Vom Stein auf den Schirm

 

erstellt am
24. 02. 14
11.30 MEZ

Prähistorische Felskunst trifft auf Medientechnik
St. Pölten (fh) - Im norditalienischen Tal Valcamonica haben Menschen prähistorischer Kulturen Petroglyphen, sogenannte Pitoti, in den Fels gemeißelt. Die meist Jahrtausende alten Darstellungen sind jedoch nur schwer zugänglich – und verletzlich. Das EU-Projekt 3D-Pitoti erfasst den Stand der mehr als 50.000 Figuren und Bilder und macht diese mit moderner Medientechnik für ein breites Publikum zugänglich.

Jäger und Sammler, Kämpfer und Reiter, Häuser, Tiere, Schriften in etruskischem Alphabet und abstrakte Symbole: Tausende in Stein gemeißelte Darstellungen überziehen die grauen Felsen des Tales Valcamonica in der Lombardei.

In die Flanken des Tales sind in der Zeit zwischen 4000 v.Chr. und dem Mittelalter mehr als 50.000 Petroglyphen in Stein geschlagen worden. Sie werden Pitoti genannt, was im lokalen Dialekt „kleine Puppen“ bedeutet. Sie zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie zeigen Jagd-, Duell- und Tanzszenen, sowie Europas erste Landkarte.

Die Erforschung dieser wertvollen Artefakte gestaltet sich aufgrund schwer zugänglicher Hanglagen oft mühevoll. Durch das hohe Interesse an diesen Kunstwerken sind sie einem ständigen Besucherstrom ausgesetzt, der die anfälligen Malereien gefährdet und zerstört.

ArchäologInnen und MedientechnikerInnen aus England, Österreich, Deutschland und Italien arbeiten daran, die wertvollen Beispiele frühester Kunst dauerhaft zu erhalten. Durch Nutzung neuester Technologien werden diese digitalisiert. Dadurch können einerseits ArchäologInnen die Pitoti im Labor wetterunabhängig umfassend beforschen, ohne vor Ort sein zu müssen und die Steine weiterem Abrieb auszusetzen, und andererseits können die Pitoti der interessierten Öffentlichkeit, bspw. BesucherInnen in Ausstellungen, als Film, Animation oder Installation dauerhaft zugänglich gemacht.

Dritte Dimension der Felsgravuren
Im Rahmen des Projekts 3D-Pitoti wird erstmals die Dreidimensionalität der Petroglyphen untersucht und aufgezeichnet. In diesem Projekt arbeitet die FH St. Pölten unter der Leitung der Universität Nottingham an der Entwicklung intelligenter Datenverarbeitungstechnologien, um inhärente Strukturen in den 3D-Daten der aufgezeichneten Petroglyphen zu erkennen und nutzbar zu machen.

Aus der detaillierten Information zu den Spuren im Fels könnten Rückschlüsse auf die Produktion der Bilder geschlossen werden: etwa ob das Werkzeug aus Metall oder Stein war und auf welche Art gehämmert und gepeckt wurde. Über die Struktur der Schläge könnten sich bestimmte Stile klassifizieren und eventuell sogar einzelne KünstlerInnen identifizieren lassen.

Diese Analyse und Interpretation erfolgt durch am Projekt beteiligte ArchäologInnen. MitarbeiterInnen des Instituts für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) der FH St. Pölten unterstützen diese dabei, indem sie die Daten und Muster zu den Figuren und Bearbeitungsspuren analysieren und klassifizieren. In den letzten Monaten wurde eine Datenbank einwickelt, auf deren Basis noch nicht erfasste Pitoti automatisch eingeordnet werden können.

„Wir haben gemeinsam mit den Archäologinnen und Archäologen als ersten Schritt eine Ground-Truth über die unterschiedlichen Formen und Pecking-Stile der Petroglyphen erhoben. Mit dieser werden wir nun Machine-Learning-Verfahren entwickeln und testen, mit denen wir in weiterer Folge jede neue 3D-Aufzeichnung eines Petroglyphen analysieren und klassifizieren können: Etwa ob diese eine anthropomorphe Gestalt zeigt, ein abstraktes Bild oder die Camunische Rose, die sich auch im Wappen der Lombardei findet, oder eines von vielen anderen Motiven“, sagt Markus Seidl, stellvertretender Leiter des Instituts für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) und Projektleiter für 3D-Pitoti an der FH St. Pölten.

Wesentlich ist auch das Aufzeigen von anderen Petroglyphen, die in Bezug auf Form, Pecking Stil und/oder Größe dem gerade aufgefunden ähneln. „Bei der Vielzahl von mindestens 50.000 Petroglyphen ist das eine unverzichtbare Unterstützung der Archäologinnen und Archäologen und eine Bereicherung des Erlebnisses von Betrachterinnen und Betrachtern der Pitoti“, so Seidl.

Circa 1.500 Pitoti wurden zur Erhebung der Ground-Truth händisch erfasst und kategorisiert. Sie liefern die Typologie und die Trainingsdaten, anhand derer nun alle weiteren Steinbilder automatisch klassifiziert werden können.

Wissenschaftsvermittlung mit Medientechnik
Die Felsenkunst soll in ansprechender, interaktiver Art und Weise einem breiten Publikum vermittelt werden: Auf Touchscreens, in Multimedia-Installationen oder als dreidimensionale Strukturen sollen Menschen die Vielfalt der Felsbilder erfahren können.

Das Institut für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) bereichert mit den entwickelten Analysemethoden interaktive 3D-Visualisierungs- und Präsentationstechniken, um WissenschaftlerInnen, MuseumsbesucherInnen, SchülerInnen und InternetnutzerInnen in digitaler und hochauflösender Form Zugang zu der Felsenkunst des Valcamonica-Tals zu verschaffen.

Projekt 3D-Pitoti
Das Projekt “3D Pitoti – 3D acquisition, processing and presentation of prehistoric European rock-art” wird von der Europäischen Union im Rahmen des 7. Rahmenprogramm finanziert. Projektpartner sind die Universität Nottingham (Human Factors Research Group/Faculty of Engineering, Leitung), die Universität Cambridge, die Bauhaus Universität Weimar, die Technische Universität Graz, die ARCTRON 3D GMBH sowie ASSOCIAZIONE CENTRO CAMUNO DI STUDIPREISTORICI ED ETNOLOGICI. Laufzeit: März 2013 bis Februar 2016

http://www.fhstp.ac.at/forschung/institute_bereiche/icmt/unsere-projekte/pitoti-3d

 

 

 

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