Internationaler Kongress "com.sult"
 im Rathaus eröffnet

 

erstellt am
21. 01. 14
11.30 MEZ

Prominent besetzte Debatten über Perspektiven für Europa, Grundsatzrede von Peer Steinbrück
Wien (rk) - Internationale MeinungsführerInnen erörtern am 21.01. die Zukunft Europas beim "Vienna Congress com.sult" im Haus der Industrie. Bereits gestern Abend ist die hochkarätig besetzte Tagung im Wappensaal des Rathauses eröffnet worden. Auf Einladung von Wiens Bürgermeister Michael Häupl sprachen u.a. Peer Steinbrück (ehemaliger deutscher Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat), Carl Djerassi (Erfinder der Anti-Baby-Pille) und Iain Begg (Wirtschaftsprofessor an der London School of Economics).

"Europa ist nicht gut in Form", eröffnete Peer Steinbrück seine Rede. Der deutsche Bundestagsabgeordnete und ehemalige Finanzminister sprach die Jugendarbeitslosigkeit auf dem Kontinent an: Im Durchschnitt sei ein Viertel der jungen Menschen ohne Job. Es wachse eine enttäuschte Generation heran, über deren Haltung zu Europa man sich ernsthaft Gedanken machen solle. Demzufolge müsse der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit höchstes Ziel sein, sagte Steinbrück, und kritisierte: "Das EU-Budget wird falsch investiert. Zu viel Geld fließt in die Landwirtschaft anstelle von Infrastruktur und Forschung." Zum Zweiten plädierte er für eine "echte" gemeinsame Wirtschafts- und Strukturpolitik innerhalb der Europäischen Union: Derzeit seien deutsche Leistungsbilanzüberschüsse die Defizite anderer Länder, sie erhöhten deren Schulden. Drittens sei der europäische Apparat zu aufgeblasen: Wozu 28 Kommissare, wenn zehn reichen, fragte Steinbrück. Die europäische Kommission solle sich verstärkt der Subsidiarität gewähr sein und sich zurücknehmen: Gewisse Entscheidungen sollten zu Recht auf Bundes-, Länder-, gar Kommunenebene getroffen werden. Dennoch zeigte sich Steinbrück als überzeugter Europäer: "Europa ist die Antwort auf die Katastrophen des 20. und die Fragen des 21. Jahrhunderts." Und: "Wohlstand, Friede, Meinungsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, Demokratie, das gibt es in dieser Form nirgendwo sonst auf der Welt." Umso wichtiger sei es, diese Werte und Errungenschaften nicht von Gegnern der Union aufs Spiel setzen zu lassen.

Václav Klaus, ehemaliger Präsident der Tschechischen Republik, mahnte angesichts der "Weltwirtschaftskrise, die eigentlich eine europäische Krise" sei, zu "mehr Dialog": Die Zeit der Monologe sei vorüber, es gelte innereuropäisch einander zuzuhören. Die Krise sei kein Zufall: Stagnation und Schulden seien hausgemachte Probleme, fand Klaus kritische Worte.

Carl Djerassi, Erfinder der Anti-Baby-Pille, unterstrich die Bedeutung politischen Willens für den Erfolg von Spitzenforschung. Während seiner dortigen Tätigkeit Anfang der 1950er-Jahre sei Mexiko-Stadt international führender Standort gewesen. Aufgrund politischer Versäumnisse und falscher Entscheidungen sei dieser Vorsprung ein Jahrzehnt später verloren gewesen. Eine entsprechend "furchtbare" Signalwirkung habe die Auflösung des österreichischen Wissenschaftsministeriums und dessen Eingliederung in das Wirtschaftsressort. Djerassi äußerte sich zu den Themen tertiäre Bildung und Studiengebühren: "Jeder hat ein Recht auf Ausbildung, aber nicht jeder hat die Qualifikation dafür." Die Uni Wien mit ihren "91.000 Studenten" könne aufgrund dieser Anzahl gar keine erstklassige Ausbildung schaffen. Die US-amerikanische California Tech zählt laut Djerassi im Vergleich nur 2.000 Studierende und sei "die beste Universität der Welt". Studiengebühren würden Studierende zu Leistung anspornen und motivieren; diese eingesetzten Mittel kämen später "um ein Vielfaches" zurück.

Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner erwarte sich vom Kongress "visionäre Vorstellungen für Europas Aufgaben". Wien sei Drehscheibe zwischen Ost und West; durch die fruchtbare Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Privatunternehmen werde Innovation geschaffen. Wien solle in wenigen Jahren zur "führenden Forschungsstadt" in Europa werden, sagte Brauner.

Iain Begg, Forscher an der London School of Economics, stellte in seinem Referat Grundsatzfragen zum europäischen Selbstverständnis: Welches Sozialmodell, welche Ideologie wolle der Kontinent verfolgen, den US-amerikanischen Weg oder den chinesischen? Für eine funktionierende Banken- und Fiskalunion brauche es mehr Zusammenarbeit - "keine Vereinigten Staaten von Europa, aber mehr als die derzeitige EU", sagte Begg. Auch deshalb sei 2014 mit den Wahlen zum Europaparlament ein "entscheidendes Jahr", EU-kritische Kräfte wie etwa in Frankreich und Großbritannien stellten ein "Risiko" dar. Auf ein Ende der Wirtschaftskrise wollte Begg sich nicht festlegen, jedenfalls erholten sich in seinen Augen einige Länder "langsam aber fragil". Dort würden die Agenden jetzt von Finanzdisziplin zum teuren Kampf gegen Arbeitslosigkeit wechseln.

David Ungar-Klein, Initiator der Veranstaltung, zog Parallelen zum Wiener Kongress. Vor 200 Jahren seien die Mächtigen Europas zusammengekommen, um den Kontinent neu zu ordnen. Seine Vision für "com.sult" in Wien sei es, "im Herzen Europas dessen Zukunft zu definieren".

Über den Kongress
Der diesjährige "Vienna Congress com.sult" ist die bereits elfte Auflage des größten Standortkongresses in Österreich. EntscheidungsträgerInnen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft machen in Reden, Workshops und Diskussionen die Zukunftsfragen Europas zum Thema. Neben dem Umgang mit Migration und Reformen für mehr Demokratie geht es auch um den Umgang mit der aktuellen Wirtschaftskrise.

 

 

 

Informationen: http://www.com.sult.cc

 

 

 

 

 

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