Neutronen und ihre Welleneigenschaften: Ein bahnbrechendes Experiment, durchgeführt 1974
am Atominstitut, feiert Geburtstag.
Wien (tu) - Es war sicher eines der bedeutendsten Experimente, die je in Österreich durchgeführt
wurden: Vor 40 Jahren, am 11. Jänner 1971, konnte Prof. Helmut Rauch und sein Team am Wiener Atominstitut
erstmals nachweisen, dass Neutronen wellenartige Interferenzeigenschaften ähnlich wie Licht haben. Sie sind
keine kleinen Kügelchen, die sich auf eindeutig festgelegten Bahnen bewegen, nach den Gesetzen der Quantenmechanik
muss man sich Neutronen wie Wellen vorstellen, die sich durch Überlagerung verstärken oder auslöschen
können. Diese weltweit aufsehenerregende Entdeckung war nicht nur das Produkt von jahrelanger harter Arbeit
- wie immer in der Wissenschaft gehörte auch eine Portion Glück dazu.
Wellen und Teilchen
Besteht Licht aus Teilchen oder Wellen? Darüber wurde jahrhundertelang gestritten, bis die Quantentheorie
schließlich die Auflösung brachte: Es ist beides! Teilchen- und Welleneigenschaften lassen sich nicht
voneinander trennen. Das bedeutet einerseits, dass Lichtwellen sich manchmal wie diskrete Partikel benehmen, es
führt andererseits auch dazu, dass man massiven Teilchen einen Wellencharakter zugestehen muss. Wenn man etwa
ein Elektron auf ein feines Gitter schießt, dann findet es nicht ein eindeutige Bahn zwischen zwei bestimmten
Gitterstäben, wie das eine Gewehrkugel tun würde, sondern es schwappt ähnlich wie eine Welle durch
alle Gitteröffnungen gleichzeitig hindurch.
Damit lag allerdings die Frage nahe: Lässt sich diese Art von Wellen-Interferenz auch bei größeren,
schweren Teilchen beobachten? Schon in den Sechzigerjahren versuchte man, die Welleneigenschaften von Neutronen
zu untersuchen - zunächst noch ohne Erfolg. Doch das Team am Wiener Versuchsreaktor probierte es mit einer
neuen Methode: Aus Siliziumkristallen stellte man hochpräzise Interferometer her. "Die Neutronenwelle
wird am regelmäßigen Kristallgitter gestreut, dadurch kann ein Neutronenstrahl in verschiedene Teilstrahlen
aufgeteilt werden, die sich dann wieder zusammenführen und überlagern lassen", erklärt Helmut
Rauch.
Der Effekt ähnelt dem bunten Schimmern einer CD, wenn man sie ins Licht hält: An den feinen regelmäßigen
Strukturen einer CD wird Licht einer bestimmten Farbe in ganz bestimmte Richtungen abgelenkt.
Die Entdeckung
Dass sich auf diese Weise Röntgenstrahlen aufspalten und überlagern lassen, wusste man bereits -
die entscheidende Frage war also: Kann man mit Neutronen dieselben Interferenz-Experimente durchführen, die
man von Röntgenstrahlen schon kannte?
Um die Neutronenwellen wirklich messen zu können, muss man hochpräzise arbeiten und mit viel Mühe
unterschiedliche Fehlerquellen ausschalten. Lange Zeit war unklar, ob die Quanteneigenschaften von schweren Materieteilchen
- das Neutron hat über 1800 mal mehr Masse als ein Elektron - nicht aus ganz fundamentalen physikalischen
Gründen kaputt gehen müssen. Doch am 11. Jänner 1974 konnte Helmut Rauchs Dissertant Wolfgang Treimer
den entscheidenden Erfolg vermelden: Zum ersten Mal trug er an diesem Tag eindeutig sichtbare Wellenmodulationen
in sein Labor-Notizbuch ein. Rasch wurden die Ergebnisse aufgeschrieben, schon am 22. April 1974 erschien das Paper
"Test of a single crystal neutron interferometer" im Journal "Physics Letters A".
Kein Erfolg in Grenoble
Allerdings liefert der Wiener Versuchsreaktor nur eine beschränkte Zahl von Neutronen pro Sekunde. Der naheliegende
nächste Schritt war daher, den Versuch an der viel stärkeren Neutronenquelle in Grenoble zu wiederholen,
um noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Das Team transportierte das Experiment also mit großen Erwartungen
nach Frankreich - doch dort konnte man die Ergebnisse nicht reproduzieren, obwohl man es über ein Jahr lang
versuchte. Die Röntgenstrahlen konnten wunderbar gestreut werden, wie erwartet - doch die Neutronen zeigten
keine Interferenz. "Am Ende blieb uns nichts anderes übrig, als die ganze Apparatur wieder nach Wien
zu transportieren, und siehe da: Es konnten wieder sowohl Röntgen- als auch Neutroneninterferenzen beobachtet
werden", erzählt Helmut Rauch.
Die Schwingungen sind schuld
Der Effekt war also reproduzierbar, die wissenschaftliche Ehre des Teams war gerettet. Trotzdem blieb die Frage,
warum das Experiment in Grenoble, mit deutlich besserem Neutronenstrom, so lange misslingen konnte. "Mehr
zufällig als systematisch begann man, über den Einfluss sehr niederfrequenter Schwingungen im Bereich
von einigen Herz bis hundert Hertz nachzudenken", sagt Helmut Rauch. Herkömmliche Messgeräte sind
auf diese Art von Schwingungen relativ unempfindlich, doch genau dieser Frequenzbereich zerstört die Neutroneninterferenz.
Während sich Röntgenstrahlen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, fliegen die Neutronen recht langsam
durch das Interferometer. Wenn sich der Kristall während ihres Fluges bewegt, trifft das Neutron nicht mehr
an der exakt richtigen Stelle am Siliziumkristall auf und der Überlagerungseffekt wird zerstört. Die
Röntgenstrahlen hingegen bewegen sich so rasch durch den Apparat, dass für sie die Schwingungen keine
Rolle spielen.
"Beim Atominstitut in Wien gab es damals zum Glück noch keine Autobahn und keine U-Bahn, daher waren
die Schwingungen in diesem Frequenzbereich sehr gering", sagt Helmut Rauch. "In Grenoble hingegen waren
die Schwingungen deutlich größer, vor allem wegen der starken Kühlpumpen und der nahegelegenen
Autobahnen." Als man das Problem erkannte, gelang mit entsprechender Schwingungsdämpfung das Experiment
auch in Grenoble.
Wie hätte man reagiert, wenn man das Experiment nicht zuerst in Wien durchgeführt hätte, sondern
es gleich in Grenoble probiert hätte? "Sehr wahrscheinlich hätte man einen guten Grund gefunden,
warum Interferometrie mit Neutronen nicht funktioniert und hätte das wohl auch publiziert", meint Helmut
Rauch. Die Erfahrung zeigt also: Die größten experimentellen Erfolge müssen nicht immer mit den
größten Forschungsanlagen gelingen - und für wirklich gute Wissenschaft braucht man immer auch
ein kleines bisschen Glück. Seit der Entdeckung 1974 hat sich die Neutroneninterferometrie zu einem wichtigen
Forschungsgebiet entwickelt und sogar zu Interferenz-Experimenten mit noch viel schwereren Teilchen geführt.
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