Wirtschaftspolitik muss internationaler
 und strategischer werden

 

erstellt am
20. 06. 14
16.00 MEZ

Paris/Wien (wifo) - Anlässlich des Jahrestreffens der führenden europäischen Wirtschaftsforschungsinstitute skizzierte der Leiter des WIFO Prof. Karl Aiginger eine verstärkte internationale und strategische Orientierung der Wirtschaftspolitik, um die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu bewältigen. Verschiedene Elemente der Wirtschaftspolitik müssen immer mehr kombiniert und miteinander in Einklang gebracht werden, um Synergien zu nutzen und Kosten zu senken. Industriepolitik wird immer mehr auch zur Bildungs-und Innovationspolitik, sie soll gesellschaftliche Ziele stärker einbeziehen und muss vermehrt an langfristigen Zielen orientiert werden. Überdies ist, so Aiginger, der Anteil der nur global zu lösenden Probleme gestiegen, und wirtschaftliche Eingriffe in jeder Region haben Folgewirkungen auf andere Länder.

Die OECD geht in ihrer Projektion der langfristigen Weltwirtschaftsentwicklung von einem über die Jahrzehnte abnehmenden Wachstum des technischen Fortschrittes in den Industrieländern aus. Dies bedeutet in Kombination mit der Alterung der Bevölkerung, dass sich der Anteil der heutigen OECD-Länder an der weltweiten Wertschöpfung von derzeit 57% auf 39% im Jahr 2060 verringern wird. Im selben Zeitraum werden China und Indien ihren Anteil von 19% auf 28% erhöhen, die Schwellenländer zusammen von 43% auf 61%. Obwohl sich die Wirtschaftsdynamik weltweit und in den Industrieländern besonders stark abschwächen wird, werden sich die CO2-Emissionen bis 2060 verdoppeln, und die Erderwärmung wird - ohne Gegensteuerung -bis 2060 im Durchschnitt der Szenarien 3GradC betragen.

Beim Jahrestreffen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Paris wurden die möglichen Reaktionen der Wirtschaftspolitik auf diese langfristigen Entwicklungstrends diskutiert. Sowohl die Experten und Expertinnen der OECD als auch der Institute aus den USA, Europa, Japan und Brasilien betonten dabei die Notwendigkeit, aber auch die Chancen der Wirtschaftspolitik, diese langfristigen Entwicklungen zu beeinflussen. Zu diesem Zweck ist eine verstärkt strategische und internationale Perspektive notwendig. Sie muss auch die Folgen wirtschaftspolitischer Handlungen eines Landes auf andere mit berücksichtigen. Sowohl in dem Projekt "New Perspectives" der OECD als auch in dem von der Europäischen Kommission beauftragten Forschungsprogramm "WWWforEurope - Welfare, Wealth and Work for Europe" sind diese internationalen Zusammenhänge ein wichtiger Teil der Rahmenbedingungen, an denen sich langfristige strategische Überlegungen von Ländern und Regionen orientieren sollen. Die OECD bietet auch ein System von Wohlfahrtsindikatoren an (Better Life Indicators), an dem Länder sowohl ihren Fortschritt messen als auch sich mit anderen Ländern vergleichen können.

Der Leiter des WIFO Prof. Dr. Karl Aiginger hielt auf dieser Tagung ein Referat über das Zusammenspiel wirtschaftspolitischer Strategien verschiedener Länder mit dem Titel "Strategien zur Reindustrialisierung von Industrieländern". Er diskutierte vor allem die Vor- und Nachteile unterschiedlicher strategischer Ansätze zur Reindustrialisierung von Ländern. Jedes Land kann versuchen, die Faktoren, die die künftige Wettbewerbsposition verbessern, zu forcieren oder bei gegebenen Strukturen eine günstigere Kostenposition zu erreichen. Anhand der Entwicklung in Südeuropa kann dabei gezeigt werden, dass besonders in Strukturkrisen beide Strategien notwendig sind. Einerseits mussten Griechenland, Spanien und Portugal die Lohnkosten an die schwache Produktivitätsentwicklung anpassen, andererseits reichte diese Strategie allein aber nicht aus, um das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum zu stärken oder gar um die Staatsschulden abzubauen.

Die notwendigen Bedingungen für eine Wirtschaftsbelebung in Südeuropa sind Unternehmensgründungen, eine Verbesserung der Verwaltungsstrukturen, politische Reformen und eine Steigerung der Attraktivität für internationale Investoren. Die Strategie muss auch berücksichtigen, dass jederzeit andere Länder versuchen werden, die Position in der internationalen Arbeitsteilung zu übernehmen, sodass sich der Konkurrenzdruck erhöht. Eine langfristige Wirtschaftsstrategie für ein Land in einer Strukturkrise muss daher die Stärken des Landes definieren, die auch bei verschärfter Preiskonkurrenz längerfristig gegeben sind.

Führende Industrieländer müssen Wettbewerbsstärken entwickeln, die ihre Wohlfahrtsposition verbessern und auf dem hohen Innovations- und Qualifikationsniveau aufbauen, das nur in Industrieländern verfügbar ist. Eine stabile hochqualifizierte Industrie ist dafür ein notwendiger Bestandteil, da hier der größte Teil der Forschungsausgaben getätigt wird. Eine technologische Vorreiterposition u. a. im Bereich neuer Energien und Vermeidung von Treibhausgasemissionen eröffnet Exportchancen und die Ausbreitung der neuen Technologien durch Auslandsinvestitionen auf dynamischen Märkten. Die Erschließung billiger Energie - etwa durch Förderung von Schiefergas - verbesserte laut Aiginger zwar die Kostenposition und erhöhte den Anteil der energieintensiven Industrie in den USA; da jedoch die USA bereits einen Exportüberschuss im Handel mit energieintensiven Produkten und ein Defizit im Bereich der Technologiegüter aufweisen, wird der Beitrag von Energiekostensenkungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der USA begrenzt sein. Die Ausweitung der Erdöl- und Gasförderung in den USA dämpft die Energiepreise und steigert den Export von Kohle nach Europa. Der Umstieg auf erneuerbare Energieträger wird sowohl in den USA als auch in Europa dadurch weniger attraktiv.

Gerade im Umweltbereich hat dabei die Vernetzung der Konsequenzen von Handlungen in einer Region für eine andere zugenommen, sodass eine gemeinsame Strategie zur Senkung der CO2-Emissionen, besonders angesichts der OECD-Szenarien zur Klimaerwärmung, sinnvoll wäre. Auch wenn aktuell die Emissionen am stärksten in den rasch expandierenden Volkswirtschaften in Asien steigen, ist eine Vorreiterposition der Industrieländer in der Umweltpolitik notwendig, um Innovationen in Umwelttechnologien zu fördern und anschließend über internationale Verträge die Verbreitung der effizientesten Umwelttechnologien zu beschleunigen. Eine technologische Vorreiterposition könnte auch den Verlust von Marktanteilen der Industrieländer dämpfen, insbesondere wenn Europa sein Defizit im Forschungsbereich verringert und das Bildungssystem verbessert. Hohe Innovationsausgaben und Energieeffizienz sowie hervorragendes Humankapital sind die beste Absicherung gegen die Konkurrenz der Schwellenländer.

 

 

 

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