Der schmale Grat zwischen Ausstieg und Renaissance der Atomkraft in Europa"
Linz (lk) - Ein wichtiger Etappensieg im Kampf gegen einen grenznahen AKW-Ausbau ist geschafft - die tschechische
Atomlobby gibt sich aber noch nicht geschlagen.
Am 10. April beendete das tschechische Energieunternehmen CEZ das seit 2009 laufende Ausschreibungsverfahren für
den Bau der Temelin-Blöcke 3 & 4. Einen Tag nachdem die tschechische Regierung verkündete, keine
staatlichen Finanz-Garantien für den Bau zu geben. Nur mehr zwei Bieter waren im Rennen, Westinghouse und
das Russisch-Tschechische Konsortium MIR 1200. Die Reaktionen auf diese Absage fielen sehr unterschiedlich aus,
wenngleich vor allem die Aussagen des Regierungschefs eines klar machen: Das endgültige Aus für den Temelin-Ausbau
war diese Absage noch nicht, erst wenn die Unwirtschaftlichkeit der Atomkraft von allen Beteiligten anerkannt wird,
ist die Gefahr einer Renaissance der Atomenergie endgültig Geschichte - wesentlicher Schritt dorthin ist die
Entscheidung der EU-Kommission über staatliche Beihilfen (Contract for Difference) beim britischen AKW-Projekt
Hinkley Point. CEZ-CEO Daniel Benes sieht in einem Statement auf Grund der Marktsituation - im Gegensatz zu vor
ein paar Jahren - alle AKW-Projekte in Gefahr, sie würden sich wirtschaftlich nicht mehr rechnen, obwohl der
jetzige Schritt aus seiner Sicht "keinen endgültigen Stopp der AKW-Neubauten in Tschechien bedeutet".
Jetzt würde sich CEZ aber vorerst einer Betriebsverlängerung für Dukovany intensiv widmen. Generell
betont er auch, dass CEZ den Zug moderner Energie-Technologien nicht versäumen dürfe, dass Veränderungen
anstehen und CEZ eventuell auf kleine Kraftwerke umschwenken wird.
Die Absage des Tenders - ein großer Etappenerfolg, aber noch keine endgültige Entscheidung. Zumindest
drei Jahre wurden dadurch gewonnen, die jetzt mit aller Kraft genützt werden müssen, um Öffentlichkeit
und Entscheidungsträger von Gefahren und Unwirtschaftlichkeit der Atomenergie zu überzeugen. Es bedarf
jetzt noch verstärkt des von LR Anschober schon eingesetzten wirtschaftlichen Hebels gegen eine Zukunft der
Atomkraft - hierzu werden sich bei der Großkonferenz in Prag morgen, Dienstag, die renommiertesten Energieökonom/innen
Europas positionieren. Und natürlich geht der Kampf gegen das Beispielprojekt "Contract for Difference"
für Hinkley Point weiter - dies ist eine historische Weichenstellung in der EU für einen schrittweisen
Atomausstieg oder eine Renaissance der Atomenergie dank Milliardensubventionen zu Lasten der Konsument/innen!
Regierung setzt bis Jahresende neues Energiekonzept auf
Die tschechische Regierung reagierte auf die Absage des Tenders durch CEZ mit der Bekräftigung, generell weiter
auf Atomenergie setzen zu wollen, jedoch ohne Einbindung jeglichen Typs der Staatsgarantie. Ein neues, langfristiges
Energiekonzept soll noch bis Jahresende vorgelegt werden.
Das letzte Energiekonzept hatte die Temelin-Blöcke 3 & 4 ebenso vorgesehen wie eine Laufzeitverlängerung
für alle sechs bestehenden Reaktoren in Temelin und Dukovany.
Von der Regierung wurden das Industrieministerium und das Finanzministerium im Zuge eines Regierungsbeschlusses
vom 9. April weiters aufgefordert, die nächsten Schritte für die Zukunft der Atomenergie in Tschechien
festzulegen.
Industrieminister Jan Mladek erklärte, sein Ministerium arbeite bereits an einer Option, wonach ein neues
staatsnahes Unternehmen den Bau der Temelin-Reaktoren übernehmen könnte, innerhalb dessen "das Problem
der Minderheiten-Stimmrechte (Anm.: wie bei CEZ) vermieden werden könnte" - obwohl ein Regierungsbeschluss
Staatsgarantien eigentlich ausgeschlossen hat. Außerdem kritisierte Mladek die Entwicklungen des nun abgesagten
Temelin-Ausschreibungsverfahrens: "Möglicherweise war es zu ambitioniert, zwei neue Reaktoren zeitgleich
erbauen zu wollen. Ein neues Tender-Verfahren könnte vorerst nur einen Reaktor in Temelin vorsehen und später
einen weiteren in Dukovany."
Überliefert werden auch Überlegungen, wonach CEZ in den nächsten Jahren selbst ein neues Ausschreibungsverfahren
ausrufen könnte - mit der Chance auf neue Bieter. Dafür plädierte auch der tschechische Präsident
Zeman, er wünschte die erneute Teilnahme von Areva und von koreanischen Firmen am Bieter-Verfahren. Seine
Stellungnahe blieb seitens der Regierung unkommentiert.
Weitere Schritte von CEZ oder der Regierung sind für heuer nicht mehr zu erwarten. Wird das neue Energiekonzept
bis 31. Dezember vorgelegt, so würde es im kommenden Jahr diskutiert. Entscheidet man dann für einen
neuen Tender, müssten die Auflagen und Anforderungen neu festgelegt werden - dies dürfte vor einem Zeitablauf
von drei Jahren nicht passieren.
Unterschiedliche Reaktionen der beiden Bieter
Das Russische Nuklearunternehmen Rosatom, Teil des Bieter-Konsortiums MIR 1200, hat in einer ersten Reaktion
noch am 10. April veröffentlicht, auf das Energiekonzept Tschechiens bis voraussichtlich Jahresende zu warten,
um dann jedenfalls Teil der Umsetzung des Konzepts zu sein.
Erst am 14. April zeigte sich der zweite noch im Verfahren verbliebene Bieter, Westinghouse "sehr enttäuscht"
von der Absage. In einem Statement interpretierte das Unternehmen den Abbruch als "Negierung der hohen Sicherheit
sowie der Vorteile für Umwelt und Wirtschaft, die mit der AP1000 Reaktor-Technologie einhergehen."
Gemeinden fürchten um ihre Vorteile - bitten jetzt Staat zur Kasse
Nach der Absage des Tender-Verfahrens fürchten einige Gemeinden in Temelin-Nähe um die erwarteten erträglichen
Einkünfte und Verbesserungen bzw. haben gar in den letzten Jahren Kosten auf sich genommen, um dann vom Kraftwerksbau
zu profitieren. Reparaturen von Straßen oder Straßen-Umfahrungen, die von CEZ mit rund 2 Mrd. Kronen
finanziert werden sollten; Investitionen in die Gemeindekassen in Millionen-Kronen-Höhe jährlich oder
umgekehrt aufrechterhaltene Unterkünfte, Kindergärten oder Schulen für die erwarteten Arbeitskräfte,
die nun eventuell umsonst Geld gekostet haben. Einnahmen oder Infrastruktur-Verbesserungen, die nach der Tender-Absage
nun wieder in weitere Ferne gerückt sind; in der Region geht man davon aus, dass CEZ versuchen wird, die Rahmenverträge
mit den Gemeinden für den Bau der Blöcke 3 & 4 aufzukündigen.
Mehr als 20 Gemeinden in der 13 km-breiten Havariezone rund um das AKW Temelin haben sich daher nun zu einer
Vereinigung zusammengeschlossen und wollen von der Regierung per Gesetz erwirken, dass Kompensationszahlungen jetzt
durch den Staatshaushalt zu leisten sind. Der Fokus auf den Ausbau und die daraus resultierenden Investitionen
durch CEZ entfällt also, die Gemeinden suchen nun die Sicherheit beim Staat, sodass trotzdem Geld fließt.
Richtungsweisend: EU-Kommissions-Entscheidung über Hinkley Point
Die öffentliche Konsultationsfrist im Zuge der Entscheidung der EU-Kommission über beantragte staatliche
Beihilfen für das britische AKW-Projekt Hinkley Point C endete am 7. April. Ein Proteststurm, u.a. von der
Republik Österreich, Ländern wie Oberösterreich, NGOs, Bürger/innen über Petitionen, der
Wirtschaft, von Mitgliedern des Europäischen Parlaments, vom deutschen Bundestag, u. v. m. ist bei der Kommission
eingegangen. Darunter sind auch massive Bedenken von Schottland, das sich gegen das gesamtbritische AKW-Projekt
stellt.
Die Kommission war schon von Beginn an skeptisch, kündigte eine vertiefte Prüfung an, übernahm die
Kritikpunkte einer vom Oö. Umwelt- und Energie-Ressort beauftragten Studie des Linzer Europarechts-Experten
Prof. Leidenmühler, wonach das britische Ansuchen für einen Contract for Difference einer verbotenen
Beihilfe gemäß Art 107 Abs 1 AEUV entspricht.
Ab Verfahrensbeginn strebt die Kommission eine Entscheidung innerhalb von 18 Monaten an, entspräche einer
Beschlussfassung im Sommer 2015, lt. Informationen könnte es aber schon im Sommer dieses Jahres zu einer Entscheidung
kommen.
LR Anschober: "Dies wird eine historische Weichenstellung. Genehmigt die Kommission die Subvention, dann droht
eine Renaissance der Atomenergie in Europa und auch ein neuer Anlauf der Atomlobby für Temelin 3 & 4.
Gelingt es uns, die Milliardensubvention zu stoppen, dann ist dies das endgültige Aus für Temelin 3 &
4 und der Einstieg in den europaweiten Atomausstieg. Denn dann werden keine neuen AKW mehr errichtet und die in
Betrieb befindlichen AKW kommen in die Jahre und werden in den nächsten 2 -3 Jahrzehnten schrittweise vom
Netz genommen."
Die Info-Kampagne in Tschechien muss weitergehen
Es heißt also auch in den nächsten Wochen: Den wirtschaftlichen Hebel ansetzen, die enorme Unwirtschaftlichkeit
der Atomkraft, ein Milliardengrab zu Lasten der Stromkund/innen aufzuzeigen. Mit Unterstützung von Umwelt-
und Energie-Landesrat Rudi Anschober veranstalten tschechische NGOs daher schon morgen, Dienstag, 29. April eine
Informationsveranstaltung in Prag, "Nuclear Energy Conference 2014", unter dem Blickpunkt der wirtschaftlichen
Grenzen der Kernenergie.
LR Anschober: "Jetzt müssen wir mit dem Etappensieg der Tender-Absage im Rücken unser Engagement
weiter verstärken, um ein endgültiges Aus der Atomenergie in Europa zu erreichen. Unerlässlich dazu:
Die konsequente weitere Verstärkung der Informationsarbeit in Tschechien und in ganz Europa, u.a. durch diese
Konferenz. Die Unwirtschaftlichkeit der Atomenergie und die exorbitanten Auswirkungen auf Steuerzahler/innen und
Stromkund/innen können von niemandem mehr verleugnet werden - dies wird auch die klare Botschaft der Expert/innen
bei der Nuclear Energy Conference sein."
Renaissance oder Ausstieg aus der Atomkraft?
Expert/innen und Beobachter/innen der Atom-Szene sind sich sicher: Der EU-weite Ausstieg aus der Atomenergie
wird nicht durch Proteste und Blockaden - und bilaterale Verstimmungen - ausgelöst werden, sondern durch wirtschaftliche
Faktoren, Wissenschaft und Fortschritt.
LR Anschober: "Mein Ansatz, ganz auf den wirtschaftlichen Hebel gegen Atomkraft zu setzen, geht immer mehr
auf. Trifft nun auch die EU-Kommission ihre Entscheidung gegen staatliche Beihilfen für Hinkley Point, gibt
es keinen Weg mehr für Energieunternehmen Atomkraft wirtschaftlich darstellen zu können - das Risiko
inkl. Investitionen in Sicherheit ist zu groß, der Strombörsepreis viel zu niedrig alsdass sich eine
Investition rechnen könnte."
Zudem entwickeln sich neue Technologien, Expert/innen forschen in Richtung Fortschritt der Erneuerbaren, setzen
auf Energieeinsparung und -effizienz - so vermindert sich auch die Nachfrage nach Energie, der Marktpreis gibt
durch zusätzliche Produktion nach.
Während in Tschechien die Bewegung Duha oder die Kammer der Erneuerbaren Energieträger schon lange den
Ausstieg aus Atom, ein Ende des Vergeudens von Kohle, Gas und Erdöl fordern, kam im Jahr 2008 auch die Paces-Kommission
im Auftrag der tschechischen Regierung zu einem beachtlichen Schluss: Wenn der Staat jährlich 16 Mrd. Kronen
(~580 Mio. Euro) in Maßnahmen zur Energieeinsparung von Häusern, Wohnungen und öffentlichen Gebäuden
investieren würde, käme Tschechien in 35 Jahren ohne den Import von Erdgas oder Kohle aus.
Vaclav Paces, ehem. Chef der Akademie der Wissenschaften, Chef der früheren Regierungskommission und heutiger
Vize-Vorsitzender des CEZ-Aufsichtsrates sagt aber auch, dass Atomkraft mittelfristig nicht ersetzt werden kann
- Erneuerbare könnten das Leck nach der geplanten Schließung von Dukovany und einigen Kohlekraftwerken
im Jahr 2025 noch nicht füllen. Paces in einem Statement: "Die Kernkraft ist eine vorübergehende
Stromquelle, bis etwas Besseres, Saubereres und Wirksameres kommt."
Momentan stehen wir an der Weggabelung zwischen einer Renaissance der Atomkraft und dem Einstieg in den Ausstieg.
Bedauernswerterweise ist es weniger die jüngste Geschichte mit Fukushima oder Tschernobyl, sondern es sind
wirtschaftliche Überlegungen, die zum Zaudern der Atomenergiekonzerne beitragen. Amory Lovins im Greenpeace-Magazin
hält fest: "Derzeit sind 61 Kernkraftwerke im Bau. Allerdings sind von diesen 61 ganze zwölf seit
über 20 Jahren ,im Bau'; für 43 steht noch kein offizieller Baubeginn fest; die Hälfte ist in Verzug
(...) und kein Einziges wurde unter den Bedingungen des freien Marktes geplant."
Auch in Großbritannien hat die Sustainable Development Commission (Nachhaltigkeitskommission) im Jahr 2006
die britische Regierung über Vor- und Nachteile der Kernenergie informiert, mit eindeutigem Überhang
der Nachteile: massive Investitionskosten, das Fehlen echter Lösungen zur Entsorgung der nuklearen Abfälle
und für die Stilllegung von Kraftwerken, die Angst vor der Weitergabe von Kernwaffenmaterial und die Sorge
um die Sicherheit. Auch größere ethische Bedenken bzgl. der Generationengerechtigkeit und das subjektive
Risiko, weil die Industrie einfach davon ausgeht, dass die Regierungen schon einspringen werden, wenn etwas schiefläuft,
werden als Nachteile angeführt.
Jonathan Porritt, ehem. Vorsitzender der britischen Nachhaltigkeitskommission, hält in einem Artikel des Greenpeace
Magazins fest, dass diese Nachteile von den Briten nicht anerkannt wurden, die Empfehlung ignoriert wurde - und
trotzdem ist er der Ansicht, dass die Atomindustrie bis ins Jahr 2052 am Ende sein wird. Aus folgenden drei Gründen:
- Wirtschaftliche Gründe. So sehr sich die Industrie auch darum bemüht,
die wahren Kosten der Kernenergie zu verschleiern, die Investoren wissen Bescheid. Und die Regierungen erklären
nach und nach, keine öffentlichen Gelder für AKW-Neubauten bereitstellen zu wollen - bzw. prüft
die EU-Kommission (Hinkley Point).
- Geringe Auswirkungen auf eine CO2-arme Welt. Kernenergie trägt aktuell schon
nur mehr 5,5 Prozent zur kommerziellen Primärenergie bei, durch die Abschaltung alter Reaktoren in Europa
müsste dieser Anteil in den nächsten Jahren noch weiter sinken. Sollten Förderungen in die Kernkraft
jene für Erneuerbare verdrängen, käme es mittelfristig zu einer Versorgungslücke, die nur durch
fossile Brennstoffe zu schließen wäre - zu Lasten der CO2-Bilanz.
- Anfälligkeit von Atomanlagen für Terrorangriffe.
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