Wien (tu) - Dass wir durch ein Glas Milch nicht hindurchsehen können, liegt an der Lichtstreuung. Sie ist
meist schwer zu berechnen, doch im Falle von besonders starker Streuung plötzlich verblüffend einfach,
wie man an der TU Wien nun nachweisen konnte.
Warum ist Milch weiß und für uns undurchsichtig? Lichtwellen werden in Substanzen wie Milch zwischen
unzähligen Tröpfchen immer wieder hin und her gestreut. Solche Wellen-Ausbreitungs-Phänomene spielen
auch in der Technik eine sehr wichtige Rolle, zum Beispiel in der medizinischen Diagnostik. Mit aufwändigen
Computersimulationen und Mikrowellen-Experimenten gelangte man nun zu einem überraschenden Ergebnis: Wenn
man Wellen durch immer komplexere Strukturen schickt, benehmen sie sich irgendwann ganz einfach und folgen einem
einzigen, ganz bestimmten Streumuster. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.
Viele Wege führen durch die Stadt
Wie lange dauert es, von einem Ende einer Stadt zum anderen zu gelangen? Diese Frage hat keine eindeutige Antwort,
denn das hängt vom Weg ab, den man wählt. Manche Verkehrsteilnehmer sind besonders schnell, manche quälen
sich durch einen Verkehrsstau, wieder andere verirren sich und kommen gar nicht ans Ziel. „Mit Licht ist das so
ähnlich“, erklärt Prof. Stefan Rotter vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Schickt
man es durch ein kompliziertes, inhomogenes Material, dann kann es auf viele verschiedene Arten hindurchgelangen
und im Medium viele verschiedene Streumuster einnehmen.“
Je größer die Stadt und je stärker der Verkehr, umso schwieriger wird es, einen Weg hindurch zu
finden. Je dicker ein Material und je stärker die Lichtstreuung, umso geringer ist seine optische Durchlässigkeit.
Das verblüffende Ergebnis der nun vorgelegten Arbeit zeigt sich, wenn man Wellen durch ein sehr dickes, rein
zufällig strukturiertes Medium schickt, in dem die Wellen sehr stark gestreut werden: In diesem Fall gibt
es nur noch eine einzige Variante, um durch das Medium zu gelangen. Anstatt das komplizierte Gesamtsystem mit seinen
unzähligen inneren Wellenzuständen zu beschreiben, lässt es sich dann mit einem einzigen Streumuster
vollständig charakterisieren. „Das ist als ob man zur Zeit des morgendlichen Verkehrsstaus eine riesige Stadt
nur mehr auf einem einzigen Weg durchqueren kann“, so Rotter.
Mit modernen Computern alten Rätseln auf der Spur
Die theoretischen Überlegungen darüber gehen zurück bis in die Fünfzigerjahre, als der
Physiker Philip W. Anderson solche Phänomene theoretisch untersuchte und 1977 dafür den Nobelpreis erhielt.
Seine Theorie der Wellenausbreitung kann Lichtwellen genauso erklären wie Schall, und auch in der Quantenphysik,
in der Teilchen als Welle beschrieben werden, treffen dieselben Überlegungen zu.
Lange Zeit war es aber nicht möglich, die hochkomplizierte Ausbreitung von Wellen in ungeordneten Medien adäquat
zu berechnen. Doch mittlerweile kann man mit Hilfe von Großcomputern und klugen Berechnungsmethoden solchen
Phänomenen mit großer Präzision auf die Spur kommen. Adrian Girschik, Florian Libisch und Stefan
Rotter von der TU Wien entwickelten Computersimulationen, an der University of Texas in San Antonio wurden Experimente
durchgeführt: Aluminiumkugeln wurden in Styropor gepackt, in eine Röhre gefüllt und dann mit Mikrowellen
bestrahlt. Die Alukugeln bilden dadurch zufällig angeordnete Streu-Hindernisse für die Mikrowellenstrahlung,
ähnlich wie Öltröpfchen in der Milch das sichtbare Licht ablenken.
Wie kompliziert die Wellenausbreitung ist, hängt von der Beschaffenheit des Mediums ab: „Man könnte erwarten,
dass das System immer komplizierter wird, je länger die Röhre ist, und je mehr Aluminiumkugeln die Mikrowellen
ablenken“, sagt Stefan Rotter. „Doch in Wirklichkeit zeigt sich: Ab einer gewissen Länge, ab einer gewissen
Komplexität des Streusystems, spielt nur noch ein einziger Übertragungskanal eine Rolle.“ Am Ende der
Röhre kommt dann immer dasselbe Wellenmuster heraus – nur ein einziger Wellen-Zustand gelangt durch das System,
alle anderen werden bis zur Unsichtbarkeit abgedämpft.
Gemeinsam publizierten nun die Forschungsteams der TU Wien und der University of Texas ihre Ergebnisse im Fachjournal
„Nature Communications“. Dass Untersuchungen von Wellenausbreitung durch ungeordnete Materialien auf so großes
Interesse stoßen, ist kein Zufall: Solche Wellenphänomene sind in Wissenschaft und Technik allgegenwärtig.
In der medizinischen Diagnostik, in der Geophysik, bei der Erzeugung von Laserstrahlung mit speziellen Zufallslasern
– in vielen ganz unterschiedlichen Bereichen hat man es mit Wellenausbreitung zu tun, die von der Umgebung stark
gestört wird. Diese Phänomene immer besser zu verstehen ist daher eine Aufgabe, die für viele verschiedene
Bereiche relevant ist.
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