Spiegelverkehrte Moleküle im Kampf gegen Krebs und Insekten
Linz (jku) - Es ist eins der großen Geheimnisse der Chemie: Obwohl eine Vielzahl von Molekülen
in zwei räumlichen Formen vorliegen können, welche einer Bild zu Spiegelbild Beziehung entsprechen, liegt
in der Natur sehr häufig nur eine Spezies vor. Warum die Natur auf das Spiegelbild gerne verzichtet, ist immer
noch nicht ausreichend geklärt. Wie man dieses Phänomen synthetisch am besten adressiert, wird aber derzeit
an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz erforscht.
„Im Alltag gibt es eine Vielzahl wichtiger Bild/Spiegelbild-Beziehungen “, weiß Prof. Mario Waser vom Institut
für Organische Chemie. Das beste Beispiel: Unsere Hände. Die sind zwar prinzipiell gleich aufgebaut,
aber eben nicht überlagerbare Spiegelbilder (sog. Enantiomere). Im Gegensatz kommen einige der wichtigsten
molekularen Bausteine des Lebens wie die Proteine, Enzyme sowie RNA und DNA allerdings nur in einer Form vor (man
spricht daher von „Homochiralität der Natur“). Dies bewirkt dass bei kleine Molekülen wie z.B. Geruchsstoffe
oder pharmazeutische Wirkstoffe die dem menschlichen Körper zugeführt werden Bild und Spiegelbild oft,
trotz aller Ähnlichkeit, sehr unterschiedliche physiologische Eigenschaften aufweisen können.
Contergan-Problem„Beim Ionon-Molekül hat eine Form einen eher holzigen Geruch während die Spiegelbild-Form
nach Veilchen riecht“, zeigt Waser die große Wirkung kleiner Unterschiede auf. Das kann freilich auch entsetzliche
Auswirkungen haben: Beim Medikament Contergan wurde der – an sich harmlose – molekulare Aufbau im Körper zu
seinem Spiegelbild „umgebaut“ – mit den bekannten Folgen. Wissenschaftlich formuliert bedeutet das, dass die jeweiligen
Enantiomere unterschiedliche physiologische Eigenschaften besitzen.
Suche nach effizientester Methode
„Es ist daher vor allem in der medizinischen Forschung enorm wichtig, den räumlichen Aufbau von Molekülen
zu kennen und auch die Auswirkungen des Spiegelbild-Aufbaus genau zu untersuchen“, erklärt der JKU-Experte.
An der JKU werden nun mittels asymmetrischer Katalyse selektiv sowohl Bild als auch Spiegelbild von physiologisch
bedeutenden Molekülen erzeugt. „Wir nehmen achirales Startmaterial und erzeugen mit Hilfe eines chiralen Katalysators
entweder die eine oder die andere Form eines chiralen Zielmoleküls.“
So können die Wissenschaftler auf kostengünstige Weise Aminosäuren synthetisieren, die in der
Natur gar nicht vorkommen. „Wir haben uns auf den Katalyse-Schritt spezialisiert. Für eine genaue Untersuchung
haben wir zum Beispiel 30 verschiedene Katalysatoren ausgehend von billiger Weinsäure entwickelt, um die beste
Möglichkeit herauszufiltern.“
MilliardenumsätzeUnd wofür dieser Aufwand? „Solche Methoden sollten vor allem für die Pharma- und
Agroforschung von Interesse sein“, weiß Waser. So ist eine Vielzahl der neuerdings untersuchten Krebsmittel
chiral. Dasselbe gilt auch für neuartige Insektizide und Pestizide. Neuester Schwerpunkt von Prof. Waser und
seinem Team: Die Synthese chiraler fluorierter Moleküle. Schließlich gehören die fluorbasierten
Medikamente Prozac (Antidepressiva), Lipitor (Cholesterinsenker) und Ciprobay (Antibiotika) zu den umsatzschwersten
Medikamenten weltweit. „20 Prozent aller zugelassenen Pharmazeutika und 30 Prozent der Agrochemikalien enthalten
Fluor“, zeigt Waser die milliardenschwere Bedeutung auf. Es sind Forschungsarbeiten wie diese, aus denen im Großraum
Linz ein „Medical Valley“ entstehen soll – und wovon Wirtschaft und Gesellschaft weit über Oberösterreich
hinaus profitieren können.
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