrechtssachen waren im Berichtsjahr somit insgesamt 3224
Asylrechtssachen anhängig. Davon konnten 2601 erledigt werden. Dies ergibt einen Stand von 623 offenen Asylrechtssachen
zum Jahresende 2012.
VfGH hob 24 von 64 geprüften Gesetzesnormen zumindest teilweise auf
Im Rahmen der Gesetzesprüfungsverfahren befassten sich die Verfassungsrichter mit insgesamt 68 Normen,
von denen 24 zumindest teilweise aufgehoben wurden. Dazu gehören etwa Bestimmungen im Apothekengesetz, dem
Fremdenpolizeigesetz, Glückssspielgesetz, dem Namensänderungsgesetz oder dem Wasserrechtsgesetz. In 44
Fällen, u.a. bei der Strafprozessordnung, dem Öffnungszeitengesetz, dem Bundesstraßen-Mautgesetz
oder Luftfahrtgesetz hielten die Normen der Prüfung stand. Insgesamt 54 Gesetzesprüfungsverfahren waren
Ende 2012 noch anhängig.
Wie aus dem im Bericht angeführten ausgewählten Entscheidungen hervorgeht, hat der VfGH unter anderem
die Streichung von Arzneimitteln aus dem Erstattungskodex bei Vorliegen eines preisgünstigeren Generikums,
die Festlegung einer Höchstprovision für Immobilienmakler, die Verpflichtung der Österreichischen
Post zum Austausch der Hausbrieffachanlagen auf eigene Kosten oder das grundsätzliche Verbot des Offenhaltens
von Verkaufsstellen an Sonntagen für zulässig erklärt.
Aufgehoben wurden demgegenüber u.a. die Bestimmung, dass eingetragene Partner ihren gemeinsamen Namen nur
bei der Begründung der Partnerschaft, nicht jedoch – wie Ehegatten – auch noch zu einem späteren Zeitpunkt
wählen können. Weiters wurde die steuerliche Pauschalierung von Gastgewerbebetrieben oder das Bettelverbot
im Land Salzburg und in der Steiermark als gesetzeswidrig erachtet.
Die personelle Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs
Bundespräsident Fischer ernannte im Jahr 2012 zwei neue Mitglieder zum Verfassungsgerichtshof, und zwar
Parlamentsrätin Ingrid Siess-Scherz sowie Markus Achatz, da zwei Verfassungsrichter ihr Amt aus Alters- bzw.
Gesundheitsgründen zurücklegten. Von insgesamt vierzehn Mitgliedern des VfGH (einschließlich Präsident
Gerhart Holzinger und Vizepräsidentin Brigitte Bierlein) waren im Berichtsjahr zehn als Ständige ReferentInnen
tätig, in der zweiten Jahreshälfte elf. Darüber hinaus haben – in zum Teil beträchtlichen Ausmaß
– auch die Vizepräsidentin und ein weiteres Mitglied des VfGH anhängige Rechtssachen bearbeitet, was
zu einer weiteren Effizienzsteigerung beigetragen habe, wird im Bericht hervorgehoben.
Eine wichtige Neuerung aus der Sicht des VfGh war auch die Zusammenführung von vormals drei Standorten an
einen einzigen Standort; am 20. August 2012 nahm der Verfassungsgerichtshof seine Tätigkeit im neuen Gebäude
im ersten Bezirk, Freyung 8, auf.
Verwaltungsgerichtshof rechnet mit Anstieg neuer Rechtssachen auf bis zu 10.000 pro Jahr
Auch der VwGH bezeichnet die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 als den entscheidenden Schritt zur grundlegenden
Reform der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Durch die weitgehende Abschaffung des administrativen
Instanzenzugs in Verwaltungssachen wird das österreichische Rechtsschutzsystem dem EU-Standard angepasst.
Ab dem 1. Jänner 2014 gibt es nun elf neue Gerichte (zwei auf Bundes- und neun auf Landesebene), die damit
die über 120 Berufungssenate und Sonderbehörden ablösen. Das neue Bundesverwaltungsgericht wird
österreichweit zur zentralen Anlaufstelle für Beschwerden gegen Behördenentscheidungen in Angelegenheiten
der unmittelbaren Bundesverwaltung – mit Ausnahme des Zuständigkeitsbereiches des Bundesfinanzgerichts. Neuer
Präsident des Verwaltungsgerichtshofs ist ab 1. Jänner 2014 Universitätsprofessor Rudolf Thienel.
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass der VwGH in der 2008 eingeleiteten und noch andauernden Phase der Vorbereitung
auf das neue System große Anstrengungen unternommen hat, um die Zahl der offenen Verfahren zu reduzieren
und um insgesamt die Erledigungsdauer herabzusetzen. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit geht der Verwaltungsgerichtshof
allerdings davon aus, dass durch die neuerliche Begründung der Zuständigkeit in Asylsachen allein in
diesem Bereich pro Jahr zusätzlich zumindest 4.000 Rechtssachen mehr zu bearbeiten sind. Es sei daher ab 2014
mit einem Anstieg des Anfalls neuer Rechtssachen pro Jahr von derzeit etwa 5.000 auf jedenfalls 10.000 Fälle
zu rechnen.
Durch den Übergang der Kompetenz der Asylsachen an den VwGH tritt eine Entlastung des VfGH ein. Der VwGH teilt
die im Tätigkeitsbericht des VfGH für 2012 zum Ausdruck kommende Befürchtung nicht, dass es im geltenden
System der Sukzessivbeschwerde zu einer überhöhten Belastung des VfGH kommen wird. Dagegen würden
vor allem die Erfahrungen aus der Zeit vor der Einrichtung des Asylgerichtshofes 2008 sprechen. Auch damals haben
nur verhältnismäßig wenige Asylwerber - und um diesen Personenkreis geht es dem VfGH im Wesentlichen
- routinemäßig den Weg zum VfGH gesucht.
Verwaltungsgerichtshof hob 1.586 Bescheide im Jahr 2012 auf
Insgesamt sind im Jahr 2012 beim Verwaltungsgerichtshof 4.477 Beschwerden eingelangt. Das sind um 125 Rechtssachen
bzw. 2,72 % weniger als im Jahr 2011. Im gleichen Zeitraum wurden 5.800 Fälle erledigt, wobei die durchschnittliche
Erledigungsdauer mit 19 Monaten deutlich unter dem Wert vom Vorjahr (23 Monate) lag.
In 967 Beschwerdefällen wurden die Verfahren wegen Fehlens von Prozessvoraussetzungen abgeschlossen. Die verbleibenden
4.748 Erledigungen führten in insgesamt 1.586 Fällen zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheids.
Damit gab der VwGH in rund 33,4 % der Fällen dem Beschwerdeführer statt. Grund dafür waren in erster
Linie inhaltliche Einwände gegen einen Bescheid (1.195), in den anderen Fällen wurden Verfahrensvorschriften
verletzt (353) bzw. Entscheidungen von einer unzuständigen Behörde getroffen (38).
Inhaltlich gesehen betrafen die mit Abstand meisten Beschwerden wieder das Sicherheitswesen (1.543). Aber auch
Abgabenbescheide sowie Entscheidungen im Bereich der Sozialversicherung und des Baurechts wurden verhältnismäßig
oft beim VwGH bekämpft. In zehn Fällen machte der Verwaltungsgerichtshof ein Normenprüfungsverfahren
beim Verfassungsgerichtshof anhängig. In weiteren drei Fällen entschied er sich für eine Vorlage
des Falls beim Europäischen Gerichtshof. Konkret betraf das Fragen betreffend die Begründung einer "wirtschaftlichen
Tätigkeit" durch den Betrieb einer netzgeführten Photovoltaikanlage, die Verpflichtung zur Durchführung
einer Umweltverträglichkeitsprüfung für Infrastrukturarbeiten an einem Flughafen sowie die Untersagung
der Gewerbeausübung und die Versagung der Genehmigung der Bestellung eines Geschäftsführers. Im
Berichtszeitraum ergingen auch drei Vorabentscheidungen des EuGH über Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofs.
Parlamentsclub ist eine juristische Person
Im Bericht werden auch etliche ausgewählte Entscheidungen des VwGh angeführt. So urteilte er etwa über
die Begünstigung für türkische Staatsangehörige bei Erlangung eines Aufenthaltstitels, die
Kürzung der Mindestsicherung, die Erteilung einer Strafregisterauskunft bei Verurteilungen im Ausland, die
Anrechnung von Vordienstzeiten im öffentlichen Dienst oder die Einhaltung des Nichtraucherschutzes in Wettbüros.
Ausdrücklich stellte der Verwaltungsgerichtshof überdies klar, dass ein Parlamentsclub als juristische
Person anzusehen ist. Er kann jedenfalls die ihm eingeräumten Rechte mit allen legalen Mitteln verteidigen,
also auch Beschwerde vor dem VwGH (im konkreten Fall wegen der Berichterstattung im ORF) einlegen.
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