Der Bundestagspräsident informiert Nationalratsabgeordnete über
Erfahrungen mit Untersuchungsausschüssen in Deutschland
Wien (pk) – Um eine authentische Auslegung deutscher Regelungen für Untersuchungsausschüsse aus
erster Hand ging es am 30.05. beim Zusammentreffen österreichischer ParlamentarierInnen unter der Leitung
von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestags Norbert Lammert.
Nachdem sich die Fraktionen im Rahmen der heimischen Diskussion über die Reform der Untersuchungsausschüsse
immer wieder auf das deutsche Modell berufen, die Interpretation desselben jedoch unterschiedlich ausfällt,
bot der Besuch Lammerts nun die Gelegenheit, Genaueres über die Handhabung und Durchführung dieses parlamentarischen
Kontrollrechts sowie über die Erfahrungen damit im Parlament des Nachbarlands zu erkunden.
An dem Gedankenaustausch nahmen von österreichischer Seite neben der Nationalratspräsidentin auch der
Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf sowie Klubobmann Andreas Schieder (S) und die Abgeordneten Gabriele
Tamandl (V), Andreas Karlsböck (F), Wolfgang Zinggl (G) und Marcus Franz (T) teil.
Lammert: Minderheitsrecht könnte zu unaufgeregteren Verhandlungen führen
Im deutschen Bundestag ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses längst ein Minderheitsrecht. Hier
genüge ein Antrag von einem Viertel der Abgeordneten, das sind 158 (von insgesamt 631) MandatarInnen, dann
müsse ein solcher Ausschuss eingesetzt werden, auch wenn die Mehrheit dagegen ist, unterstrich Bundestagspräsident
Norbert Lammert. In der laufenden Gesetzgebungsperiode wurde diese Zahl sogar mittels eines Anhangs zur Geschäftsordnung
befristet auf 120 (weniger als ein Fünftel der Abgeordneten) herabgesetzt, um der Opposition, die derzeit
über 127 Mandate verfügt, dieses parlamentarische Kontrollrecht zu gewährleisten. Man wollte damit
vermeiden, dass man aufgrund eines konkreten Wahlergebnisses die gesetzlichen Quoren grundsätzlich ändert,
andererseits werde damit aber das Grundverständnis aller im Bundestag zum Ausdruck gebracht, dass die Einsetzung
eines Untersuchungsausschusses ein Minderheitsrecht sein muss und nicht vom Wohlwollen der Regierenden abhängen
darf, betonte Lammert.
Er zeigte sich auch überzeugt davon, dass ein Minderheitsrecht zu einer "unaufgeregteren" Verhandlungsführung
beitragen werde. In Österreich hat vor allem immer wieder die Behandlung von Auskunftspersonen im Ausschuss
Anlass zur Kritik gegeben. Die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit wurde im Gespräch daher auch vom Zweiten
Präsidenten Karlheinz Kopf angesprochen. "Untersuchungsausschüsse sind Politik, sie zu einer Gerichtsverhandlung
zu machen, ist der falsche Weg", bemerkte dazu Lammert. Selbstverständlich müsse man die Rechtsansprüche
von Zeugen, wie etwa das Recht, die Aussage zu verweigern, sicherstellen. Im Ausschuss gebe es auch die Verpflichtung
zu Wahrheit. Vieles hänge aber von den handelnden Personen ab, räumte er ein.
Die Befürchtung, es könne zu einer Flut von Untersuchungsausschüssen kommen, entkräftete Lammert
mit dem Hinweis, dass im deutschen Bundestag pro Gesetzgebungsperiode ein bis zwei solcher Kontrollinstrumentarien
eingesetzt werden.
Zwischen Antragstellung und Einsetzungsbeschluss liegt, wie Lammert erklärte, in Deutschland eine wichtige
Diskussionsphase, in der der Untersuchungsauftrag geklärt wird. Das finde im Geschäftsordnungsausschuss
statt. Dabei komme es aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen zu intensiven Diskussionen, wobei es bisher
immer gelungen sei, sich auf einen gemeinsamen Text zu einigen. Sollte dies einmal nicht der Fall sein und sich
die Minderheit in ihren Rechten substantiell beeinträchtig sehen, dann könne das Bundesverfassungsgericht
angerufen werden.
Die Vorsitzführung im Ausschuss wird von einem/einer Abgeordneten ausgeübt. Die Zahl der Ausschussmitglieder
werde so festgelegt, dass jede Fraktion vertreten ist und dass die Minderheit ihre Rechte bei der Beweiserhebung
und Zeugenladung wahrnehmen kann. Aber auch in diesen Fragen sei ihm kein Fall erinnerlich, in dem man keinen Konsens
gefunden hat, sagte Lammert. Sobald eine qualifizierte Minderheit, also ein Viertel, Anträge zur Beweiserhebung
stellt, müssen diese auch beschlossen werden, es sei denn, die Unterlagen sind nicht zugänglich oder
die Anforderung ist unzulässig. Im Bundestag gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, einen Ermittlungsbeamten
einzusetzen, der die rechtliche Aufarbeitung der Akten vornimmt, auf die sich dann die politische Bewertung stützt.
Die Minderheitsrechte im Untersuchungsausschuss sind laut Lammert immer von Rechtsmitteln begleitet. Lehnt der
Untersuchungsausschuss die Anforderung und Erhebung bestimmter Beweise ab, entscheidet auf Antrag eines Viertels
der Ausschussmitglieder der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Das Bundesverfassungsgericht kann ebenfalls
in Streitfällen eingebunden werden.
Die Beweise werden im deutschen Bundestag in öffentlicher Verhandlung erhoben, wobei damit die Saalöffentlichkeit
gemeint ist. Ton- und Filmausnahmen sind in der Regel nicht zulässig. Wenn aber eine Mehrheit von Zwei Dritteln
der anwesenden Mitglieder sowie die zu vernehmende Person zustimmen, kann davon eine Ausnahme gemacht werden. Unterlagen
können auch als vertraulich eingestuft werden. Bei Uneinigkeit darüber entscheidet ebenfalls der Ermittlungsrichter.
Wenn sich jemand nicht an die Vertraulichkeit hält, dann können Sanktionen verhängt werden. Dies
ist in Österreich insofern ein heikles Thema, da Sanktionen im Spannungsfeld zur beruflichen Immunität
stehen und die Tätigkeit im Untersuchungsausschuss in Ausübung des Mandats erfolgt.
Untersuchungsausschüsse im deutschen Bundestag unterliegen keinem zeitlichen Limit, informierte Lammert auf
Anfrage von Nationalratspräsidentin Prammer. In Österreich ist dies deshalb eine Frage, weil man befürchtet,
die Verhandlungen im Untersuchungsausschuss könnten in etwaige Bundeswahlkämpfe hineingezogen werden.
Die Diskussion in Österreich
In Österreich gehen die Verhandlungen im Geschäftsordnungskomitee des Nationalrats zur Reform der Untersuchungsausschüsse
in die Zielgerade. Unbestritten ist, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Minderheitsrecht ausgestaltet
sein soll. Ein Viertel der Abgeordneten soll nach derzeitigem Stand künftig die Einsetzung eines solchen Ausschusses
verlangen können.
Knackpunkt ist jedoch nicht das Minderheitsrecht an sich, sondern die Verfahrensordnung der Untersuchungsausschüsse.
Die Auffassungsunterschiede zur Verfahrensordnung haben bislang die Realisierung dieser seit Jahren diskutierten
Ausweitung der Oppositionsrechte verhindert. Auch die Einsetzung eines Hypo-Untersuchungsausschusses hängt
an dieser Frage. Zentrale Diskussionspunkte betreffen unter anderem die Vorsitzführung. Unbestritten dürfte
sein, dass diese in den Händen von PolitikerInnen bleiben soll. Umstritten ist hingegen die Forderung, die
Beweisführung einem/einer pensionierten RichterIn zu übertragen. Das wirft für viele die Frage nach
der Praktikabilität angesichts der Flut von Dokumenten auf, die zu sichten sind. Auch Nationalratspräsidentin
Prammer hat sich mehrmals skeptisch zu diesem Vorschlag geäußert, denn sie wolle kein Gerichtsverfahren
ins Hohe Haus holen.
Heftig diskutiert wird auch die Ausgestaltung der Minderheitsrechte im Untersuchungsausschuss selbst. Das betrifft
etwa die Ladung von Auskunftspersonen und die Anforderung von Akten aus den Ministerien. Eine Annäherung dürfte
es indes über die Einbindung des Verfassungsgerichtshofs in grundsätzlichen Streitfragen geben.
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