EU-Unterausschuss des Nationalrats sieht soziale Folgen der Krise als
Gefahr für wirtschaftliche Stabilisierung
Wien (pk) - Die Wirtschaft in der Europäischen Union kommt langsam wieder auf die Beine. Nach fünf
Jahren begrenzten Wachstums oder Schrumpfens gebe es nun Anzeichen einer Konjunkturerholung. Das konstatiert die
Europäische Kommission in ihrem aktuellen Jahreswachstumsbericht, der Maßnahmen einer koordinierten
Wirtschaftspolitik umreißt. Der Fokus dabei liegt heuer vermehrt auf der Förderung von Wirtschaftswachstum
und Wettbewerbsfähigkeit. Vom Rat der EU-FinanzministerInnen gestern angenommen, zielt der Maßnahmenkatalog
darauf ab, den allmählichen Aufschwung zu unterstützen. Der EU-Unterausschuss des Nationalrats diskutierte
am 19.02. mit Finanzstaatssekretärin Sonja Steßl konkrete Schritte zur Förderung von Wachstum und
Beschäftigung in Europa. Zentrale Herausforderung dabei sei, die einsetzende wirtschaftliche Erholung nicht
zu gefährden, sondern mit notwendige Reformen dauerhaft abzusichern, erklärte die Staatssekretärin.
Der Ausschuss begrüßte zwar generell das Bemühen der EU um ein völliges Überwinden der
Krise, das der Bericht widerspiegelt. Besonders SPÖ, Grüne und NEOS fanden jedoch, soziale Probleme als
Folgen der Krise würden mit den Vorschlägen zu wenig offensiv angegangen. Die ÖVP hielt dem entgegen,
die Kommission sehe in den EU-Staaten durchaus sozial ausgewogene Konsolidierungsmaßnahmen vor. Der FPÖ
mangelt es im Plan der EU an zielführenden Schritten gegen Sozialtourismus.
Spannungsfeld soziale Ausgewogenheit und Budget-Konsolidierung
Zwar werden im Jahreswachstumsbericht auch Initiativen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit adressiert - dazu zählen
die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit, insbesondere für Niedrigverdienende, und das Unterbinden von
Schwarzarbeit. Allerdings sei dieser Bereich im Maßnahmenplan insgesamt zu vage gehalten, bemängelte
Staatssekretärin Steßl. SPÖ-Mandatarin Christine Muttonen fügte hinzu, gerade Anstrengungen
für mehr Jugendbeschäftigung und existenzsichernde Arbeit dürften nicht durch Sparvorhaben gebremst
werden. Die Kommission sollte im Rahmen ihrer länderspezifischen Bewertungen zu diesen Aspekten nicht nur
auf Fehlentwicklungen hinweisen, sondern auch Gegenvorschläge bieten.
Dass die Schwerpunkte der wirtschafts- und haushaltspolitischen Empfehlungen in den letzten Jahren grundsätzlich
unverändert geblieben sind, kritisierte Grünen-Budgetsprecher Bruno Rossmann, der darin eine klar neoliberale
Politik sah. Das Augenmerk liege vor allem auf der Konsolidierung der Finanzen, die Auswirkung von zusätzlichen
steuerlichen Belastungen auf die Bevölkerung beispielsweise würde nicht beachtet. Wolfgang Gerstl (ÖVP)
wandte ein, die Kommission unterstreiche sehr wohl, einnahmen- und ausnahmenseitige Maßnahmen müssten
in den Budgetplänen wachstumsfreundlich ausbalanciert werden. In diesem Sinn hebe sie auch Österreichs
Förderung von Forschung und Entwicklung hervor.
In ihren wirtschaftlichen Prioritäten misst die Kommission 2014 der Ankurbelung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit
in der EU großes Gewicht bei. Dringend sei daher die normale Kreditvergabe an die Wirtschaft wiederherzustellen,
hält der Bericht fest und drängt in diesem Zusammenhang auf eine rasche Realisierung der Bankenunion.
Wachstumsschonende Konsolidierungen in den schuldengeplagten EU-Ländern sowie eine Modernisierung der öffentlichen
Verwaltung sind weitere Empfehlungen.
Sparzwänge sollen wirtschaftlichen Aufschwung nicht abwürgen
Die Schuldenstände dürften 2014 ihren Höhepunkt erreichen und ab 2015 zurückgehen, heißt
es im Bericht weiter, wodurch sich ein größerer haushaltpolitischer Spielraum zur Stimulierung von privaten
Investitionen ergeben sollte. Österreich halte dementsprechend an seinem Kurs fest, die Budgetkonsolidierung
an Offensivmaßnahmen zur Unterstützung der Konjunktur zu koppeln, sagte Steßl. Sie nannte Investitionen
in Innovation, Forschung und Entwicklung sowie Bildung und auch in die Infrastruktur als wichtige Elemente im Regierungsprogramm.
Gerstls Anmerkung, die Kommission habe bemängelt, Österreich behindere den Ausbau der Eisenbahnleistungen,
wies die Finanzstaatssekretärin entschieden zurück. Der heimische Eisenbahnmarkt stelle einen der offensten
in der EU dar, das habe unter anderem der Europäische Gerichtshof in einem Urteil bestätigt.
Forschungsinvestitionen enger mit den Produkt- und Dienstleistungsmärkten zu verknüpfen, darin sieht
die Kommission eine Treibkraft für mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Als Wachstumsmotor wird auch
verstärkt die Binnennachfrage im Unionsraum gewertet. In diesem Kontext müsse die Öffnung der Dienstleistungsmärkte
vorangetrieben werden. So will die EU mit einem wettbewerbsorientierten Energiebinnenmarkt, in dem KonsumentInnen
zwischen verschiedenen Anbietern wählen können, im Laufe des Jahres 2014 zu einer Senkung der Energiekosten
und einer Verbesserung der Ressourceneffizienz beitragen.
Am Arbeitsmarkt prognostiziert die Kommission nur eine verzögerte Verbesserung. Generell bleibe die soziale
Lage angespannt, auch wenn sich Fortschritte bei der Korrektur wirtschaftlicher Ungleichgewichte in den Mitgliedsländern
verzeichnen lassen. Im EU-Durchschnitt rangiert die Arbeitslosenquote mit 11% auf einem historischen Höchststand,
besonders negativ hat sich die Krise auf die schwächsten Bevölkerungsgruppen ausgewirkt. Ausbildungsmaßnahmen
für Arbeitslose und Jugendgarantie-Regelungen werden als Komponenten einer aktiven Arbeitsmarktpolitik empfohlen.
Rossmann gab sich damit nicht zufrieden: mit 6 Mrd. € werde für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
von der EU weniger Geld ausgegeben als für Bankenrettungen. Und das, obwohl die Krise noch gar nicht vorüber
sei, wie er festhielt. Für Angelika Rosa Mlinar, EU-Sprecherin der NEOS, müsste das Problem arbeitsloser
Jugendlicher in der Solidargemeinschaft EU von der Kommission viel aktiver behandelt werden. Das Thema Sozialtourismus
wurde vom Freiheitlichen Reinhard Eugen Bösch angesprochen. Seine Befürchtung, die Sozialsysteme der
Nationalstaaten würden durch gesteigerten Zuzug aus EU-Krisenländern aus dem Lot gebracht, erwiderte
Steßl mit dem Hinweis, ZuwanderInnen würden die sozialen Netze sehr wohl mitfinanzieren. Generell schneide
Österreich bei Parametern der Beschäftigungs- und Sozialpolitik im EU-Vergleich überdurchschnittlich
gut ab, resümierte sie. Das aktuelle Regierungsprogramm sei auch darauf ausgerichtet, weiterhin Beschäftigungsimpulse
zu setzen und die Nachfrage zu erhalten, etwa indem keine Massensteuern angehoben werden.
EU baut auf stärkere Koordinierung von Finanz und Wirtschaft
Der zügigen Etablierung einer Bankenunion räumt die Kommission breiten Raum ein. Damit sollen nicht nur
die Stabilität des Euro-Währungsgebiets und das Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet sein,
beikommen könne man damit auch dem fragmentierten Finanzmarkt im Unionsraum. Ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus
für Banken wurde bereits abgesegnet, nun stehe die Einigung über einen gemeinsamen Fonds zur Abwicklung
von Geldinstituten an. Mit ihrer niedrigen Zinspolitik helfe die Europäische Zentralbank jetzt bereits Unternehmen
bei Kreditaufnahmen, erfuhr Bösch von Steßl. Nachteilig dabei seien natürlich, ergänzte sie,
die schlechteren Zinsen für Spareinlagen. Abgesehen davon bemühe sich die Kommission, Klein- und Mittelbetrieben
(KMU) den Zugang zur alternativen Finanzierungsquellen zu erleichtern, etwa in Form von Risikokapitalbeteiligungen
oder KMU-Anleihen.
Einen Kostenabbau von 15% bis 20% in der öffentlichen Verwaltung der EU-Mitgliedsstaaten erhofft die Kommission
durch einen Ausbau elektronischer Behördendienste, etwa zur Steuereinhebung. Rahmenbedingungen und Regulierungen
für Unternehmen müssten vereinfacht werden. Aus Sicht der NEOS ist die Finanzkrise aber keineswegs als
Chance für nachhaltige Strukturreformen und Verwaltungsvereinfachungen genutzt worden, verdeutlichte Mlinar
dazu. Sie warnte vielmehr vor weiteren Überschuldungen und meinte, es seien rasch Voraussetzungen für
ein neues Unternehmertum zu erarbeiten.
Mit dem Jahreswachstumsbericht läutet die EU-Kommission seit 2011 das sogenannte Europäische Semester
ein, das der wirtschaftspolitischen Abstimmung in der Union dient. Die Vorschläge und länderspezifischen
Empfehlungen werden auf EU-Ebene von den zuständigen MinisterInnen der Mitgliedsländer erörtert.
Die Staats- und Regierungschefs beschließen dann im Europäischen Rat die Prioritäten einer koordinierten
Wirtschaftspolitik für die kommenden 12 Monate. Darauf fußen schließlich die Konvergenzprogramme
der nationalen Haushalte, erstellt von den Mitgliedsstaaten. Die heurige Frühjahrstagung des Europäischen
Rats ist im März geplant.
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