Opposition vermisst Strukturreformen und zeigt Versorgungslücken auf
Wien (pk) – Die budgetäre Ausstattung des österreichischen Gesundheitswesens stand als nächster
Punkt auf der Tagesordnung der Nationalratssitzung vom 22.05. Das zentrale Thema in der Debatte war - wie bereits
in der Aktuellen Stunde am Dienstag - die im Vorjahr beschlossene Gesundheitsreform. Darüber hinaus befassten
sich die Mandatare aber auch noch mit der elektronischen Gesundheitsakte, dem Brustkrebsfrüherkennungsprogramm,
der ärztlichen Betreuung in den ländlichen Regionen, den möglichen Versorgungslücken in verschiedenen
Bereichen sowie mit der Sicherheit von Lebensmitteln. Bundesminister Alois Stöger unterstrich, dass das Bundesbudget
für sein Ressort in den Jahren 2014 und 2015 sicherstelle, dass das österreichische Gesundheitssystem
ausgebaut und weiterentwickelt werden könne. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen konnte das
Leistungsangebot erweitert werden, erinnerte Stöger, und verwies u.a. auf die Gratiszahnspange sowie den Ausbau
des Kinderimpfprogramms und der Leistungen im Rahmen des Mutter-Kind-Passes.
FPÖ stellt der Gesundheitspolitik ein schlechtes Zeugnis aus
FPÖ-Mandatarin Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) übte scharfe Kritik am Gesundheitsminister, da er die
echten Probleme nicht angehe und keine wirkliche Strukturreform in die Wege geleitet habe. Es nütze nichts,
wenn permanent frisches Geld in das System hineingepumpt werde, sich an der Substanz aber nichts ändere. Negativ
beurteilte die Rednerin etwa das neue Brustkrebsvorsorgeprogramm, weil einerseits die Ultraschalluntersuchungen
reduziert und andererseits ältere Frauen diskriminiert würden. Gleichzeitig werde das Programm aber auch
für Frauen geöffnet, die nicht versichert sind und somit auch keine Beiträge einbezahlt haben. Man
könne den Eindruck gewinnen, dass die Einsparungen im Bereich der Sonographie "hin zu den Illegalen verlagert
werden" sollen. Dies sei der völlig falsche Weg, bemängelte Belakowitsch-Jenewein. Sie bezweifle
auch, dass die Ankündigungen von Stöger, den Salz- oder Zuckerkonsum der ÖsterreicherInnen reduzieren
zu wollen, zu echten Veränderungen des Essverhaltens führen werden. Ähnlich kritisch äußerte
sich auch Andreas Karlsböck von der FPÖ, der – ebenso wie sein Kollege Josef Riemer - nicht einsah, warum
man weiterhin an 22 Krankenversicherungen festhalten müsse. Er wiederholte zudem die Forderung danach, dass
Ärzte endlich Ärzte anstellen dürfen; die Versorgungsqualität der PatientInnen würde sich
massiv verbessern und die Ambulanzen würden entlastet. Ein von ihm eingebrachter Entschließungsantrag
enthielt ein umfassendes Konzept seiner Fraktion zur Neustrukturierung des Gesundheitswesens.
SPÖ: Gesundheitsleistungen werden weiter ausgebaut
Abgeordneter Erwin Spindelberger (S) warf den Freiheitlichen vor, das ganze Gesundheitssystem schlecht zu reden.
Völlig übersehen werde etwa die Tatsache, dass trotz leicht sinkender Budgetmittel, das Leistungsangebot
weiter ausgebaut wird. Er sei im Gegensatz zur FPÖ auch überzeugt davon, dass sich die Gesundheitsreform,
die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, absolut sehen lassen könne. Dennoch sei klar, dass weitere Effizienzsteigerungsmaßnahmen
ergriffen werden müssen, die darauf abzielen, Doppelgleisigkeiten abzuschaffen und die Abstimmung zwischen
den einzelnen Playern noch zu verbessern. Spindelberger wies - ebenso wie seine Fraktionskollegen Johann Hechtl
und Michael Ehmann - noch auf weitere gesundheitspolitische Neuerungen hin, wie etwa die Einführung der Gratiszahnspange
ab dem 1. Juli 2015, wodurch ca. 85.000 Familien finanziell massiv entlastet werden, oder die Erweiterung des Kinderimpfprogramms.
SPÖ-Mandatarin Sabine Oberhauser stellte hinsichtlich des Mammographie-Screenings klar, dass sich das Programm
an jene Frauen richte, die legal in Österreich leben. Sollte jemand nicht versichert sein, dann könne
ein Antrag gestellt werden, daran teilzunehmen. Die Gebietskrankenkasse überprüfe dann, ob diese Person
auch einen legalen Aufenthalt in Österreich hat, und vergibt – wenn dies der Fall ist – eine Sozialversicherungsnummer.
Die Aussage der FPÖ, dass sich Illegale auf diese Weise einen Zugang zu medizinischen Leistungen erschleichen
können, sei daher schlichtweg falsch und pietätlos. Abgeordnete Marianne Gusenbauer-Jäger (S) konzentrierte
sich in ihrer Wortmeldung auf Maßnahmen im Bereich der Prävention (Ernährung, psychische Krankheiten,
Schlaganfall etc.), während Dietmar Keck (S) froh darüber war, dass die Mittel für den Tierschutz
nicht gekürzt wurden.
Grüne: Kein Grund zum Jubeln - Kompetenzdschungel, Föderalismusproblem und Versorgungslücken
bleiben bestehen
Abgeordnete Eva Mückstein (G) sprach von einem intransparenten Budget im Bereich Gesundheit, da man keinerlei
Einblick habe, welche Ziele und Vorhaben mit den veranschlagten 950 Mio. € verfolgt werden. Die "großen
Brocken" werden woanders, nämlich bei den Sozialversicherungen und Ländern verhandelt, gab die Rednerin
zu bedenken, und diese geben die Daten nicht gerne preis. Aus persönlicher, leidvoller Erfahrung wisse sie
etwa, dass es fast unmöglich sei, valide Zahlen zur psychosozialen Versorgung von der Sozialversicherung zu
erhalten. Das Grundproblem liege in der absurden Kompetenzzersplitterung und in den undurchsichtigen Finanzströmen,
die das heimische Gesundheitswesen auszeichnen. Da eine vernünftige Planung dadurch verunmöglicht werde,
müsse dafür dringend eine Lösung gesucht werden, forderte Mückstein. Was die aktuellen Vorhaben
angeht, so gab es leider einen verunglückten Start beim Brustkrebs-Screening und sehr viel Skepsis in Bezug
auf ELGA. Riesige Versorgungslücken ortete die Rednerin auch im Bereich der Rehabilitation sowie der psychosozialen
und psychotherapeutischen Behandlung; hier müssten Prioritäten gesetzt werden. Positiv sei hingegen,
dass Kinder mit schweren Kieferfehlstellungen künftig eine Gratiszahnspange bekommen und dass schwangere Frauen
eine Hebammenberatung in Anspruch nehmen können. Grund zum Jubeln gebe es dennoch nicht, urteilte Mückstein,
da weder das Föderalismusproblem noch der Kompetenzdschungel im Gesundheitssystem in Angriff genommen werden.
Was den angestrebten Kostendämpfungspfad im Rahmen der Gesundheitsreform betrifft, so warnte die Rednerin
vor weiteren Ökonomisierungs- und Privatisierungstendenzen sowie Rationierungen des Behandlungsangebots, wie
sie u.a. von den NEOS und dem Team Stronach immer wieder vorgeschlagen werden.
Die zweite Rednerin der Grünen zu diesem Tagesordnungspunkt, Helene Jarmer, wünschte sich vor allem Verbesserungen
in Bezug auf den barrierefreien Zugang zu Gesundheitsleistungen. Ihr war es u.a. ein großes Anliegen, dass
die PatientInnen immer ausreichend über die Behandlungsmaßnahmen informiert werden, damit sie selbst
entscheiden können. Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber von den Grünen befasste sich insbesondere mit der
Lebensmittelsicherheit. Er zeigte sich froh darüber, dass die Finanzierung der AGES gesichert ist. Handlungsbedarf
gebe es seiner Auffassung nach in Bezug auf die Pestizidbelastung von Trinkwasser und Lebensmitteln, was gravierende
Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen habe. Auf EU-Ebene müsse sich Stöger massiv dafür einsetzen,
dass die hohen Standards erhalten bleiben und dass die Gentechnikfreiheit gewährleistet wird, unterstrich
Pirklhuber.
ÖVP: Gesundheitsreform muss mit Leben erfüllt werden
Auch wenn sich das österreichische Gesundheitssystem im internationalen Vergleich sehen lassen könne,
müsse man immer wieder schauen, wo man noch besser werden kann, räumte Abgeordneter Erwin Rasinger (V)
ein. So sei etwa nicht einzusehen, warum über 40.000 Kinder die notwendigen Therapien nicht erhalten, warum
Mittel für Kinderhospize fehlen oder warum es bis heute nicht gelungen ist, die Kinderrehabilitation auf Schiene
zu bringen. Mehr Engagement sei auch beim Thema Suizid gefordert, urteilte Rasinger, 1.200 Selbstmorde pro Jahr
sind einfach zu viel. Ein großes Anliegen war ihm auch die Verbesserung der medizinischen Versorgung am Land,
damit vor allem für ältere Menschen ein einfacher Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung gewährleistet
wird. Positiv beurteilte Rasinger die Nachbesserungen beim Mammographie-Programm, da die hohen österreichischen
Standards beibehalten werden müssen. Auf dieses Thema ging auch seine Kollegin Dorothea Schittenhelm (V) ein,
die mit den Nachbesserungen jedoch nicht zufrieden war. Leider gebe es nun keinen gleichen Zugang mehr für
alle Frauen zu diesem wichtigen Früherkennungsprogramm, bedauerte Schittenhelm. Außerdem wünschte
sie sich zusätzliche Maßnahmen im Bereich der Gender-Medizin, ausgehend von der Forschung bis hin zur
Diagnostik und zur Therapie. Abgeordnete Martina Diesner-Wais (V) wiederum machte sich Sorgen um die medizinische
Versorgung im ländlichen Raum und forderte entsprechende Maßnahmen ein, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken.
Ihrer Meinung nach sollte auch der Ausbau der Hausapotheken sowie die Einrichtung von Gemeinschaftsordinationen
gefördert werden, damit Familie und Beruf besser vereinbart werden können.
Team Stronach: Die medizinische Basisversorgung geht den Bach runter
Aus vielen Gesprächen mit PatientInnen in seiner Praxis wisse er sehr gut, welche Ängste und Sorgen die
Menschen in Bezug auf die Gesundheitsversorgung haben, erklärte Abgeordneter Marcus Franz vom Team Stronach.
So sei etwa schon jetzt erkennbar, dass es bald einen massiven Hausärztemangel, vor allem am Land, geben wird,
da 50 % der praktizierenden Mediziner in den nächsten zehn Jahren in Pension gehen. Ähnliche Zustände
gibt es auch in den Spitälern, die große Schwierigkeiten haben, junge Ärzte zu finden. Viele Mediziner
suchen sich einen Job im Ausland, weil dort bessere Bedingungen herrschen. Gleichzeitig sehen die Menschen aber
auch, dass die Regierung keine Pläne vorlegt, wie diesen Megaproblemen begegnet werden soll. Da über
die "ELGA-Panne, den Mammographie-Rohrkrepierer und das Forschungsdesaster im AKH und anderen Med-Unis"
schon genug gesprochen wurde, wolle er nur noch einmal die zentrale Forderung des Team Stronach wiederholen, erklärte
Franz: eine einheitliche, integrative und professionelle Planung von medizinischer Versorgung und Pflege. Dies
war auch Inhalt eines von ihm eingebrachten Entschließungsantrags.
Stöger: Kostendämpfungspfad ist Garant für Ausbau der Gesundheitsleistungen
Bundesminister Alois Stöger war überzeugt davon, dass es mit den vorliegenden Budgets gelungen sei, die
Gesundheitsausgaben in die richtige Richtung zu entwickeln. Er versicherte zudem, dass es absolut kein Schlagwort
sei, wenn immer wieder betont wird, dass der Mensch und der Behandlungsprozess in den Mittelpunkt gestellt werden
sollen. Dies beweise allein schon die Tatsache, dass es auch in Krisenzeiten gelungen ist, keine Leistungseinschränkungen
vorzunehmen. Durch den in der Gesundheitsreform fixierten Kostendämpfungspfad, der sich am Wirtschaftswachstum
orientiert, sei es gelungen, dass jedes Jahr mehr Mittel für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehen.
Gleichzeitig habe man den Beweis erbracht, dass eine effiziente Verwaltung möglich ist, weil für Planung,
Steuerung und Finanzierung eine gemeinsame Verantwortlichkeit geschaffen wurde. Die Bürger können daher
auch in Zukunft sicher sein, dass es für alle einen gleichen Zugang zu den modernsten Gesundheitsleistungen
gibt.
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