Berlin (idw) - Wissenschaftler aus Berlin und Heidelberg benutzen künstliche Nervenzellen, um verschiedenartige
Daten zu klassifizieren – und somit handgeschriebene Zahlen erkennen oder Pflanzenarten anhand ihrer Blüten
unterscheiden zu können.
Eine Bäckerstube, in der jedes Brötchen vom Gesellen aus dem Korb genommen und dem Meister gereicht wird,
damit er es eingetütet dem Kunden überreicht? Undenkbar. Vielmehr arbeiten Gesellen und Meister gleichzeitig,
um Backwerk zu verkaufen. Ähnlich ist es für Computerprogramme effizienter, Daten parallel zu verarbeiten
anstatt sie nacheinander – oder seriell – zu berechnen. Trotzdem sind die meisten Programme immer noch seriell
angelegt.
Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin, dem Bernstein Zentrum Berlin und der Universität Heidelberg
entwickeln nun eine neue Technologie weiter, die auf der parallelen Datenverarbeitung beruht. Beim sogenannten
neuromophic computing übernehmen Neurone aus Silizium die Rechenarbeit auf speziellen Computerchips. Ähnlich
wie unsere grauen Zellen im Gehirn sind sie untereinander verknüpft. Wird dieser Verband mit Daten gefüttert,
arbeiten alle Silizium-Neurone parallel an der Lösung des Problems. Die genaue Art der Verknüpfung bestimmt
hierbei, wie das Netzwerk die Daten verarbeitet. Einmal richtig verknüpft arbeitet das neuromorphe Netzwerk
quasi von allein. Die Forscher haben jetzt für einen solchen Chip ein Netzwerk entworfen – ein neuromorphes
„Programm“ –, das eine grundlegende Rechenleistung lösen kann: Es ist in der Lage Daten unterschiedlicher
Merkmale in Klassen einteilen. So kann es etwa handgeschriebene Zahlen erkennen oder anhand von Blüteneigenschaften
bestimmte Pflanzenarten unterscheiden.
„Beim Entwurf der Netzwerkarchitektur haben wir uns vom geruchsverarbeitenden Nervensystem der Insekten inspirieren
lassen“, erklärt Michael Schmuker, Erstautor der Studie. „Dieses ist von Natur aus für die hochparallele
Verarbeitung der komplexen chemischen Welt optimiert.“ Gemeinsam mit Arbeitsgruppenleiter Martin Nawrot und Thomas
Pfeil konnte er erstmalig zeigen, dass ein neuromorpher Chip eine solch komplexe Aufgabe lösen kann. Für
ihre Arbeit benutzten die Forscher einen Chip mit Neuronen aus Silizium, der am Kirchhoff-Institut für Physik
der Universität Heidelberg entwickelt wurde.
Computerprogramme, die Daten klassifizieren können, finden in den verschiedensten technischen Geräten
Anwendung, etwa in Smartphones. Den neuromorphen Netzwerk-Chip könnten auch Super-Computer nutzen, die nach
dem Vorbild des menschlichen Gehirns gebaut werden, um sehr komplexe Aufgaben zu lösen. Mithilfe ihres Prototyps
können die Berliner Wissenschaftler nun auch erforschen, wie sie Netzwerke konstruieren müssen, um den
Besonderheiten dieser Gehirn-ähnlichen Computer gerecht zu werden. Eine große Herausforderung dabei
ist, dass keine zwei Nervenzellen gleich sind – weder in Silizium noch im natürlichen Vorbild, dem Gehirn.
Das Bernstein Zentrum Berlin ist Teil des Nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience. Seit 2004
fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dieser Initiative die neue Forschungsdisziplin
Computational Neuroscience mit über 170 Mio. €. Das Netzwerk ist benannt nach dem deutschen Physiologen Julius
Bernstein (1835-1917).
|