Opposition ortet zu großen politischen Einfluss auf den ORF
Wien (pk) - Dass das Thema Europa angesichts der bevorstehenden EU-Wahlen in der politischen Diskussion
an Bedeutung gewinnt, zeigte sich in der Sitzung des Bundesrats vom 10.04. Nachdem der burgenländische Landeshauptmann
Hans Niessl bereits heute Vormittag auf die positiven Auswirkungen des österreichischen EU-Beitritts auf das
Burgenland hingewiesen hatte und die EU auch in anderen Debatten eine wichtige Rolle spielte, führte ein EU-Bericht
von Bundeskanzler Werner Faymann zu einer Grundsatzdebatte über die Bedeutung der Union.
Zunächst verhandelte der Bundesrat allerdings über eine Novelle zum ORF-Gesetz und eine Änderung
jenes Abschnitts des Publizistikförderungsgesetzes , der die Förderung der Parteiakademien regelt. Zum
einen hat der Nationalrat beschlossen, letzte Verweise auf die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Faxwahl von
sechs Mitgliedern des Publikumsrats aus dem ORF-Gesetz zu streichen und dem Publikumsrat bei der Entsendung von
sechs Stiftungsräten freie Hand zu gewähren. Zum anderen wird die Auszahlung der zweiten jährlichen
Fördertranche für Parteiakademien vom 15. April auf den 1. Juli verlegt. Beide Beschlüsse passierten
den Bundesrat mehrheitlich ohne Einspruch.
In der Debatte bedauerte Bundesrat Werner Herbert (F/N), dass die durch das VfGH-Erkenntnis notwendige Gesetzesänderung
nicht dazu genutzt wurde, um eine grundlegende Diskussion über das ORF-Gesetz zu führen. Es bestehe einiger
Verbesserungsbedarf, was das Zurückdrängen des politischen Einflusses auf den ORF betrifft, meinte er.
Statt dem entgegenzuwirken, werde die politische Einflussnahme durch die neuen Entsendungsmodalitäten für
die sechs Stiftungsräte aus dem Publikumsrat noch verstärkt.
Auch Bundesrat Marco Schreuder (G/W) ortet zu großen politischen Einfluss im ORF. Man müsse sich überlegen,
wie öffentlich-rechtlicher Rundfunk funktionieren könne, ohne dass das eine parteipolitische Sache wird,
sagte er. Aus formal-technischen Gründen lehnte Schreuder die Änderung des Publizistikförderungsgesetzes
ab.
Zustimmung zum ORF-Gesetz kam hingegen von den BundesrätInnen Elisabeth Grimling (S/W) und Bernhard Ebner
(V/N). Eine Faxwahl sei in der heutigen Zeit überholt, ist Ebner überzeugt. Große Bedeutung misst
der niederösterreichische Bundesrat der Programmqualität des ORF bei. Zudem hat der ORF seiner Meinung
nach die Aufgabe, Regionalität zu gewährleisten.
Kanzleramtsminister Josef Ostermayer erinnerte Bundesrat Herbert daran, dass die derzeitige Struktur des ORF aus
der Zeit der schwarz-blauen Koalition stamme. In der vergangenen Legislaturperiode habe eine breit angelegte Arbeitsgruppe
über eine Strukturreform beim ORF diskutiert und im Zuge dessen auch internationale Vergleiche angestellt,
skizzierte er. Für seine Überlegungen, den Stiftungsrat deutlich zu verkleinern und im Gegenzug den Publikumsrat
zu vergrößern, habe sich letztlich aber keine Mehrheit abgezeichnet.
Einstimmige Kenntnisnahme der Tätigkeitsberichte des VfGH und des VwGH
Einstimmig zur Kenntnis nahmen die BundesrätInnen die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofs
(VwGH) und des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) 2012. Beide Gerichtshöfe verweisen auf weiterhin enormen Arbeitsanfall
und begrüßen die mittlerweile erfolgte Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Die Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit hoben auch die Bundesräte Reinhard Todt (S/W)
und Magnus Brunner (V/V) hervor. Durch die neuen Verwaltungsgerichte würden die BürgerInnen nicht nur
schnellere Entscheidungen in strittigen Rechtsfragen erhalten, auch der Wirtschaftsstandort Österreich werde
gestärkt, sagte Todt. Bundesrat Brunner sprach von einem "epochalen Schritt", auch der Übergang
hat ihm zufolge, zumindest in den Ländern, gut funktioniert.
Todt ging in seiner Rede außerdem auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung
ein und zeigte sich darüber erfreut. Er sprach von "einem Sieg des Grundrechts".
Bundesrat Hermann Brückl (F/O) machte geltend, dass es sich noch nicht abschätzen lasse, welche Auswirkungen
die neuen Verwaltungsgerichte auf den Arbeitsanfall beim VfGH und beim VwGH haben werden. Es sei noch zu früh,
um eine positive Bilanz zu ziehen, meinte er. Was die Tätigkeitsberichte 2012 betrifft, wies Brückl darauf
hin, dass der Verwaltungsgerichtshof im Berichtszeitraum erstmals seit langem mehr Fälle erledigen konnte
als neu angefallen sind. Damit habe ein Teil des Aktenrückstands abgebaut werden können.
Bundesrätin Heidelinde Reiter (G/S) äußerte großes Lob für den Verfassungsgerichtshof
und wertete es als positiv, dass es 2012 gelungen sei, die verstreuten Standorte des VfGH an einem neuen Standort
zusammenzufassen. Reiter verwies zudem auf die positive Haltung von VfGH-Präsident Gerhart Holzinger, was
eine Reform der Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse des Nationalrats nach deutschem Vorbild
betrifft. Holzinger könne sich vorstellen, dass der VfGH bei größeren Streitfällen als Streitschlichter
fungiere, unterstrich sie.
Ostermayer: EU ist wichtige Plattform für Interessenausgleich
Ein Bericht des Bundeskanzlers über aktuelle EU-Vorhaben führte zu einer breiten Grundsatzdebatte über
die Europäische Union. So nutzte der niederösterreichische FPÖ-Bundesrat Werner Herbert die Diskussion
dazu, um die Kritik seiner Fraktion an der EU zu bekräftigen. Er liest aus dem Bericht unter anderem heraus,
dass die EU eine Ideologiebehörde einrichten will, um angepasste EU-Länder finanziell belohnen und EU-kritische
Mitgliedsländer mit kritischen, "freigeistigen" Parteien bestrafen zu können. Außerdem
ortet er weitere Tendenzen, um einen zentralistischen EU-Staat einzurichten und den Datenschutz noch mehr als bisher
auszuhöhlen.
Bundesrat Reinhard Todt (S/W) bekannte sich demgegenüber klar zur Europäischen Union und sprach sich
unter anderem für eine Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments aus. Die Entscheidung des
EuGH zur Vorratsdatenspeicherung zeigt für ihn, dass es eine EU-Institution gibt, die eingreift, wenn es zu
einer Überregulierung kommt. Weitere Anstrengungen hält Todt zur Umsetzung der Strategie für Wachstum
und Beschäftigung für notwendig. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit in Europa müsse verstärkt
bekämpft werden.
Bundesrat Andreas Pum (V/N) hob die Vielfältigkeit des EU-Arbeitsprogramms hervor, angefangen vom Programm
für Wachstum und Beschäftigung bis hin zur Stärkung der Bürgerrechte. Besonderes Augenmerk
richtete er auf die Energiepolitik der Union, die unter anderem auf einen autarken Energiemarkt und eine ambitionierte
Reduktion von Treibhausgasemissionen abzielt. Auch der Regionalpolitik misst Pum eine große Bedeutung bei,
diese ist für ihn ein Schlüssel für ein funktionierendes Europa.
Bundesrat Marco Schreuder (G/W) warf FPÖ-Bundesrat Herbert undifferenzierte Kritik an der EU vor. Er selbst
kritisiere auch immer wieder Initiativen einzelner EU-VertreterInnen oder einzelner EU-Institutionen, sagte er,
"die EU" als solche existiere aber nur in einer "Verschwörungswolke". Zum vorliegenden
Bericht merkte Schreuder an, dieser zeige die offensichtliche Mühseligkeit, zu einer neuen Datenschutz-Verordnung
in der EU zu kommen. Mehr Datenschutz hält er unter anderem in sozialen Netzwerken wie Facebook für erforderlich.
Ausdrücklich begrüßte Schreuder das EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung.
Bundesrat Gerhard Schödinger (V/N) ging auf Probleme der Raumordnung ein. Er sprach sich ungeachtet der nationalen
Kompetenzen bei Raumordnungsfragen dafür aus, in grenznahen Regionen zumindest einen grenzüberschreitenden
Konsultationsmechanismus vorzusehen. Als Bürgermeister einer Gemeinde nahe Bratislava sei er damit konfrontiert,
dass 20-stöckige Hochhäuser in unmittelbarer Nähe kleiner Wochenendhütten stehen, schilderte
er.
Verstärkte Anstrengungen forderte Schödinger zur Reintegration von Roma und Sinti in die Gesellschaft
ein. Nicht überall in der EU gebe es ein ausreichendes Problembewusstsein, bedauerte er. Auch Bundesrätin
Heidelinde Reiter (G/S) sprach das Thema Roma und Sinti an und mahnte konkrete Schritte ein, um der verbreiteten
Armutsmigration solidarisch zu begegnen.
Kanzleramtsminister Josef Ostermayer zeigte kein Verständnis für eine generelle Ablehnung der EU. Es
sei eine große Leistung der EU, eine Plattform für Interessensausgleich zu sein und damit wesentlich
zu einem friedlichen Europa beizutragen, betonte er und appellierte an die KritikerInnen, sich für eine Verbesserung
und nicht für eine Aushöhlung der EU einzusetzen.
Dass Entscheidungsfindungen in der EU oft zu lange dauern, ist für Ostermayer evident, im Sinne des Interessensausgleichs
aber auch verständlich. Jeder wolle schnellere Entscheidungen, aber nur dann, wenn das Ziel dem eigenen Interesse
entspricht, jeder sei für die Abschaffung unnötiger Regelungen, aber nur solcher, die man selbst für
unnötig erachte, umriss er das Dilemma. So hätten nicht alle EU-Staaten das gleiche Interesse an einem
strengen Datenschutz wie Österreich.
Zur Situation der heimischen Roma und Sinti merkte Ostermayer an, Österreich habe bereits sehr viel getan,
es müsse aber an weiteren Verbesserungen gearbeitet werden.
Dass das Projekt Europa "ungeheuer anstrengend" ist, das räumte auch der oberösterreichische
Bundesrat Gottfried Kneifel (V) ein. Seiner Meinung nach führt angesichts der zahlreichen Errungenschaften
– Freiheit, Rechtssicherheit, Demokratie, breiter Wohlstand und eine offene Gesellschaft – aber kein Weg an der
EU vorbei. Man solle sich trotz aller berechtigter Kritik nicht in Kleinigkeiten verrennen, mahnte er.
Der grundsätzlich positiven Bewertung der EU wollte sich die Wiener FPÖ-Bundesrätin Monika Mühlwerth
allerdings nicht anschließen. Sie machte geltend, dass die FPÖ mit ihrer Kritik an der Union nicht allein
sei, man müsse die Menschen, die sehr kritisch seien und berechtigte Ängste hätten, ernst nehmen.
Der EU-Bericht des Bundeskanzleramts wurde mit Stimmenmehrheit zur Kenntnis genommen.
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