Entwicklungsforschung und globale Nachhaltigkeitsziele
Linz (lk) - "In einer immer komplexeren Welt ist es wichtiger denn je, über den regionalen Tellerrand
zu blicken. Entwicklungspolitik gehört in die Mitte der Gesellschaft. Wir müssen im öffentlichen
Bewusstsein verankern, dass die Lebensbedingungen und Perspektiven in anderen Teilen der Welt mit unserem Lebensstil
zu tun haben und dass Entwicklungspolitik eine wichtige Zukunftsaufgabe ist. Denn Frieden, Freiheit und Wohlstand
sowie eine gesunde Umwelt können wir nur garantieren, wenn die Chancengerechtigkeit weltweit zunimmt und wir
uns unserer sozialen und ökologischen Verantwortung stellen", so Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer.
Das Land Oberösterreich leistet bereits seit 1965 Entwicklungshilfe und hat die Entwicklungszusammenarbeit
(EZA) im Regierungsprogramm 2009-2015 verankert. Das Budget in Oberösterreich stieg kontinuierlich von 21.000
Euro im Jahr 1965 auf 1,2 Mio. Euro im Jahr 2013, hinzu kommen 260.000 Euro für internationale Hilfsmaßnahmen,
in Summe also 1,46 Mio. Euro. Dieses Budget wurde für 2014 um 100.000 Euro auf 1,56 Mio. Euro erhöht.
Damit können mehr als 100 Projekte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden.
Mit dem Interdisziplinären Forschungsinstitut für Entwicklungszusammenarbeit der Johannes Kepler Universität
(IEZ) verbindet das Land Oberösterreich seit Anbeginn eine erfolgreiche Partnerschaft, vor allem über
seinen Trägerverein (s.u.).
Das IEZ hat schon früh die Bedeutung der angewandten Forschung für die konkrete Entwicklungszusammenarbeit
erkannt und in den letzten 25 Jahren wichtige Beiträge im Rahmen seiner zahlreichen Forschungsprojekte und
Publikationen sowie Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Die Aktivitäten sind im anlässlich
des 25-jährigen Jubiläums herausgegebenen Festband 25 Jahre IEZ nachzulesen.
Gründervater des IEZ ist em. Univ.-Prof. Dr. Klaus Zapotoczky. Ihm folgte von 1998 bis 2011 o. Univ.-Prof.
Dr. Roman Sandgruber als Institutsvorstand. Ao. Univ.-Doz. Dr. Mag. Andreas J. Obrecht fungierte von 1998-2009
als Projektmanager; er prägte die inhaltliche Ausrichtung des IEZ bereits seit 1995 maßgeblich. Mit
Mag.a Dr.in Petra C. Braun (geb. Gruber) liegt der Schwerpunkt nun im Forschungs- und Handlungsfeld Nachhaltiger
Entwicklungen, in dem die neue Institutsvorständin seit 1992 arbeitet. Die Sozialwirtin, mit Schwerpunkt Umwelt
und Entwicklung, hat zehn Jahre lang das Institut für Umwelt - Friede - Entwicklung (IUFE) in Wien geleitet,
zahlreiche Publikationen zu Nachhaltigkeit, Globalisierung, Landwirtschaft und Hungerbekämpfung veröffentlicht,
hielt und hält Vorträge und bietet seit 2008 Lehrveranstaltungen am Institut für Internationale
Entwicklung/Universität Wien an. Bereits von 1996-1999 war Petra C. Braun Forschungsassistentin am IEZ; im
Dezember 2010 übernahm sie die Geschäftsführung, seit Oktober 2011 ist sie IEZ-Institutsvorständin.
Petra C. Braun ist zudem Vorstandsmitglied von Slow Food in Oberösterreich und dem Österreichischen Institut
für Nachhaltigkeit (ÖIN).
Forschungsansatz und Bildungsarbeit am IEZ
In den letzten 25 Jahren hat das IEZ - basierend auf den vier Grundprinzipien: Interdisziplinarität, Nord-Süd-Kooperation,
Lokalisierung, Nord-Süd Dialog - die regionalen Ursachen von Armut erforscht, Hilfsprogramme vorbereitet,
wissenschaftlich begleitet und evaluiert und dabei aufgezeigt, wo wirksame Hilfe ansetzen muss.
In Zeiten des globalen Wandels können entwicklungspolitische Fragestellungen heute nicht mehr isoliert betrachtet
werden: Armut und Hunger in den Ländern der südlichen Hemisphäre hängen mit unseren nicht-nachhaltigen
Produktions- und Konsummustern sowie asymmetrischen Machtverhältnissen zusammen. Die Bewältigung der
existentiellen glokalen (sprich globalen und lokalen) Herausforderungen, wie Armut, Ernährungssicherung, Umweltzerstörung
und Klimawandel, erfordert grundlegende gesellschaftliche Transformationen. Dies stellt auch die Wissenschaft vor
neue Fragestellungen und erfordert innovative Herangehensweisen, die über den gegenwärtig noch stark
technologieorientierten und ökonomischen Fokus hinaus gehen müssen - nicht zuletzt, weil wir es nicht
nur mit strittigem bzw. ungesichertem Wissen, sondern auch mit divergierenden Werthaltungen, Menschen- und Weltbildern
zu tun haben.
Das IEZ verfolgt einen Problem- und lösungsorientierten, Praxis- und akteursorientierten, transdisziplinären
Forschungsansatz: In einem partizipativen Prozess werden wissenschaftliche Erkenntnisse aus den unterschiedlichen
Disziplinen mit dem Wissen und den Erfahrungen aus der zivilgesellschaftlichen und politischen Praxis zusammengeführt.
Damit soll das gemeinsame Verständnis der Probleme und erarbeitete Wissen für die Gestaltung der Transformationsprozesse
in der Praxis wirksam werden.
Das IEZ zielt nicht nur auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse mittels transdisziplinärer Forschung, sondern
will entsprechend einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung auch einen Beitrag zur Wissensverbreitung über
globale Herausforderungen und die Anliegen der Entwicklungszusammenarbeit/-politik leisten, Werthaltungen vermitteln
und die Gestaltungskompetenz der Menschen fördern. Dementsprechend wird auch im Rahmen der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
des IEZ mit Akteur/innen aus der Praxis zusammengearbeitet.
Finanzierung / Trägerverein und Kooperation mit Gmunden
Das IEZ ist seit seiner Gründung 1989 ein Drittmittel-finanziertes Institut der Johannes Kepler Universität
und muss seine Personal- und Sachkosten eigenständig finanzieren. Die Forschung am IEZ wird über die
Akquirierung von Projekten finanziert; die Informations-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit des IEZ wird
insbesondere von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und dem Lebensministerium unterstützt.
Die wirtschaftliche Basis wird durch den Verein für Entwicklungsförderung gewährleistet, wobei insbesondere
das Land Oberösterreich, die Diözese Linz und die VKB-Bank seit Anbeginn wesentliche Unterstützungsbeiträge
leisten. Die Bereitschaft von Dr. Otto Pfeifauf, dem damaligen Generaldirektor der VKB-Bank, ein entsprechendes
Forschungsinstitut in Linz mitzufinanzieren, gab den konkreten Anstoß, das IEZ zu gründen. Landesamtsdirektor
Dr. Eduard Pesendorfer und Bischofsvikar Prälat Mag. Josef Ahammer waren bei der Gründung Obmann und
Obmann-Stellvertreter des Trägervereins, der sich gegenwärtig wie folgt zusammen setzt: Vorstand: Landesamtsdirektor
Dr. Eduard Pesendorfer; Stellvertreter: Franz Kehrer, MAS und Mag. Christoph Wurm; Schriftführer: Heribert
Ableidinger; Stellvertreter: Josef Geissler; Kassier: Mag. Johann Wimmer; letzterer übernimmt dieses Amt 2014
von Dr. Helmut Beyerl. Wissenschaftlicher Fachbeirat: ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas J. Obrecht, Mag. Josef Ahammer,
Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber und em. Univ.-Prof. Dr. Klaus Zapotoczky.
Im Zuge der von der neuen Institutsvorständin 2010 in die Wege geleiteten Kooperation mit der Stadtgemeinde
Gmunden, die dem IEZ zudem Büroräumlichkeiten in Gmunden zur Verfügung stellt, konnte die Eigenmittelbasis
erhöht werden.
Von den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) zu globalen Nachhaltigkeitszielen
2015 läuft die Frist der meisten Zielvorgaben der acht Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) ab, zu deren Erreichung
sich die Weltgemeinschaft verpflichtet hat. Die Zielvorgabe der Halbierung extremer Armut, also der Anzahl der
Menschen, die mit einem Einkommen von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen, wurde bereits 2010
erreicht. Erfolge sind auch beim Zugang zu einer verbesserten Trinkwasserversorgung, bei der Bekämpfung von
Malaria und Tuberkulose, beim Rückgang der Anteil der Slumbewohner in den Metropolen, sowie der Schuldenlast
als auch hinsichtlich eines verbesserten Handelsklimas zu vermelden. Trotz sichtbaren Verbesserungen in manchen
Bereichen sind allerdings noch gezieltere Maßnahmen bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter
und Ermächtigung der Frauen, im Bereich der Kindersterblichkeit und der Verbesserung der Gesundheit der Mütter,
beim Zugang zu Therapie und HIV/Aids-Prävention, sowie zu verbesserten Sanitäreinrichtungen, bei der
Verwirklichung des Rechts auf Grundschuldbildung, der Sicherung ökologischer Nachhaltigkeit, insbesondere
der Integration in staatlichen Politiken und Programmen sowie bei der Degradierung der natürlichen Ressourcen,
dem Verlust der biologischen Vielfalt und nicht zuletzt bei der globalen Zusammenarbeit und Entwicklung einer weltweiten
Entwicklungspartnerschaft notwendig.
Weitere, künftig noch stärker zu berücksichtigende Handlungsfelder in der Diskussion um eine Post-2015
Agenda sind Klima und Energie, nachhaltiges Ressourcenmanagement, Produktion und Konsum sowie Menschenrechte, Governance,
Frieden und Sicherheit. Konfliktträchtig bleibt die Debatte um die Paradigmen Wachstum und Nachhaltige Entwicklung.
Das Ziel der Eliminierung extremer Armut bis 2030 scheint unbestritten. Dies erfordert gleichzeitig die Bekämpfung
von Hunger und Mangelernährung, da diese Armut verursachen bzw. perpetuieren, die Gesundheit beeinträchtigen
und soziale und wirtschaftliche Kosten nach sich ziehen.
Aufbauend auf den MDGs geht es um eine ganzheitlichere, wirksamere Agenda für die erforderliche Transformation
in Richtung Nachhaltigkeit auf allen Ebenen. Die bei der UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung in Rio 2012
angestoßenen, globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) tragen der Erkenntnis Rechnung, dass soziale, wirtschaftliche
und ökologische Aspekte und Effekte untrennbar miteinander verknüpft sind - die Diskussion darüber
reicht freilich bis 1972 zurück. Dauerhaft verbesserte Lebensbedingungen für alle Menschen, Ernährungssicherung,
soziale und wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten einer Gesellschaft sowie künftiger Generationen
sind vom Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen bzw. gesunden Ökosystemen abhängig. Mit den
SDGs besteht (erneut) die Chance einer weltweiten Verpflichtung auf gemeinsame und maßgeschneiderte, verbindliche
Ziele und deren Umsetzung mittels Handlungsregeln, -strategien und wirksamer Maßnahmen innerhalb festgelegter
Zeitpläne. Silodenken, isolierte Lösungsansätze und Symptombekämpfung haben in einer immer
komplexeren und vernetzteren Welt keinen Platz mehr.
Der Kampf gegen Hunger und Mangelernährung behält auch nach 2015 oberste Priorität.
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hungert einer von acht Menschen;
und über zwei Milliarden Menschen leiden an "verborgenem Hunger", d.h. es mangelt an zentralen Mikronährstoffen
wie Eisen, Vitamin A und Zink. Trotz Fortschritten in der Hungerbekämpfung wird 2015 das erste Millenniumsentwicklungsziel
- zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen zu halbieren, die Hunger leiden - nicht erreicht. Dennoch gilt
die Ausrottung von Hunger und Mangelernährung bis 2025 als erreichbares Ziel. Dies erfordert einen Mix aus
umfassenden und langfristig angelegten, kontextspezifischen und evidenzbasierten, Agrar- und Ernährungspolitiken,
sozialen Schutzstrategien sowie einer verstärkten Partnerschaft auf Augenhöhe - nicht zuletzt angesichts
der Klimaveränderung mit besonderem Augenmerk auf die ökologische Nachhaltigkeit.
Dabei geht es weniger um die Entwicklung neuer Ansätze, sondern darum, auf Bewährtes aufzubauen, die
Potentiale der Menschen - insbesondere der Kleinbäuerinnen - zu fördern und ihre Ressourcenbasis zu stärken,
ihr traditionelles Wissen, lokale Erfahrungen und Praktiken sowie "moderne" wissenschaftliche Erkenntnisse
zu nutzen und bislang von einander isolierte Bereiche zusammenzudenken. Dazu benötigt es entsprechend förderliche
politisch-institutionelle, sozio-kulturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Das IEZ nimmt diese Herausforderungen für die nächsten 25 Jahre an.
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