Die Angst, der Feind und Wir

 

erstellt am
23. 06. 14
16.00 MEZ

SoziologInnen der Uni Graz untersuchen die Rolle der Emotionen im Ersten Weltkrieg
Graz (universität) - Sowohl staatstragende Entscheidungen als auch spontane Reaktionen einfacher Soldaten werden von Gefühlen mitbestimmt. Dieser Einfluss ist allerdings bislang in der soziologischen Forschung kaum berücksichtigt worden. Ass.-Prof. Dr. Sabine A. Haring und Ao.Univ.-Prof. i.R. Dr. Helmut Kuzmics vom Institut für Soziologie der Uni Graz haben Regimentsgeschichten, Tagebücher, Biographien, Autobiographien und literarische Quellen rund um dem Ersten Weltkrieg detailliert analysiert und facettenreich dokumentiert, welche Rolle Emotionen spielen.

In diesem Zusammenhang wurden unter anderem der Umgang mit Angst und Gefahr, mit Freundschaft und Verlust sowie die Loyalität zu Kameraden, zum Regiment sowie zu Kaiser und Vaterland untersucht. „Wie vermeidet man Angst? Welche Funktion hat Scham im Kriegsalltag? Die mehr oder minder bewusste Kontrolle dieser Gefühle ist bedeutsam für die Erklärung der wichtigsten Vorgänge in Schlacht und Stellungskrieg“, erläutert Helmut Kuzmics. Sie bestimmt die schlachtenentscheidende „Tapferkeit“, den begründeten oder unbegründeten Rückzug, die „Härte“ und „Ausdauer“ von Soldaten und die Klarheit und Glaubwürdigkeit des Führungsverhaltens von Offizieren. „Diese Aspekte sind relevant, um menschliches Verhalten besser zu verstehen und auch vorhersagen zu können“, unterstreicht der Soziologe die Bedeutung der Analyse.

Im Kriegsgeschehen bedrücken der Zustand der Ungewissheit, das lange Abwarten und das Gefühl des Ausgeliefert-Sein die Soldaten. „In vielen Quellen wird die so genannte Vorwärts-Panik beschrieben. Die Betroffenen konnten ihre Lage nicht mehr ertragen und stürmten los“, schildert Sabine Haring die weitverbreitete Stimmung in den unterschiedlichen Frontabschnitten. Auch die Atmosphäre innerhalb der Truppen war nicht immer harmonisch. Während Regimentsgeschichten vorrangig von einer vertrauten, homogenen Gruppe vom Regimentskommandanten bis zum einfachen Soldaten berichten, vermitteln Autobiographien und Tagebücher ein differenzierteres Bild: „Das Verhältnis zu Offizieren ist ambivalent – bisweilen sind die schikanösen Vorgsetzten sogar die ‚Feinde‘ der einfachen Soldaten“, so Haring.

Um Feindbilder der militärischen Gegner zu zeichnen, bedienen sich die Schreiber propagandistischer Stereotype, es lässt sich in manchen Passagen „Hass“ und „Verachtung“ nachweisen. In der direkten Konfrontation wird der „Feind“ jedoch zumeist als ebenbürtig angesehen; man begegnet ihm mit Respekt. „Das schließt nicht aus, dass man nicht ‚wutentbrannt‘ gegen ihn vorgeht und ihn ‚kaltmacht‘“, ergänzt die Soziologin. Gleichzeitig jedoch gehört der kämpfende Italiener oder Russe bisweilen dem „Wir“ im Sinne einer „Schicksalsgemeinschaft“ an der Front an. Die „Anderen“ sind dann, folgt man den untersuchten Quellen, die höheren Führungsebenen oder die Hetzpropaganda im Hinterland.

 

 

 

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