Absolventin der Uni Graz erforscht die Kasperl-Figur vor der Kulisse des Ersten Weltkriegs
Graz (universität) - Vom üblen Spießgesellen zum harmlosen Spaßvogel: Der Kasperl
hat seit seinem ersten Auftritt im 18. Jahrhundert eine enorme Wandlung durchgemacht. Heute als fröhliche
Kinderfigur bekannt, sorgte Kasperl einst als brutaler Trunkenbold für Skandale und Zensuren. Zur Zeit des
Ersten Weltkriegs hetzte der „feldgraue Kasper“ gegen afrikanische Kolonialtruppen, wies KriegszweiflerInnen in
die Schranken und griff selbst tollkühn ins Kampfgeschehen ein. Er half den Soldaten an der Front aber auch
über ihren freudlosen Alltag hinweg, kritisierte kriegsbedingte Missstände im Hinterland und ließ
sich vor allem sein lebensfrohes Lachen nicht nehmen. Die vielschichtigen Auslegungen der Kasperl-Figur in den
Kriegsjahren 1914 bis 1918 analysierte Mag. Evelyn Zechner, Germanistin und Absolventin der Karl-Franzens-Universität
Graz, in ihrer von der germanistischen Literaturwissenschaftlerin Beatrix Müller-Kampel betreuten Masterarbeit
„Kasper saust von Sieg zu Sieg“.
Als gewalttätiger Säufer und obszöner Taugenichts war die Kasperl-Figur lange Zeit fixer Bestandteil
im Repertoire zahlreicher Wandertheater Europas. Mit Fortlauf der Aufklärung nahmen die Puppenbühnen
als frühe „Medien für das Volk“ auch zeitaktuelle Themen, wie zum Beispiel Kriege, in ihr Programm auf,
erklärt Zechner: „Fast alle großen Militäraktionen fanden den Weg auf die Bühne – so konnten
die SchaustellerInnen und PuppenspielerInnen diese Ereignisse auf ihre eigene, oft humoristische Weise kommentieren.
Im 20. Jahrhundert erfuhr die Figur eine Politisierung und Ideologisierung: Kasperl triumphiert als echter Siegertyp
stets über seine GegnerInnen, seien es Feinde im Feld, Tod und Teufel oder seine eigene Frau, die ihn bei
seinem Heimaturlaub wenig freundlich empfängt.“ Während er dem Kämpfen an sich nicht abgeneigt ist,
prangert Kasperl die Folgeerscheinungen des Krieges durchaus an: Weit verbreiteten Hunger, strenge Rationierungsvorschriften
und opportunistische Kriegsgewinnler kritisiert er scharf. Diese Haltungen lassen Rückschlüsse auf die
Lebenssituationen der sechs untersuchten Kasperl-AutorInnen zu, meint Zechner: „Alle stammten aus dem bürgerlichen
Milieu und waren keine berufsmäßigen Puppenspieler. Der einzige Österreicher unter ihnen, Fritz
Oberndorfer, war als Leiter des Referats für Kartoffelversorgung in Graz selbst nicht im Krieg, kannte aber
das Leid im Hinterland nur allzu gut. Das spiegelt sich auch in seinen Texten wieder.“ In anderen Bühnenstücken
durchläuft Kasperl sämtliche Stationen im Leben eines Soldaten, kämpft im Schützengraben und
nimmt Feinde gefangen. „Gleichzeitig schlägt er sich mit List, Humor und einer lebensbejahenden Einstellung
durch und fungiert in den schweren Kriegsjahren als Entertainer, sowohl direkt an der Front als auch im Hinterland“,
unterstreicht Zechner die vielen Seiten des Kasperls. An seine rassistischen Züge wird sein Nachfolger, der
„braune Kasperl“ aus dem Zweiten Weltkrieg, rechtzeitig anknüpfen.
Masterarbeit: "'Kasper saust von Sieg zu Sieg'. Sozialhistorische und soziologische Studien zu ausgewählten
Puppenspielen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs." Erschienen in LiTheS: Zeitschrift für Literatur- und
Theatersoziologie. Sonderband 2. Online verfügbar unter: http://lithes.uni-graz.at/lithes/11_sonderband_2.html
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