Historikerin der Uni Graz erforscht Widersprüche zwischen Frauenbild und Realität
Graz (universität) - Krankenschwestern und Pflegerinnen im Ersten Weltkrieg wurden in der öffentlichen
Wahrnehmung – entsprechend dem traditionellen Geschlechterbild -als fürsorgliche, opferbereite und demütige
Frauen inszeniert. Tatsächlich aber überschritten sie mit ihrer Tätigkeit in Genesungsheimen oder
Sanitätskolonnen und Militärspitälern die Grenzen weiblich definierter Handlungsräume. Ass.-Prof.
Dr. Heidrun Zettelbauer vom Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz untersucht diese
Widersprüche und Ambivalenzen am Beispiel der Verwundetenpflege im Kronland Steiermark.
Das Geschlechterverhältnis war vor allem kurz vor und während der ersten Jahre des „Großen Kriegs“
geprägt von klar definierten Rollenbildern, unterstützt von patriotisch-nationalen Rhetoriken: auf der
einen Seite die mütterliche, opferbereite, fürsorgliche und demütige Frau, auf der anderen der männliche,
kämpferische Soldat. Dieser Diskurs, der von den Frauen wesentlich mitgetragen wurde, stand allerdings im
Widerspruch zur gelebten Realität.
Heidrun Zettelbauer zeigt auf, wie diese Ambivalenz an den Kriegskrankenschwestern und -pflegerinnen, die im Hinterland
oder auch direkt an der Front im Einsatz waren, besonders deutlich wird: „Einerseits entsprechen sie dem überhöhten
Bild, andererseits überschreiten sie mit ihren Tätigkeiten die akzeptierten Grenzen von Weiblichkeit.
Zugleich werden sie gerade in der Pflege von Verwundeten unmittelbar mit der Gewalt des ‚männlichen‘ Krieges
konfrontiert“, so die Historikerin. Die Grenzen zwischen den konstruierten Geschlechterräumen verschwimmen.
In Österreich-Ungarn kümmerten sich während des Ersten Weltkriegs drei große Kriegshilfeorganisationen
um die Verwundeten: das Kriegshilfsbüro vom Ministerium des Inneren, das Kriegsfürsorgeamt im Kriegsministerium
sowie die Österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz mit vielen Landesverbänden und lokalen Zweigvereinen.
„Allein in der Steiermark gab es im Jahr 1915 über 90 Rotkreuz-Sanitätsanstalten, die unter anderem auch
von Frauen verschiedener Vereine getragen wurden“, weiß Heidrun Zettelbauer. Eine dieser Anstalten war das
Soldaten-Genesungsheim des „Verein Südmark“ in Graz-Kroisbach, dem die Wissenschafterin im Rahmen ihrer Forschungen
besondere Beachtung schenkt.
1889 wurde in Graz der „Verein Südmark“ gegründet. Diese radikale deutschnationale, antisemitische Organisation
hatte auch viele Frauen-Ortsgruppen, die sich im Ersten Weltkrieg in der Verwundetenpflege engagierten. „Das Heim
in Kroisbach war ein Versuch – nicht zuletzt auch völkischer Aktivistinnen – nationale Geschlechterpolitik
konkret in die Praxis umzusetzen und die Anstalt als ‚Insel völkischer Barmherzigkeit‘ unter starker weiblicher
Beteiligung zu inszenieren“, erklärt Zettelbauer.
Im Rahmen der Kriegsfürsorge erprobten viele Frauen mit national-patriotischer Gesinnung somit auch konkrete
Handlungsspielräume, die der Sphäre des Öffentlich-Politischen – implizit Männlichen – zugeschrieben
wurden. Dies zeigt sich gerade auch in Biographien und Erinnerungen völkischer Aktivistinnen, wie der Grazerin
Lina Kreuter-Gallé, die bereits im August 1914 als freiwillige Krankenpflegerin an die Front kam und nach
ihrer Rückkehr eine steile Karriere im deutschnationalen Vereinsmilieu machte.
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