Nerven mit elektrischen Signalen zu stimulieren kann heilsam sein. TU Wien und MedUni Wien
testen eine neuentwickelte Methode für die Behandlung neurologischer Bewegungsstörungen.
Wien (tu) - Muskelkrämpfe, Fehlhaltungen, Bewegungsstörungen – Dystonie ist eine neurologische
Erkrankung mit sehr schweren Symptomen. Es gibt zwar einige Therapieansätze, doch die sind teilweise riskant
und führen kaum zur gewünschten Linderung der Beschwerden. Von einem Forschungsteam der TU Wien und der
Medizinischen Universität Wien wurde eine Methode zur Neurostimulation mit maßgeschneiderten Elektrosignalen
entwickelt. Sie könnte auch bei Dystonie den lang ersehnten Erfolg bringen. Erste Tests verliefen vielversprechend.
Fehlende Balance: Wenn Nerven gegen Nerven kämpfen
„Entscheidend bei unserer Methode ist die vorteilhafte Wechselwirkung von Elektroimpulsen mit dem autonomen Nervensystem“,
erklärt Prof. Eugenijus Kaniusas von der Gruppe für Biosensorik (Institute of Electrodynamics, Microwave
and Circuit Engineering, TU Wien). Das vegetative Nervensystem ist für die Steuerung vieler wichtiger Körperfunktionen
zuständig, die wir nicht willentlich beeinflussen können, etwa für jene der inneren Organe.
Aktivierende und beruhigende Reize im vegetativen Nervensystem müssen in Balance sein. Ist diese Balance gestört,
kann es nützlich sein, mit elektrischen Signalen einzugreifen: So gibt es etwa am Ohr Punkte, an denen man
mit Elektroden den Vagusnerv stimulieren kann, einen wichtigen Nerv des vegetativen Nervensystems. Studien haben
gezeigt, dass sich mit einer solchen Elektrostimulation sowohl akute als auch chronische Schmerzen lindern lassen,
auch Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System wie zum Beispiel eine gesteigerte Durchblutung in den Extremitäten
konnte mittels Vagusnerv-Stimulation bereits erreicht werden.
Erfunden wurde die Vagusnerv-Stimulation am Ohr von Dr. Jozsef Constantin Széles von der Medizinischen Universität
Wien. Das Forschungsteam um Eugenijus Kaniusas und Stefan Kampusch an der TU Wien arbeitet an der elektronischen
Optimierung der Methode: Unterschiedliche Krankheitssymptome sprechen auf unterschiedliche elektrische Stimulations-Muster
unterschiedlich gut an. Es ist also wichtig, die Reaktion des Körpers genau zu messen und die wirkungsvollsten
dieser Stimulations-Muster zu ermitteln. Durch die erfassten physiologischen Daten ist es möglich, individuell
für jede Person die passenden Stimulationsabfolgen zu finden.
Erstmaliger Testeinsatz bei Dystonie
Nun wurde die elektrische Vagusnerv-Stimulation erstmals zur Behandlung von Dystonie eingesetzt: Nadelelektroden
koppeln im Ohr an den Vagusnerv, sie sind mit einem kleinen Stimulationsgerät verbunden, das am Hals getragen
wird. Über drei bis vier Tage, in einem Wochenrhythmus wiederholt, gibt das Gerät mit festgelegtem Rhythmus
elektrische Pulse an die Nervenenden ab. Die Stimulation wird als deutliches aber angenehmes Kribbeln wahrgenommen.
Erste Tests mit einer an Dystonie leidenden Patientin verliefen vielversprechend: Es kam zu einer Linderung der
Schmerzen, die Häufigkeit unwillkürlicher Kontraktionen ging zurück, die Muskelspannung nahm ab.
Das Wohlbefinden der Patientin stieg deutlich, sogar ein Wiedereintritt ins Arbeitsleben wurde dadurch möglich.
Durch den neuen Ansatz der Behandlung konnte auch bei Absetzen der Elektrostimulation eine über mehrere Tage
anhaltende Verbesserung erreicht werden. Das weist darauf hin, dass diese neue Methode nicht bloß Symptome
lindert, sondern bei den zugrundeliegenden Ursachen der autonomen Fehlregulation ansetzt.
Trotzdem kann man noch nicht von einer neuen, ausgereiften Therapieform sprechen: Noch ist viel weitere Forschung
nötig. „Noch ist nicht abschätzbar, welche Gruppe von Betroffenen tatsächlich von dieser Therapie
profitieren kann und in welchem Ausmaß das möglich ist“, sagt Eugenijus Kaniusas. Größere
Studien zur Wirkung der Vagusnerv-Stimulation sind demnächst geplant.
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