Parlamentarische Enquete über Status und Entwicklungspotentiale der Länderkammer
Wien (pk) - Sind zweite parlamentarische Kammern überflüssige und ineffiziente Gremien, die Gesetzgebungsprozesse
unnötig verlängern und verteuern? Oder erfüllen sie in politischen Systemen wichtige Funktionen,
wie die deutsche Politikwissenschaftlerin Gisela Riescher meint? Und wie kann es gelingen, den Bundesrat zu reformieren
und ihm in der Bundesgesetzgebung mehr Gewicht zu geben? Über diese Fragen diskutierten PolitikerInnen und
WissenschaftlerInnen am 25.06. im österreichischen Parlament. "Der Bundesrat – Status und Entwicklungspotentiale"
lautete der Titel einer Parlamentarischen Enquete, zu der Bundesratspräsident Michael Lampel neben Länder-
und InteressenvertreterInnen sowie Föderalismus- und VerfassungsexpertInnen auch Kanzleramtsminister Josef
Ostermayer begrüßen konnte.
Für einen Großteil der Enquete-TeilnehmerInnen war jedenfalls klar: Der Bundesrat braucht mehr Rechte.
Und nicht nur mehr Rechte, wie Peter Bußjäger vom in Innsbruck ansässigen Institut für Föderalismus
meint, sondern auch mehr Selbstbewusstsein. Eine Aufwertung des Bundesrats würde wenig bewirken, wenn die
Fraktionen im Bundesrat weiterhin gleich wie im Nationalrat abstimmen, gab er zu bedenken. Ins selbe Horn stieß
auch der burgenländische Landtagspräsident Gerhard Steier, er appellierte an die BundesrätInnen,
sich aus der Umklammerung des Nationalrats zu lösen und den Bundesrat als neuen Reformmotor der Republik zu
etablieren. Am Föderalismus zu rütteln, kommt für Steier jedenfalls nicht in Frage, dieser ist seiner
Meinung nach hauptverantwortlich für den sozialen Frieden und den Wohlstand in Österreich sowie die Akzeptanz
der Demokratie.
Minister Ostermayer unterstrich mit Verweis auf das Regierungsprogramm, die Regierung bekenne sich zu einer effektiven
Mitwirkung des Bundesrats an der Bundesgesetzgebung. Er warnte aber davor, durch eine Ausweitung der Kompetenzen
des Bundesrats den Gesetzgebungsprozess zu verlangsamen und zu erschweren.
Wie eine Reform des Bundesrats ausschauen könnte, veranschaulichte ein vom Präsidenten des Oberösterreichischen
Landtags Viktor Sigl mitgebrachter Gesetzentwurf, der im Wesentlichen auf einer gemeinsamen Position der Bundesländer
beruht. Geht es nach Sigl, soll sich der Bundesrat künftig nur noch mit Gesetzesbeschlüssen des Nationalrats
befassen, die die Interessen der Länder berühren bzw. die finanzielle Auswirkungen haben. In diesen Fällen
soll er dann allerdings ein ausdrückliches Zustimmungsrecht haben. Im Entwurf vorgesehen sind außerdem
die frühzeitige Einbindung des Bundesrats in den Gesetzgebungsprozess in Form eines Stellungnahmerechts, die
Einrichtung eines Vermittlungsausschusses als gemeinsames Organ von Nationalrat und Bundesrat für Streitfälle
sowie die Mitwirkung des Bundesrats bei der Wahl der VolksanwältInnen und des Rechnungshofpräsidenten.
Ermutigende Worte gab es jedenfalls von Politikexpertin Riescher, die auf viele mögliche Funktionen von Zweiten
Parlamentskammern verwies. Abseits der Vertretung territorialer Interessen könnten diese etwa als "Vetospieler"
auch Minderheitenpositionen repräsentieren, Mehrheitspositionen reflektieren und dazu beitragen, die Konsensbasis
zu erweitern, hat sie in zwei Forschungsprojekten erhoben. In einigen Ländern werde ihnen auch die Rolle als
"Kammer der Erfahrung" zugeschrieben. Allerdings hängt Riescher zufolge die Akzeptanz und Bedeutung
von Zweiten Kammern wesentlich davon ab, wie die politische Willensbildung in einem Land im Allgemeinen erfolgt
und mit welchen Rechten die Zweite Kammer ausgestattet ist.
Lampel: Bundesrat braucht echtes Vetorecht in Finanzfragen
Eingeleitet wurde die Enquete durch ein Statement von Bundesratspräsident Michael Lampel. Er äußerte
sich über das zuletzt von den Ländern abgegebene klare Bekenntnis zum Bundesrat erfreut und bekräftigte,
die Stärkung und Aufwertung des Bundesrats sei ein Gebot der Stunde. So forderte er etwa ein echtes Vetorecht
der Länderkammer, wenn ein Gesetz Auswirkungen auf die Finanzen der Länder hat. Notwendig ist es seiner
Meinung nach auch, die Aufgaben und die Funktion des Bundesrats der Öffentlichkeit besser zu vermitteln. In
Anlehnung an Aussagen des Burgenländischen Landeshauptmanns Hans Niessl urgierte Lampel eine Diskussion über
eine "Zentralismusreform".
Ostermayer: Bundesratsvorsitz auf ein Jahr verlängern
Kanzleramtsminister Josef Ostermayer stellte eingangs seines Referats klar, er sei sich vollkommen bewusst, dass
die Zusammensetzung und die Aufgaben des Bundesrats eine Angelegenheit des Parlaments und nicht der Regierung sei.
Das Arbeitsprogramm der Regierung setze sich im Kapitel "Staatsreform und Demokratie" jedoch mit der
"nicht mehr zeitgemäßen" bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auseinander, skizzierte er.
Ziel sei eine klare und moderne Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern. Die Regierung bekenne sich
im Arbeitsprogramm auch zu einer effektiven Mitwirkung des Bundesrats an der Bundesgesetzgebung, sagte Ostermayer,
dieser solle in seinen Aufgaben gestärkt und in seiner Zusammensetzung verschlankt werden. Die heutige Enquete
sieht er als Vorarbeit für die in Aussicht genommene Föderalismusreformkommission auf parlamentarischer
Ebene.
Ostermayer nannte in seiner Rede auch einige konkrete Reformideen und regte etwa an, dem Bundesrat zu ermöglichen,
legistische Versehen in Nationalratsbeschlüssen zu korrigieren und ihm in diesem Sinn eine Art Qualitätskontrolle
zu übertragen. Sinnvoll wäre es seiner Meinung nach auch, würde die Länderkammer nicht alle
Beschlüsse des Nationalrats automatisch diskutieren, sondern sich auf kontroversielle Themen konzentrieren.
Für mehr Kontinuität könnte seiner Meinung nach eine Verlängerung der jeweiligen Bundesratspräsidentschaft
von einem halben Jahr auf ein Jahr sorgen. Durch Stellungnahmen könnte sich der Bundesrat bereits im Vorfeld
von Gesetzesbeschlüssen in die Diskussion einbringen. Für Ostermayer ist auch vorstellbar, dass der Bundesrat
bei Landeskompetenzen, die die Länder nicht abgeben wollen, etwa beim Jugendschutz oder bei der Bauordnung,
eine koordinierende Rolle einnimmt.
Ostermayer wies allerdings darauf hin, dass der Bundesrat bereits jetzt Kompetenzen habe, die er nicht immer ausschöpfe.
So seien in den letzten Legislaturperioden des Nationalrats nur ganz wenige Gesetzesinitiativen vom Bundesrat ausgegangen.
Allgemein warnte Ostermayer davor, den Gesetzgebungsprozess durch die Übertragung zusätzlicher Kompetenzen
an den Bundesrat zu verlangsamen und zu erschweren.
Steier: Föderalismus sorgt für Wohlstand und Sozialen Frieden
Gehard Steier, Präsident des Burgenländischen Landtages, nutzte die Enquete, um die Bedeutung des Föderalismus
zu unterstreichen. Seiner Ansicht nach gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen der föderalen Struktur Österreichs
und dem Wohlstand und dem sozialen Frieden im Land. Der Föderalismus ermögliche es, besser auf die Bedürfnisse
kleinräumiger Regionen und die Anliegen von BürgerInnen einzugehen, ist er überzeugt. Zudem führe
das Konkurrenzverhältnis zwischen den Ländern zu einer permanenten Verbesserung der staatlichen Leistungen
nach dem Best-Practice-Prinzip. Steier appellierte in diesem Sinn an alle, davon Abstand zu nehmen, das "bestens
bewährte" föderale System in Frage zu stellen.
Für notwendig erachtet es Steier, eine Diskussion über die Stärkung des Bundesrats zu führen.
Er sprach sich insbesonders für ein ausdrückliches Zustimmungsrecht der Länder zu allen Gesetzen
aus, die Länderinteressen berühren. Dazu gehören ihm zufolge etwa Verfassungsänderungen, Steuergesetze,
alle Gesetze, die finanzielle Auswirkungen auf die Länder haben, und Gesetze, die Ausführungsgesetze
der Länder bedürfen. Bei einem Patt zwischen Nationalrat und Bundesrat wäre ihm zufolge ein Vermittlungsausschuss
ein tauglicher Weg. Steier regte außerdem an, den LandtagspräsidentInnen ein Teilnahme- und Rederecht
bei Bundesratssitzungen zu gewähren.
Neben einer Ausweitung der Rechte des Bundesrats bedarf es nach Überzeugung von Steier aber auch faktischer
Schritte. Der Bundesrat müsse sich aus der Umklammerung des Nationalrats loslösen und könnte sich
etwa als Reformmotor der Republik ein neues Profil geben, bekräftigte er. So solle der Bundesrat vermehrt
Gesetze in Gang setzen. Damit könnte es gelingen vom "Reformzölibat" in Österreich wegzukommen.
Steier regte zudem an, den bevorstehenden Umbau des Parlaments zu nutzen, um die Selbstständigkeit und Bedeutung
des Bundesrats auch räumlich herauszustreichen.
Sigl: Bundesrat soll nicht "more of the same" des Nationalrats sein
Auch Viktor Sigl, Präsident des Oberösterreichischen Landtags, hob die Bedeutung des Föderalismus
hervor. Er ist überzeugt, dass dieser der Republik gerade in den letzten 5 bis 6 Jahren immens viel gebracht
hat. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 sei etwa die Wirtschaftsleistung von Oberösterreich
und der Steiermark um 4 % geschrumpft, den Ländern sei es aber gelungen "durch sehr individuelle und
sehr treffsichere Gegenmaßnahmen" die Entwicklung abzufedern. Ohne föderale Strukturen wäre
das seiner Meinung nach nicht so gut gelungen.
Den Bundesrat sieht Sigl als wichtiges Gremium, um die Interessen der Länder und Gemeinden auf Bundesebene
darzulegen. Er stellte allerdings die Effizienz der Länderkammer infrage. Der Bundesrat solle nicht "more
of the same des Nationalrats" sein, sondern gezielt Schwerpunkte setzen. So schlägt Sigl vor, sich bei
allgemeinen Gesetzen etwas zurückzunehmen und sich dafür umso stärker dort einzubringen, wo es um
zentrale Interessen der Länder und Gemeinden geht. In diesem Sinn will er auch den von ihm mitgebrachten Gesetzesvorschlag
verstanden wissen, der seinem Bestreben nach so rasch wie möglich umgesetzt werden soll.
Bußjäger: Reform muss an Rechtsstellung und an Fraktionsdisziplin ansetzen
Der Direktor des Instituts für Föderalismus, Universitätsdozent Peter Bußjäger, ortete
eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem real existierenden österreichischen Bundesrat. Niemand werde die Tatsache
bestreiten, dass der österreichische Bundesrat nur in einem bescheidenen Maße in der Lage ist, an der
Bundesgesetzgebung mitzuwirken und die vorhandenen Rechte in der Praxis zudem so gut wie nicht ausübt; dies
sei nicht optimal. Die primären Funktionsdefizite liegen nach Ansicht von Bußjäger einerseits in
der schwachen Rechtsstellung und andererseits in dem Umstand, dass die Bundesräte ihr Abstimmungsverhalten
an jenem ihrer Parteikollegen im Nationalrat ausrichten. Sodann erläuterte der Referent die formalen und praktischen
Gründe, die grundsätzlich die Existenz des Bundesrates legitimieren und ging noch auf alternative Modelle
der Ländermitwirkung ein.
In den letzten Jahren wurde zahlreiche gute und weniger gute Vorschläge zur Reform des Bundesrates gemacht,
erinnerte Bußjäger. Der Österreich-Konvent habe etwa vorgeschlagen, die Länderkammer im Vorfeld
des Gesetzgebungsprozesses zu stärken und ihm frühzeitig die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen.
Das sogenannte Ländermodell wiederum sehe u.a. eine Aufgabenentflechtung vor, wobei das derzeit bestehende
umfassende Einspruchsrecht des Bundesrates entfallen würde. Seiner Ansicht nach sollte dieses Modell zur Grundlage
der weiteren Diskussion gemacht werden. Generell müsse eine Reform des Bundesrates aber sowohl an der Rechtsstellung
als auch am faktischen Abstimmungsverhalten seiner Mitglieder ansetzen. Außerdem müsse es die Bereitschaft
geben, bisherige Entscheidungsmuster zu überdenken und tief eingegrabene Geleise der politischen Abläufe
in diesem Land zu verlassen, resümierte Bußjäger.
Riescher: Status und Potentiale von Zweiten Kammern im internationalen Vergleich
Politikwissenschaftliche Erkenntnisse über den Status und die Entwicklungspotenziale Zweiter Kammern aus einer
international vergleichenden Perspektive präsentierte Universitätsprofessorin Gisela Riescher. Sie wies
zunächst auf zwei Forschungs- und Publikationsprojekte zum Thema Bikameralismus an der Albert-Ludwigs-Universität
in Freiburg hin, in deren Rahmen 16 Zweite Kammern aus unterschiedlichen Staatsformen (föderal bzw. unitarisch)
und mit verschiedenem Bestellmodus (z. B. Direktwahl, indirekte Wahl, Benennung, Mischverfahren) untersucht wurden.
Man ging dabei von der Beobachtung aus, dass Zweite Kammern nicht selten heftiger Kritik ausgesetzt sind und in
der öffentlichen Meinung oft als untätig, teuer und überflüssig gelten. Es stellte sich daher
die Frage, warum fast ein Drittel aller politischen Systeme heute bikameral organisiert sind, obwohl sie in der
Forschung und im öffentlichen Diskurs derart umstritten sind.
Die WissenschaftlerInnen sind u.a. zum Schluss gekommen, dass die Legitimation und die Bedeutung der Zweiten Kammern
bei territorialer Repräsentation am größten ist, während ständische Repräsentationsprinzipien
an Bedeutung verloren haben, führte Gisela Riescher aus. Der Bikameralismus erfülle zudem dort wichtige
Systemfunktionen, wo er zu einem verhandlungsdemokratischen Element werde, Entscheidungen rationalisiere und unterschiedliche
parteipolitische, ethnische, gesellschaftliche, aber auch ständische Gruppierungen in den legislativen und
exekutiven Prozess einbinde. Die Zweite Kammer wird damit zu einer Institution, die in Konsensdemokratien formale
oder auch informelle "Vetopunkte" anbieten könne, erläuterte Riescher. Dabei gehe es nicht
allein um die faktischen, sondern vor allem auch die potenziellen Möglichkeiten, die in bikameralen Systemen
zur Verfügung stehen.
Was die Situation in Österreich betrifft, so stellen große Koalitionen und die politisch starke Einbindung
der Verbände jenseits des Bundesrates – der ohnehin durch parteipolitische Doppelung und "Klubdisziplin"
an die Nationalratsmehrheit gebunden ist – einen breiten Konsens bereit und schwächen damit die Position des
Bundesrates, führte Riescher weiter aus. Bei einer solchen parteipolitischen Doppelung könne nur eine
umfassende und mit der Ersten Kammer gleichberechtigte Kompetenzaufteilung eine starke Zweite Kammer herstellen.
So gelte z.B. der italienische Senat trotz gleicher Mehrheiten allerdings bei gleicher Legitimation und gleichen
Aufgaben als "machtvoller Zwillingsbruder der Abgeordnetenkammer". Zu vieldimensional sind jedoch die
Bedingungen und die Variablen, unter denen bikamerale Systeme arbeiten, zeigte die Rednerin auf. Die lange Zeit
vorherrschenden Argumentationslinien, es handle sich bei Zweiten Kammern um überflüssige und untätige
Gremien, welche die Gesetzgebungsprozesse unnötig verlängern und verteuern, können ihrer Meinung
nach unter dem Paradigma der Vetopunkte in den meisten Fällen schnell entkräftet werden. Deutlich werde,
dass Zweite Kammern unter den Aspekten der Repräsentation von Minderheitenpositionen, der Reflexion von Mehrheitspositionen
und der Erweiterung der Konsensbasis in modernen Demokratien ein Set an systemfunktionalen Erfordernissen erfüllen,
unterstrich Riescher.
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