"AKW Temelin - Wie geht's weiter?"

 

erstellt am
29. 04. 14
11.30 MEZ

Der schmale Grat zwischen Ausstieg und Renaissance der Atomkraft in Europa"
Linz (lk) - Ein wichtiger Etappensieg im Kampf gegen einen grenznahen AKW-Ausbau ist geschafft - die tschechische Atomlobby gibt sich aber noch nicht geschlagen.
Am 10. April beendete das tschechische Energieunternehmen CEZ das seit 2009 laufende Ausschreibungsverfahren für den Bau der Temelin-Blöcke 3 & 4. Einen Tag nachdem die tschechische Regierung verkündete, keine staatlichen Finanz-Garantien für den Bau zu geben. Nur mehr zwei Bieter waren im Rennen, Westinghouse und das Russisch-Tschechische Konsortium MIR 1200. Die Reaktionen auf diese Absage fielen sehr unterschiedlich aus, wenngleich vor allem die Aussagen des Regierungschefs eines klar machen: Das endgültige Aus für den Temelin-Ausbau war diese Absage noch nicht, erst wenn die Unwirtschaftlichkeit der Atomkraft von allen Beteiligten anerkannt wird, ist die Gefahr einer Renaissance der Atomenergie endgültig Geschichte - wesentlicher Schritt dorthin ist die Entscheidung der EU-Kommission über staatliche Beihilfen (Contract for Difference) beim britischen AKW-Projekt Hinkley Point. CEZ-CEO Daniel Benes sieht in einem Statement auf Grund der Marktsituation - im Gegensatz zu vor ein paar Jahren - alle AKW-Projekte in Gefahr, sie würden sich wirtschaftlich nicht mehr rechnen, obwohl der jetzige Schritt aus seiner Sicht "keinen endgültigen Stopp der AKW-Neubauten in Tschechien bedeutet". Jetzt würde sich CEZ aber vorerst einer Betriebsverlängerung für Dukovany intensiv widmen. Generell betont er auch, dass CEZ den Zug moderner Energie-Technologien nicht versäumen dürfe, dass Veränderungen anstehen und CEZ eventuell auf kleine Kraftwerke umschwenken wird.

Die Absage des Tenders - ein großer Etappenerfolg, aber noch keine endgültige Entscheidung. Zumindest drei Jahre wurden dadurch gewonnen, die jetzt mit aller Kraft genützt werden müssen, um Öffentlichkeit und Entscheidungsträger von Gefahren und Unwirtschaftlichkeit der Atomenergie zu überzeugen. Es bedarf jetzt noch verstärkt des von LR Anschober schon eingesetzten wirtschaftlichen Hebels gegen eine Zukunft der Atomkraft - hierzu werden sich bei der Großkonferenz in Prag morgen, Dienstag, die renommiertesten Energieökonom/innen Europas positionieren. Und natürlich geht der Kampf gegen das Beispielprojekt "Contract for Difference" für Hinkley Point weiter - dies ist eine historische Weichenstellung in der EU für einen schrittweisen Atomausstieg oder eine Renaissance der Atomenergie dank Milliardensubventionen zu Lasten der Konsument/innen!

Regierung setzt bis Jahresende neues Energiekonzept auf
Die tschechische Regierung reagierte auf die Absage des Tenders durch CEZ mit der Bekräftigung, generell weiter auf Atomenergie setzen zu wollen, jedoch ohne Einbindung jeglichen Typs der Staatsgarantie. Ein neues, langfristiges Energiekonzept soll noch bis Jahresende vorgelegt werden.
Das letzte Energiekonzept hatte die Temelin-Blöcke 3 & 4 ebenso vorgesehen wie eine Laufzeitverlängerung für alle sechs bestehenden Reaktoren in Temelin und Dukovany.

Von der Regierung wurden das Industrieministerium und das Finanzministerium im Zuge eines Regierungsbeschlusses vom 9. April weiters aufgefordert, die nächsten Schritte für die Zukunft der Atomenergie in Tschechien festzulegen.

Industrieminister Jan Mladek erklärte, sein Ministerium arbeite bereits an einer Option, wonach ein neues staatsnahes Unternehmen den Bau der Temelin-Reaktoren übernehmen könnte, innerhalb dessen "das Problem der Minderheiten-Stimmrechte (Anm.: wie bei CEZ) vermieden werden könnte" - obwohl ein Regierungsbeschluss Staatsgarantien eigentlich ausgeschlossen hat. Außerdem kritisierte Mladek die Entwicklungen des nun abgesagten Temelin-Ausschreibungsverfahrens: "Möglicherweise war es zu ambitioniert, zwei neue Reaktoren zeitgleich erbauen zu wollen. Ein neues Tender-Verfahren könnte vorerst nur einen Reaktor in Temelin vorsehen und später einen weiteren in Dukovany."

Überliefert werden auch Überlegungen, wonach CEZ in den nächsten Jahren selbst ein neues Ausschreibungsverfahren ausrufen könnte - mit der Chance auf neue Bieter. Dafür plädierte auch der tschechische Präsident Zeman, er wünschte die erneute Teilnahme von Areva und von koreanischen Firmen am Bieter-Verfahren. Seine Stellungnahe blieb seitens der Regierung unkommentiert.

Weitere Schritte von CEZ oder der Regierung sind für heuer nicht mehr zu erwarten. Wird das neue Energiekonzept bis 31. Dezember vorgelegt, so würde es im kommenden Jahr diskutiert. Entscheidet man dann für einen neuen Tender, müssten die Auflagen und Anforderungen neu festgelegt werden - dies dürfte vor einem Zeitablauf von drei Jahren nicht passieren.


Unterschiedliche Reaktionen der beiden Bieter
Das Russische Nuklearunternehmen Rosatom, Teil des Bieter-Konsortiums MIR 1200, hat in einer ersten Reaktion noch am 10. April veröffentlicht, auf das Energiekonzept Tschechiens bis voraussichtlich Jahresende zu warten, um dann jedenfalls Teil der Umsetzung des Konzepts zu sein.

Erst am 14. April zeigte sich der zweite noch im Verfahren verbliebene Bieter, Westinghouse "sehr enttäuscht" von der Absage. In einem Statement interpretierte das Unternehmen den Abbruch als "Negierung der hohen Sicherheit sowie der Vorteile für Umwelt und Wirtschaft, die mit der AP1000 Reaktor-Technologie einhergehen."


Gemeinden fürchten um ihre Vorteile - bitten jetzt Staat zur Kasse
Nach der Absage des Tender-Verfahrens fürchten einige Gemeinden in Temelin-Nähe um die erwarteten erträglichen Einkünfte und Verbesserungen bzw. haben gar in den letzten Jahren Kosten auf sich genommen, um dann vom Kraftwerksbau zu profitieren. Reparaturen von Straßen oder Straßen-Umfahrungen, die von CEZ mit rund 2 Mrd. Kronen finanziert werden sollten; Investitionen in die Gemeindekassen in Millionen-Kronen-Höhe jährlich oder umgekehrt aufrechterhaltene Unterkünfte, Kindergärten oder Schulen für die erwarteten Arbeitskräfte, die nun eventuell umsonst Geld gekostet haben. Einnahmen oder Infrastruktur-Verbesserungen, die nach der Tender-Absage nun wieder in weitere Ferne gerückt sind; in der Region geht man davon aus, dass CEZ versuchen wird, die Rahmenverträge mit den Gemeinden für den Bau der Blöcke 3 & 4 aufzukündigen.

Mehr als 20 Gemeinden in der 13 km-breiten Havariezone rund um das AKW Temelin haben sich daher nun zu einer Vereinigung zusammengeschlossen und wollen von der Regierung per Gesetz erwirken, dass Kompensationszahlungen jetzt durch den Staatshaushalt zu leisten sind. Der Fokus auf den Ausbau und die daraus resultierenden Investitionen durch CEZ entfällt also, die Gemeinden suchen nun die Sicherheit beim Staat, sodass trotzdem Geld fließt.

Richtungsweisend: EU-Kommissions-Entscheidung über Hinkley Point
Die öffentliche Konsultationsfrist im Zuge der Entscheidung der EU-Kommission über beantragte staatliche Beihilfen für das britische AKW-Projekt Hinkley Point C endete am 7. April. Ein Proteststurm, u.a. von der Republik Österreich, Ländern wie Oberösterreich, NGOs, Bürger/innen über Petitionen, der Wirtschaft, von Mitgliedern des Europäischen Parlaments, vom deutschen Bundestag, u. v. m. ist bei der Kommission eingegangen. Darunter sind auch massive Bedenken von Schottland, das sich gegen das gesamtbritische AKW-Projekt stellt.

Die Kommission war schon von Beginn an skeptisch, kündigte eine vertiefte Prüfung an, übernahm die Kritikpunkte einer vom Oö. Umwelt- und Energie-Ressort beauftragten Studie des Linzer Europarechts-Experten Prof. Leidenmühler, wonach das britische Ansuchen für einen Contract for Difference einer verbotenen Beihilfe gemäß Art 107 Abs 1 AEUV entspricht.

Ab Verfahrensbeginn strebt die Kommission eine Entscheidung innerhalb von 18 Monaten an, entspräche einer Beschlussfassung im Sommer 2015, lt. Informationen könnte es aber schon im Sommer dieses Jahres zu einer Entscheidung kommen.

LR Anschober: "Dies wird eine historische Weichenstellung. Genehmigt die Kommission die Subvention, dann droht eine Renaissance der Atomenergie in Europa und auch ein neuer Anlauf der Atomlobby für Temelin 3 & 4. Gelingt es uns, die Milliardensubvention zu stoppen, dann ist dies das endgültige Aus für Temelin 3 & 4 und der Einstieg in den europaweiten Atomausstieg. Denn dann werden keine neuen AKW mehr errichtet und die in Betrieb befindlichen AKW kommen in die Jahre und werden in den nächsten 2 -3 Jahrzehnten schrittweise vom Netz genommen."

Die Info-Kampagne in Tschechien muss weitergehen
Es heißt also auch in den nächsten Wochen: Den wirtschaftlichen Hebel ansetzen, die enorme Unwirtschaftlichkeit der Atomkraft, ein Milliardengrab zu Lasten der Stromkund/innen aufzuzeigen. Mit Unterstützung von Umwelt- und Energie-Landesrat Rudi Anschober veranstalten tschechische NGOs daher schon morgen, Dienstag, 29. April eine Informationsveranstaltung in Prag, "Nuclear Energy Conference 2014", unter dem Blickpunkt der wirtschaftlichen Grenzen der Kernenergie.

LR Anschober: "Jetzt müssen wir mit dem Etappensieg der Tender-Absage im Rücken unser Engagement weiter verstärken, um ein endgültiges Aus der Atomenergie in Europa zu erreichen. Unerlässlich dazu: Die konsequente weitere Verstärkung der Informationsarbeit in Tschechien und in ganz Europa, u.a. durch diese Konferenz. Die Unwirtschaftlichkeit der Atomenergie und die exorbitanten Auswirkungen auf Steuerzahler/innen und Stromkund/innen können von niemandem mehr verleugnet werden - dies wird auch die klare Botschaft der Expert/innen bei der Nuclear Energy Conference sein."

Renaissance oder Ausstieg aus der Atomkraft?
Expert/innen und Beobachter/innen der Atom-Szene sind sich sicher: Der EU-weite Ausstieg aus der Atomenergie wird nicht durch Proteste und Blockaden - und bilaterale Verstimmungen - ausgelöst werden, sondern durch wirtschaftliche Faktoren, Wissenschaft und Fortschritt.

LR Anschober: "Mein Ansatz, ganz auf den wirtschaftlichen Hebel gegen Atomkraft zu setzen, geht immer mehr auf. Trifft nun auch die EU-Kommission ihre Entscheidung gegen staatliche Beihilfen für Hinkley Point, gibt es keinen Weg mehr für Energieunternehmen Atomkraft wirtschaftlich darstellen zu können - das Risiko inkl. Investitionen in Sicherheit ist zu groß, der Strombörsepreis viel zu niedrig alsdass sich eine Investition rechnen könnte."

Zudem entwickeln sich neue Technologien, Expert/innen forschen in Richtung Fortschritt der Erneuerbaren, setzen auf Energieeinsparung und -effizienz - so vermindert sich auch die Nachfrage nach Energie, der Marktpreis gibt durch zusätzliche Produktion nach.

Während in Tschechien die Bewegung Duha oder die Kammer der Erneuerbaren Energieträger schon lange den Ausstieg aus Atom, ein Ende des Vergeudens von Kohle, Gas und Erdöl fordern, kam im Jahr 2008 auch die Paces-Kommission im Auftrag der tschechischen Regierung zu einem beachtlichen Schluss: Wenn der Staat jährlich 16 Mrd. Kronen (~580 Mio. Euro) in Maßnahmen zur Energieeinsparung von Häusern, Wohnungen und öffentlichen Gebäuden investieren würde, käme Tschechien in 35 Jahren ohne den Import von Erdgas oder Kohle aus.

Vaclav Paces, ehem. Chef der Akademie der Wissenschaften, Chef der früheren Regierungskommission und heutiger Vize-Vorsitzender des CEZ-Aufsichtsrates sagt aber auch, dass Atomkraft mittelfristig nicht ersetzt werden kann - Erneuerbare könnten das Leck nach der geplanten Schließung von Dukovany und einigen Kohlekraftwerken im Jahr 2025 noch nicht füllen. Paces in einem Statement: "Die Kernkraft ist eine vorübergehende Stromquelle, bis etwas Besseres, Saubereres und Wirksameres kommt."

Momentan stehen wir an der Weggabelung zwischen einer Renaissance der Atomkraft und dem Einstieg in den Ausstieg. Bedauernswerterweise ist es weniger die jüngste Geschichte mit Fukushima oder Tschernobyl, sondern es sind wirtschaftliche Überlegungen, die zum Zaudern der Atomenergiekonzerne beitragen. Amory Lovins im Greenpeace-Magazin hält fest: "Derzeit sind 61 Kernkraftwerke im Bau. Allerdings sind von diesen 61 ganze zwölf seit über 20 Jahren ,im Bau'; für 43 steht noch kein offizieller Baubeginn fest; die Hälfte ist in Verzug (...) und kein Einziges wurde unter den Bedingungen des freien Marktes geplant."

Auch in Großbritannien hat die Sustainable Development Commission (Nachhaltigkeitskommission) im Jahr 2006 die britische Regierung über Vor- und Nachteile der Kernenergie informiert, mit eindeutigem Überhang der Nachteile: massive Investitionskosten, das Fehlen echter Lösungen zur Entsorgung der nuklearen Abfälle und für die Stilllegung von Kraftwerken, die Angst vor der Weitergabe von Kernwaffenmaterial und die Sorge um die Sicherheit. Auch größere ethische Bedenken bzgl. der Generationengerechtigkeit und das subjektive Risiko, weil die Industrie einfach davon ausgeht, dass die Regierungen schon einspringen werden, wenn etwas schiefläuft, werden als Nachteile angeführt.

Jonathan Porritt, ehem. Vorsitzender der britischen Nachhaltigkeitskommission, hält in einem Artikel des Greenpeace Magazins fest, dass diese Nachteile von den Briten nicht anerkannt wurden, die Empfehlung ignoriert wurde - und trotzdem ist er der Ansicht, dass die Atomindustrie bis ins Jahr 2052 am Ende sein wird. Aus folgenden drei Gründen:

  • Wirtschaftliche Gründe. So sehr sich die Industrie auch darum bemüht, die wahren Kosten der Kernenergie zu verschleiern, die Investoren wissen Bescheid. Und die Regierungen erklären nach und nach, keine öffentlichen Gelder für AKW-Neubauten bereitstellen zu wollen - bzw. prüft die EU-Kommission (Hinkley Point).
  • Geringe Auswirkungen auf eine CO2-arme Welt. Kernenergie trägt aktuell schon nur mehr 5,5 Prozent zur kommerziellen Primärenergie bei, durch die Abschaltung alter Reaktoren in Europa müsste dieser Anteil in den nächsten Jahren noch weiter sinken. Sollten Förderungen in die Kernkraft jene für Erneuerbare verdrängen, käme es mittelfristig zu einer Versorgungslücke, die nur durch fossile Brennstoffe zu schließen wäre - zu Lasten der CO2-Bilanz.
  • Anfälligkeit von Atomanlagen für Terrorangriffe.

 

 

 

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