Wien (rk) - Wienerinnen und Wiener auf Arbeitsuche haben oft ganz spezifische Herausforderungen, die sich in
Zusammenhang mit der Arbeitsuche ergeben, zu meistern. Die ständige Verbesserung der Unterstützungsangebote
für arbeitsuchende Personen ist ein wichtiges Anliegen von Arbeiterkammer Wien, AMS Wien und der Stadt Wien.
Vor diesem Hintergrund und um die Situation arbeitsuchender Menschen und deren persönliche Erfahrungen bei
der Arbeitsuche und beim Zugang zu Weiterbildungen noch besser zu verstehen, wurde auf Initiative der Arbeiterkammer
Wien in enger Kooperation mit AMS Wien und Stadt Wien ein Dialogforum ins Leben gerufen.
Unter dem Titel „offen gesagt – Dialogforum für Wiener Arbeitsuchende“ haben ausgewählte AMS-KundInnengruppen
in moderierten Fokusgruppen die Möglichkeit bekommen, selbst zu formulieren, womit sie im Vermittlungsprozess
zufrieden oder unzufrieden sind, und welche Unterstützung sie zur Bewältigung ihrer Probleme auf dem
Arbeitsmarkt benötigen. Die DiskutantInnen waren arbeitsuchende Personen aus Wien, die telefonisch anhand
bestimmter Kriterien (beispielsweise Altersgruppe oder höchste abgeschlossene formale Ausbildung) eingeladen
worden sind und freiwillig an den Foren teilnahmen.
Im Oktober 2013 haben dazu in der AK sechs Fokusgruppen mit insgesamt 61 Arbeitsuchenden stattgefunden: Langzeitarbeitslose
und Arbeitsuchende mit instabilen Beschäftigungskarrieren, Arbeitsuchende mit maximal Pflichtschulabschluss,
Arbeitsuchende über 45 Jahre, Arbeitsuchende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, arbeitsuchende
Frauen mit Betreuungspflichten und Wiedereinsteigerinnen. Ebenfalls eingebunden wurden VertreterInnen von Erwerbsarbeitsloseninitiativen
(Aktive Arbeitslose, Zum alten Eisen).
„offen gesagt“ wird auch heuer im Herbst wieder durchgeführt werden, mit einem Schwerpunkt auf Jugendliche
und junge Erwachsene auf Arbeitsuche.
Kaske: „Die Betroffenen verdienen Unterstützung und Respekt“
„Die Arbeiterkammer ist nicht nur „Anwalt“ der Beschäftigten. Wir setzen uns auch für die Anliegen
der Arbeitsuchenden ein. Arbeitslosigkeit ermöglicht kein bequemes Leben. Auch wenn sich dieses Gerücht
hartnäckig hält“, betont AK Präsident Rudi Kaske. Eine aktuelle Studie von IFES und SORA im Auftrag
der AK zeigt, dass bei 44 Prozent der Arbeitslosen trotz massiver Einsparungen die Einnahmen nicht ausreichen,
um die laufenden Haushaltskosten abzudecken. Angesichts eines durchschnittlichen Arbeitslosengeldes von rund 840
Euro und einer Durchschnittsnotstandshilfe von rund 680 Euro im Monat „wundert mich das gar nicht“, sagt Kaske.
Kaske: „Die Ergebnisse aus den Fokusgruppen bestätigen alle Untersuchungen und Studienergebnisse der AK. Die
Lage auf dem Arbeitsmarkt ist schwierig. Arbeitslosigkeit darf nicht in einer Dequalifizierungsspirale enden. Es
muss alles getan werden, damit wir den Arbeitsuchenden eine qualitätsvolle und möglichst maßgeschneiderte
Beratung und Vermittlung anbieten können. Die Betroffenen verdienen Unterstützung und Respekt!“
Brauner: „Wir wollen, dass Arbeitsuchende in Wien die bestmögliche Unterstützung bekommen“
Wiens Wirtschaftstadträtin, Vizebürgermeisterin Renate Brauner unterstreicht: „In wirtschaftlich
schwierigen Zeiten ist es umso wichtiger, dass Arbeitsuchende die beste Unterstützung bekommen, die sie für
eine nachhaltige Rückkehr in einen existenzsichernden Job brauchen. Arbeitsuchende WienerInnen miteinzubeziehen,
mit ihnen gemeinsam Problemlagen zu erörtern, so wie das im Rahmen des Projektes „offen gesagt „ geschieht,
leistet einen großen Beitrag, um die Standards in der Beratung und Betreuung von Arbeitsuchenden kontinuierlich
zu verbessern. Wien hat jedenfalls höchstes Interesse an einem qualitativ hochwertigen Beratungs- und Betreuungssystem
für arbeitslose WienerInnen und damit vor allem auch an einem gut funktionierenden AMS. Fakt ist, dass Qualifikationen
heute der Schlüssel sind, um Jobchancen wahrnehmen zu können. Die aktuellen Initiativen des AMS Wien,
insbesondere die komplette Neuausrichtung des Kurssystems mit der klaren Schwerpunktsetzung auf Qualifizierung
gehen genau in die richtige Richtung. Damit hat das AMS Wien bereits vorab einem ganz zentralen Anliegen der Fokusgruppen
und ihrer Kritik an sinnlosen Bewerbungs- und Aktivierungskursen entsprochen.“
Brauner verweist in diesem Zusammenhang auch auf den von ihr initiierten Qualifikationsplan Wien 2020, einer gemeinsamen
Strategie von Stadt, Bund und Sozialpartnern, um WienerInnen mit höchstens Pflichtschulabschluss zu einer
besseren Ausbildung zu verhelfen: „Indem wir ein engmaschiges Netz an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen bereitstellen,
wollen wir die Wiener ArbeitnehmerInnen fit für die zukünftigen Herausforderungen von Arbeitsmarkt und
Wirtschaft machen. Die exzellente Zusammenarbeit zwischen AMS Wien und waff (Wiener Arbeitnehmerinnen Förderungsfonds),
der für präventive Arbeitsmarktpolitik steht und dessen Angebote sich vor allem an Beschäftigte
richten, ist dafür eine zentrale Grundlage. Auch im Hinblick auf diese gemeinsame Zielsetzung muss der Berücksichtigung
der Anliegen und Bedürfnisse von arbeitsuchenden WienerInnen ein hoher Stellenwert eingeräumt werden,
so Brauner.
Vassilakou: „'Offen gesagt' ist Beitrag zu Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik“
Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou betont: “Wien als soziale Stadt bekennt sich zur Unterstützung von
Arbeitsuchenden. Besonders wichtig ist uns der Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das Dialogforum "Offen
gesagt" ist eine neue Form der breit angelegten Einbeziehung von Betroffenen und engagierten Arbeitslosen-Initiativen
mit dem Ziel rascher Verbesserungen bei Betreuung, Beratung und Vertretung Arbeitsuchender“.
Brauner und Vassilakou zusammenfassend: „Wien ist eine Stadt, in der Mitbestimmung und Mitgestaltung umfassend
ermöglicht und gelebt wird. Wir tragen das Projekt „offen gesagt“ daher nicht nur voll inhaltlich mit, sondern
unterstützen es auch finanziell und stellen damit sicher, dass es weiter geht.“
Draxl: „Überall, wo es Grund zu Beanstandungen gibt, haben wir bereits den Hebel angesetzt“
„Ein großer Teil des Feedbacks, das wir in den Fokusgruppen bekommen haben, ist für uns nicht neu“,
sagt AMS-Wien-Chefin Petra Draxl. „Im Gegenteil: Überall, wo es Grund zu Beanstandungen gab, haben wir bereits
den Hebel angesetzt, um die Zufriedenheit mit unseren Dienstleistungen zu heben.“
Eine häufig geäußerte Kritik: Die Zeit für persönliche Betreuung durch die Beraterinnen
und Berater des AMS ist zu kurz. „Es stimmt natürlich, dass bei steigender Arbeitslosigkeit die Betreuungszeiten
für die oder den Einzelnen immer kürzer werden“, sagt die AMS-Wien-Chefin. „Wir haben in den vergangenen
zwei Jahren daher zirka 200 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unser Team aufgenommen.“ Wenn 2015 ihre Ausbildung
beendet ist und sie voll im Einsatz stehen, wird das auch für die Kundinnen und Kunden des AMS Wien eine spürbare
Verbesserung sein. „Aber natürlich wünschen wir uns von der Bundespolitik noch mehr Personal und damit
mehr Beratungszeit“, sagt Draxl.
Jenen Kundinnen und Kunden, die das am nötigsten brauchen, bietet das AMS Wien bereits jetzt Betreuung ohne
Zeitdruck an – durch das AMS Case Management, das Mitte April seine Arbeit aufgenommen hat. Draxl: „Das ist ein
Angebot für jene Menschen, die für die Entwicklung beruflicher Perspektiven einen erhöhten Betreuungsbedarf
aufweisen.“ Für Anliegen und Beratung steht im Case Management ausreichend Zeit zur Verfügung: statt
weniger Minuten dauert eine Beratungseinheit bis zu einer Stunde – und Beraterin oder Berater wechseln während
dieser eingehenden Begleitung nicht.
Den Bereich der sogenannten Aktivierungen – jener Kursangebote also, die den Bewerbungsprozess unterstützen
und zu denen häufig Kritik geäußert wurde – baut das AMS Wien derzeit grundlegend um: „Dieses Angebot
gestalten wir zu einem workshopartigen Modulsystem um, das unseren Kundinnen und Kunden erlaubt, selbst zu entscheiden,
welche Inhalte für ihre Jobsuche sinnvoll sind“, sagt Draxl. Dass jemand Schulungen macht, die für seine
Zwecke ungeeignet sind oder die er bereits absolviert hat, wird dann nicht mehr vorkommen.
Mit den inhaltlichen Qualifizierungen durch das AMS Wien – vom Deutschkurs bis zur Lehrausbildung – ist die Zufriedenheit
hingegen überaus hoch. Dennoch wird bei sämtlichen Kursträgern, die für das AMS Wien tätig
sind, ein professionelles und effizientes Beschwerdemanagement installiert. Draxl: „Für unsere Kundinnen und
Kunden ist es wichtig zu wissen, dass ihre Beschwerden und Beanstandungen gehört werden und Wirkung haben.
Das werden wir sicherstellen.“ Derzeit hält das AMS Wien an sämtlichen sogenannten Schulungsknotenpunkten
Sprechstunden durch die Ombudsstelle „ams help“ ab.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird als sehr schwierig wahrgenommen
Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden speziell von den länger Arbeitsuchenden, den formal Niedrigqualifizierten,
gesundheitlich Beeinträchtigten, aber vor allem auch bereits von Personen ab 45 Jahren eher pessimistisch
gesehen. Jobs werden oft nur über (nicht zugängliche) Netzwerke vergeben, Vorurteile beispielsweise gegenüber
Älteren oder die mangelnde „tatsächliche“ Beschäftigungsfähigkeit von gesundheitlich beeinträchtigten
Menschen machen die Jobsuche oft zur Farce.
„Du kennst niemanden, keine Chance.“
„Weil, wie gesagt, ich bin 49, wen interessiert es? Die Jungen kriegen eher noch einen Job, aber wir mit 49 haben
den Sarg schon hinten drauf. Du bist alt.“
Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sind für viele auch nicht positiv: niedrige Löhne (Working Poor,
Generation Praktikum, Leiharbeit), die nicht passenden Qualifikationen zu haben, keine ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten
und/oder zu viele MitbewerberInnen auf dem Arbeitsmarkt (gerade im Bereich der Niedriglohnbeschäftigung) sind
hier die Hauptprobleme.
„Wenn du bei einer Leihfirma arbeitest, gehörst du nicht dazu, du gehörst einfach nie dazu, und du bist
ein Trottel dort. Also Leihfirma kommt für mich nie in Frage, nie.“
„Dass sie [die Unternehmen] nur Leute haben wollen, die schon Berufserfahrung in dem Bereich haben, aber irgendwo
muss man die erste Berufserfahrung kriegen.“
Die Diskriminierung von Unternehmen war in vielen Gruppen ein bestimmendes Thema, auch bei durchaus höherqualifizierten
Menschen: aufgrund des Alters, des Migrationshintergrundes oder aber auch aufgrund bestehender privater Betreuungspflichten
wird man oft nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
„Im Prinzip heißt es eigentlich, ihr Frauen sollt gar keine Kinder kriegen, weil sonst kriegt ihr keinen
Job, ganz einfach.“
„Sie nennen es auch oft überqualifiziert, aber gemeint ist das Alter“
„Verwalterin“ und nicht „Vermittlerin“
Das Arbeitsmarktservice wird primär nicht als „Stellenvermittlerin“ angesehen sondern eher als „Verwalterin“
(der Leistungen bzw. auch von Kursen). Aus Sicht der FokusgruppenteilnehmerInnen gibt es kaum passende Jobs, die
über das AMS vermittelt werden. Die Infrastruktur, die das AMS zur Jobsuche bereitstellt, wird jedoch positiv
bewertet.
„Ich schätze die Tatsache, dass es die Infrastruktur gibt, und dass wenigstens der Versuch unternommen wurde,
da Ressourcen zu bieten. Man kann ja auch ins AMS gehen und die Computer dort verwenden, und dort die Listen einsehen.
Also man hat sich schon Mühe gemacht, und ich möchte auch ausdrücken, dass ich das schätze,
weil vielerorts gibt es das auch nicht. Aber andererseits ziehe ich die Note nach unten, weil ich noch kein einziges
Stellenangebot gekriegt habe, also nicht einmal ein unpassendes, sondern gar keines.“
Weiters wird das AMS als ein System wahrgenommen „in dem alle unter Druck stehen“. Generell hängt die Beratungsqualität
stark von den einzelnen BeraterInnen ab, es gäbe zudem kaum eine Beratungskontinuität. Häufige BeraterInnenwechsel
bzw. auch der starke Zeitdruck bei den Terminen waren die Hauptkritikpunkte. Dadurch sei es auch nicht möglich
auf die individuelle Situation der Arbeitsuchenden einzugehen, sondern man wird oft nur oberflächlich beraten.
„… weil die Beraterin, die für mich zuständig ist, ist meistens nicht da. Entweder kriege ich dann einen
neuen Termin, […] oder eine andere Beraterin, aber es fragt mich keiner, es sagt mir keiner, was ich jetzt machen
kann, oder was ich nicht machen kann, ohne Vorkenntnisse.“
Es gibt aber auch durchaus Verständnis für die schwierige Situation der AMS-BeraterInnen. Wichtig wäre
den Arbeitsuchenden, dass ihre Perspektiven realistisch abgeklärt werden bzw. am Anfang ein „Profil“ erstellt
wird, auf das die spätere Beratung aufbaut. Generell gibt es den Wunsch nach einer individuelleren Betreuung
im AMS.
„Nein ich muss sagen, ich nehme diese Berater auch irgendwie in Schutz, sie haben selber so einen Druck, und die
können manchmal nicht anders.“
Kurse: Mehr Mitsprache gewünscht
Kurse des AMS werden unterschiedlich wahrgenommen: die TeilnehmerInnen unterscheiden stark zwischen inhaltlich
sinnvollen Weiterbildungen und Aktivierungs- bzw. Bewerbungskursen, die von den TeilnehmerInnen oft als wenig sinnvoll
empfunden werden. Die Qualität der Kurse wird oft als nicht top bewertet. Die KundInnen möchten auch
mehr Mitbestimmung bei der Auswahl von Qualifizierungsangeboten.
„Negativ, wenn Kompetenzen bereits bestehen bzw. auf persönliche Bedürfnisse nicht geachtet wird.“
„Positiv, wenn man sie sich selbst aussuchen kann, oder man etwas lernt, was für den Beruf nützlich ist,
sich Wissen aneignet, auffrischt, eine relevante Prüfung ablegt.“
Ein Kritikpunkt bei der Kursauswahl ist, dass auf Bedürfnisse und bestehende Kompetenzen der Arbeitsuchenden
zu wenig eingegangen wird. Außerdem würden Kursmaßnahmen und Stellenangebote nicht aufeinander
abgestimmt und basieren nicht auf einer entwickelten Perspektive. Ein Kurs wird als unsinnig empfunden, wenn nachher
bei der Arbeitsuche nicht in diese Richtung weitergegangen wird.
„Da würfelt jemand, hatte ich das Gefühl“
Kurse in die Arbeitsuchende gegen ihren Willen bzw. ohne ausreichender Belehrung über den Sinn der Maßnahme
verwiesen werden, werden als „Geldverschwendung“ angesehen. Das Thema „Beschönigung der Arbeitslosenstatistik“
hat sich durch alle Gruppen durchgezogen.
„Jetzt sollte ich einen Kurs machen, weil alle halben Jahre soll mich ja das Arbeitsamt zu einem Kurs verweisen.
Und zurzeit war nichts anderes frei als Bewerbungen machen.“
Existenzbedrohung „Sperre“
Viele Teilnehmer haben Angst davor ihren Bezug zu verlieren, das Thema „existenzbedrohende Sperren“ war in allen
Gruppen sichtbar. Die Drohung der Bezugssperre wird manchmal auch zur Disziplinierung der Menschen bspw. in Maßnahmen
eingesetzt. Kritisiert wurde auch, dass selbst bei einer nicht gerechtfertigten Sperre die Leistung sofort gesperrt
wird und erst nach der Überprüfung des Sachverhalts (oft Wochen später) wieder ausbezahlt wird.
Für die Menschen ist diese Situation existenzbedrohend.
„Man ist ja von denen abhängig. Man muss ja wirklich alles tun, was die sagen, weil sie am längeren Hebel
sitzen.“
„Ich war in einem Kurs, und das Schlusswort dort des Betreuers war: Wer jetzt gehen will, kann gehen, aber der
muss damit rechnen, dass ihm das Geld gestrichen wird.“
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