"European Dream" versus "Brüsseler Moloch" – Diskussionsveranstaltung
"Europa erklären" im Pressezentrum des Parlaments
Wien (pk) - Wie bringt man Europa den BürgerInnen nahe? Europäische Politik werde zu oft als simpler
Gegensatz von nationalstaatlichen Interessen gegenüber einem angeblichen "Moloch Brüssel" dargestellt,
lautete eine Feststellung der Podiumsdiskussion im Pressezentrum des Parlaments am Abend des 12.05. Nationalratspräsidentin
Barbara Prammer und die Vereinigung der Parlamentsredakteurinnen und –redakteure hatten zu der Veranstaltung eingeladen.
Den Medien falle eine fundierte und sachliche und zugleich anschauliche Aufbereitung der komplexen Prozesse der
Willensbildung und Entscheidungsfindung, wie sie in der Europäischen Union stattfinden, oft schwer, so der
Tenor des Abends. Prammer wünschte sich in diesem Zusammenhang einen stärkeren Austausch von nationaler
und EU-Politik. Als Vertreter der europäischen Ebene beteiligte sich EU-Kommissar Johannes Hahn, der meinte,
die Rolle des EU-Parlaments sei medial stark unterbewertet. Es fehle auch oft an Verständnis für die
politischen Befindlichkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten.
Die wissenschaftliche Sicht auf die EU und ihre Rezeption in der Öffentlichkeit brachten Sonja Puntscher-Riekmann,
Leiterin des "Salzburg Centre of European Union Studies" und Gerda Falkner vom Institut für europäische
Integrationsforschung in Wien ein. Sie stimmten darin überein, dass Berichterstattung über EU-Themen
zu sehr nach dem Muster eines Gegensatzes von nationalen und europäischen Interessen erfolge. Die Rolle der
Mitgliedsstaaten und der nationalstaatlichen Ebene gerate hingegen oft aus dem Blickfeld. Die EU werde zu wenig
als Chance zur Verwirklichung eines auf gemeinsamen Werten basierenden "European Dream" vermittelt, meinte
Falkner.
Die Sicht der Medien vertraten ORF-Redakteur Fritz Jungmayr, der den Abend auch moderierte und die Brüssel-Korrespondentin
des ORF Cornelia Primosch. Sie konstatierten, dass die Komplexität der europäischen Politik es JournalistInnen
oft erschwere, sie in der medialen Vermittlung anschaulich zu machen und zudem einen emotionalen Bezug zum Projekt
Europa herzustellen.
Hahn: Relevanz des EU-Parlaments wird noch zu wenig dargestellt
EU-Kommissar Hahn meinte, in Österreich nehme die EU-Berichterstattung großen Raum ein und die Bevölkerung
fühle sich subjektiv besser informiert, als dies in anderen Mitgliedsstaaten der Fall sei. Allerdings stelle
er fest, dass die erstarkte Rolle des EU-Parlaments in der "interessanten, aber komplizierten Dreiecksbeziehung"
von Rat, Kommission und Parlament noch viel zu wenig medial wahrgenommen werde. Hahn vermutete, dass die langwierigen
und komplexen Gesetzgebungsprozesse der EU es Medien schwer machten, dem roten Faden über längere Zeit
zu folgen. Hahn meinte zudem, EU-Skepsis sei eher ein Merkmal der älteren Generation, während er unter
der Jugend ein wachsendes Verständnis für Europa feststelle. Darauf müsse man setzen, er würde
sich daher eine "EU-Woche" für SchülerInnen wünschen.
Prammer will mehr Präsenz von EU-ParlamentarierInnen in Heimatländern
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer meinte im Zuge der Diskussion, es sollte zu einer Normalisierung der
Wahrnehmung des EU-Alltags kommen. Es müsse als selbstverständlich angesehen werden, dass EU-Politik
stets ein Ringen um Kompromisse und tragfähige Mehrheiten ist. Der Widerstreit der Meinungen dürfe nicht
dazu verleiten, das Projekt Europa jedes Mal aufs Neue grundsätzlich in Frage zu stellen. Dazu müsse
aber ein stärkerer Austausch zwischen nationaler und EU-Politik stattfinden. Prammer bedauerte in diesem Zusammenhang,
dass die EU-ParlamentarierInnen aufgrund ihres dichten Arbeitsprogramms zu wenig Zeit hätten, in ihren Heimatländern
EU-Politik zu vermitteln.
Entlassen Medien die nationalen Regierungen aus der EU-Verantwortung?
Sonja Puntscher-Riekmann fragte, ob nicht manches an der EU einfach zu kompliziert für einfache Erklärungen
sei. Die Ressourcen nationaler Medien reichten oft gar nicht aus, um die Prozesse in einem System, das mehrere
Ebenen umfasst, verfolgen zu können. Letztlich werde nicht klar dargestellt, wer welche Positionen vertrete
und welchen Anteil die eigene Regierung an Entscheidungen habe. Statt dessen beobachte sie immer wieder, dass alle
Verantwortung der EU-Kommission zugeschrieben werde, die man gerne als "Brüsseler Moloch" darstelle.
Daran anknüpfend meinte Gerda Falkner, der "Moloch Brüssel" sei eines der typischen EU-Klischees.
Angesichts der Aufgaben, welche die EU-Institutionen zu bewältigen haben, seien ihre Ressourcen objektiv gesehen
durchaus knapp bemessen. Falkner meinte, werde oft zu wenig beachtet, dass die EU auf einem Wertekonsens aufbaue,
zu dem etwa Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Gleichbehandlung gehören und sehr erfolgreich im globalen
Kontext sei. Es sei aber schwer, damit einen "European Dream" zu verknüpfen.
Cornelia Primosch, ORF-Korrespondentin in Brüssel, erläuterte, dass es vor allem aus Sicht des TV-Journalismus
der europäischen Politik an griffigen Symbolen mangle. Auch seien EU-PolitikerInnen oft nur schwer als Persönlichkeiten
von internationalem Rang zu vermitteln. Die Problematik für jede Berichterstattung entstehe schon daraus,
dass man vieles an Basiswissen über die EU, ihre Institutionen und Abläufe nicht als gegeben voraussetzen
dürfe. Die Berichterstattung stehe etwa vor der Herausforderung, Ideen anschaulich zu machen, die sich erst
allmählich konkretisieren. Sie nannte dazu das Beispiel der Bankenunion, die sicher eines der wichtigsten
Projekte der jüngsten Zeit darstelle.
In den Beiträgen des Publikums wurde unter anderem die Frage thematisiert, inwieweit die EU als zweckrationales
Projekt einer emotionalen Vermittlung überhaupt zugänglich sei. Auch wurde festgestellt, dass Entscheidungen
auf europäischer Ebene meist weniger entlang ideologisch definierter Parteilinien fallen, als das auf nationaler
Ebene der Fall sei. Eine große Rolle spiele bei der Mehrheitsfindung der Mitgliedsstaaten die grundsätzliche
politische Kultur und Tradition eines Landes, lautete der Befund.
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