Prähistorische Felskunst trifft auf Medientechnik
St. Pölten (fh) - Im norditalienischen Tal Valcamonica haben Menschen prähistorischer Kulturen
Petroglyphen, sogenannte Pitoti, in den Fels gemeißelt. Die meist Jahrtausende alten Darstellungen sind jedoch
nur schwer zugänglich – und verletzlich. Das EU-Projekt 3D-Pitoti erfasst den Stand der mehr als 50.000 Figuren
und Bilder und macht diese mit moderner Medientechnik für ein breites Publikum zugänglich.
Jäger und Sammler, Kämpfer und Reiter, Häuser, Tiere, Schriften in etruskischem Alphabet und abstrakte
Symbole: Tausende in Stein gemeißelte Darstellungen überziehen die grauen Felsen des Tales Valcamonica
in der Lombardei.
In die Flanken des Tales sind in der Zeit zwischen 4000 v.Chr. und dem Mittelalter mehr als 50.000 Petroglyphen
in Stein geschlagen worden. Sie werden Pitoti genannt, was im lokalen Dialekt „kleine Puppen“ bedeutet. Sie zählen
zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie zeigen Jagd-, Duell- und Tanzszenen, sowie Europas erste Landkarte.
Die Erforschung dieser wertvollen Artefakte gestaltet sich aufgrund schwer zugänglicher Hanglagen oft mühevoll.
Durch das hohe Interesse an diesen Kunstwerken sind sie einem ständigen Besucherstrom ausgesetzt, der die
anfälligen Malereien gefährdet und zerstört.
ArchäologInnen und MedientechnikerInnen aus England, Österreich, Deutschland und Italien arbeiten daran,
die wertvollen Beispiele frühester Kunst dauerhaft zu erhalten. Durch Nutzung neuester Technologien werden
diese digitalisiert. Dadurch können einerseits ArchäologInnen die Pitoti im Labor wetterunabhängig
umfassend beforschen, ohne vor Ort sein zu müssen und die Steine weiterem Abrieb auszusetzen, und andererseits
können die Pitoti der interessierten Öffentlichkeit, bspw. BesucherInnen in Ausstellungen, als Film,
Animation oder Installation dauerhaft zugänglich gemacht.
Dritte Dimension der Felsgravuren
Im Rahmen des Projekts 3D-Pitoti wird erstmals die Dreidimensionalität der Petroglyphen untersucht und aufgezeichnet.
In diesem Projekt arbeitet die FH St. Pölten unter der Leitung der Universität Nottingham an der Entwicklung
intelligenter Datenverarbeitungstechnologien, um inhärente Strukturen in den 3D-Daten der aufgezeichneten
Petroglyphen zu erkennen und nutzbar zu machen.
Aus der detaillierten Information zu den Spuren im Fels könnten Rückschlüsse auf die Produktion
der Bilder geschlossen werden: etwa ob das Werkzeug aus Metall oder Stein war und auf welche Art gehämmert
und gepeckt wurde. Über die Struktur der Schläge könnten sich bestimmte Stile klassifizieren und
eventuell sogar einzelne KünstlerInnen identifizieren lassen.
Diese Analyse und Interpretation erfolgt durch am Projekt beteiligte ArchäologInnen. MitarbeiterInnen des
Instituts für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) der FH St. Pölten unterstützen diese dabei, indem
sie die Daten und Muster zu den Figuren und Bearbeitungsspuren analysieren und klassifizieren. In den letzten Monaten
wurde eine Datenbank einwickelt, auf deren Basis noch nicht erfasste Pitoti automatisch eingeordnet werden können.
„Wir haben gemeinsam mit den Archäologinnen und Archäologen als ersten Schritt eine Ground-Truth über
die unterschiedlichen Formen und Pecking-Stile der Petroglyphen erhoben. Mit dieser werden wir nun Machine-Learning-Verfahren
entwickeln und testen, mit denen wir in weiterer Folge jede neue 3D-Aufzeichnung eines Petroglyphen analysieren
und klassifizieren können: Etwa ob diese eine anthropomorphe Gestalt zeigt, ein abstraktes Bild oder die Camunische
Rose, die sich auch im Wappen der Lombardei findet, oder eines von vielen anderen Motiven“, sagt Markus Seidl,
stellvertretender Leiter des Instituts für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) und Projektleiter für
3D-Pitoti an der FH St. Pölten.
Wesentlich ist auch das Aufzeigen von anderen Petroglyphen, die in Bezug auf Form, Pecking Stil und/oder Größe
dem gerade aufgefunden ähneln. „Bei der Vielzahl von mindestens 50.000 Petroglyphen ist das eine unverzichtbare
Unterstützung der Archäologinnen und Archäologen und eine Bereicherung des Erlebnisses von Betrachterinnen
und Betrachtern der Pitoti“, so Seidl.
Circa 1.500 Pitoti wurden zur Erhebung der Ground-Truth händisch erfasst und kategorisiert. Sie liefern die
Typologie und die Trainingsdaten, anhand derer nun alle weiteren Steinbilder automatisch klassifiziert werden können.
Wissenschaftsvermittlung mit Medientechnik
Die Felsenkunst soll in ansprechender, interaktiver Art und Weise einem breiten Publikum vermittelt werden:
Auf Touchscreens, in Multimedia-Installationen oder als dreidimensionale Strukturen sollen Menschen die Vielfalt
der Felsbilder erfahren können.
Das Institut für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) bereichert mit den entwickelten Analysemethoden interaktive
3D-Visualisierungs- und Präsentationstechniken, um WissenschaftlerInnen, MuseumsbesucherInnen, SchülerInnen
und InternetnutzerInnen in digitaler und hochauflösender Form Zugang zu der Felsenkunst des Valcamonica-Tals
zu verschaffen.
Projekt 3D-Pitoti
Das Projekt “3D Pitoti – 3D acquisition, processing and presentation of prehistoric European rock-art” wird von
der Europäischen Union im Rahmen des 7. Rahmenprogramm finanziert. Projektpartner sind die Universität
Nottingham (Human Factors Research Group/Faculty of Engineering, Leitung), die Universität Cambridge, die
Bauhaus Universität Weimar, die Technische Universität Graz, die ARCTRON 3D GMBH sowie ASSOCIAZIONE CENTRO
CAMUNO DI STUDIPREISTORICI ED ETNOLOGICI. Laufzeit: März 2013 bis Februar 2016
http://www.fhstp.ac.at/forschung/institute_bereiche/icmt/unsere-projekte/pitoti-3d
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