Wien (tu) - Unter extremem Druck kann es zu Phasenübergängen kommen, die sich mit herkömmlichen
Methoden nicht berechnen lassen. Durch eine neue Theorie, entwickelt an der TU Wien und der Universität Wien,
wird eine genauere Analyse seismischer Wellen und ein Einblick in die innersten Eigenschaften unserer Erde möglich.
Ins Innere unseres Planeten zu gelangen ist eine schwierige Aufgabe – das hat schon Jules Verne in seinem berühmten
Roman "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" beschrieben. Auch heute noch können wir nur indirekt
durch seismische Messungen Information über Struktur und Zusammensetzung der Erde gewinnen. Um solche Daten
allerdings richtig interpretieren zu können, braucht man eine exakte Beschreibung der Materialien im Erdinneren.
Einem Team von Wissenschaftlern der TU Wien und der Universität Wien unter Führung des theoretischen
Physikers Andreas Tröster (TU Wien) gelang es nun mit Hilfe quantenphysikalischer Berechnungen, bestimmte
Phasenübergänge, wie sie bei hohem Druck im Erdinneren stattfinden, mit bisher noch nie dagewesener Präzision
zu beschreiben. Die neue Theorie wurde nun im Fachjournal „Physical Review X“ publiziert.
Hochdruckphasenübergänge geben Einblick ins Erdinnere
Das Innere unserer Erde ist bis heute noch nicht vollständig erforscht. Bekannt ist, dass rund 60 Prozent
der Erde aus siliziumhaltigen Materialien – sogenannten Perowskit-Strukturen – bestehen, der mächtige untere
Mantel sogar zu 93 Prozent. Diese Mineralien sind in der Erde einem enorm großen Druck ausgesetzt. Der im
Zentrum herrschende Druck von 360 Giga-Pascal entspricht einem Gewicht von zehn Millionen Elefanten auf einer Fläche
von einem Quadratmeter. "Dadurch kann es unter bestimmten Bedingungen zu Hochdruckphasenübergängen
kommen, bei denen sich die innere Struktur der Mineralien ändert" erklärt Trösters einstiger
Doktorvater, der Materialphysiker Wilfried Schranz von der Arbeitsgruppe "Physik Funktioneller Materialien"
der Universität Wien.
Die Struktur des Erdkörpers wird untersucht, indem man seismische Wellen analysiert. Ihr Ausbreitungsverhalten
wird durch die elastischen Eigenschaften der Materialien im Erdinneren festgelegt. "Diese elastischen Eigenschaften
können sich in der Nähe von strukturellen Phasenübergängen als Funktion von Druck und Temperatur
stark ändern", erklärt Schranz. „Bis heute gibt es aber leider keinen veröffentlichten experimentellen
Datensatz zu den elastischen Eigenschaften der Materialien im Erdmantel bei realistischen Druck- und Temperaturbedingungen,
geschweige denn von Materialien im tiefen Erdinneren." Man ist daher auf Berechnungen angewiesen.
Eine Erweiterung der Landau-Theorie
„Quantenmechanische ab-initio-Computersimulationen erlauben zwar die Berechnung von elastischen Eigenschaften von
Materialien bis zu extremen Drücken, die Einbeziehung von Temperatureffekten ist dabei aber nur beschränkt
möglich“, erklärt der theoretische Chemiker Peter Blaha. Phasenübergänge in Kristallen werden
seit vielen Jahren mit Hilfe der „Landau-Theorie“ beschrieben. Sie erweist sich bei Drücken, mit denen wir
normalerweise zu tun haben, als äußerst nützlich. „Bei hohem Druck kommt es aber zwangsläufig
zu nichtlinearen Effekten, die man in der bisherigen Landau-Theorie vernachlässigen muss“, sagt Andreas Tröster.
Das bedeutet zwar mathematisch eine enorme Vereinfachung, kann aber rasch zu Fehlern von sage und schreibe 100
Prozent führen. Einige Vorhersagen von Materialeigenschaften bei hohem Druck, die mit den bisher verwendeten
Methoden berechneten wurden, müssen daher vermutlich auch einer gründlichen Revision unterzogen werden.
Lange wurde daher nach einer mathematisch konsistenten Erweiterung der Landau-Theorie auf Hochdruckphasenübergänge
gesucht. „Uns gelang das nun mit Hilfe von Gruppentheorie, nichtlinearer Elastizitätstheorie und quantenmechanischen
Dichtefunktionalberechnungen am Computer“, erklärt Tröster: „In dieser lange gesuchten Erweiterung der
Landau-Theorie wird erstmals auch der bei hohen Drücken entscheidende nichtlineare Beitrag zur elastische
Energie eines Kristalls mathematisch konsistent berücksichtigt.“
Um die neue Theorie zu testen, wandte man sie auf Strontiumtitanat an, einen Perowskit, dessen Eigenschaften bereits
gut bekannt sind. „Anhand dieses Schlüssel-Materials konnten wir demonstrieren, dass unsere Theorie exzellent
mit den gemessenen Daten übereinstimmt“, sagt Wilfried Schranz. Das zeigt, welch hohe Qualität bei der
Beschreibung von Hochdruckphasenübergängen mit Hilfe von quantenmechanischen Dichtefunktionalberechnungen
erreicht werden kann. „In Zukunft werden wir durch ein enges Zusammenspiel von experimenteller Arbeit, Computersimulationen
und analytischer Theorie die gewonnenen Daten in große geophysikalische bzw. seismologische Modelle integrieren
können. Damit werden wir zu einem immer besseren Verständnis des Aufbaus und der Eigenschaften unserer
Erde gelangen", freut sich Andreas Tröster.
Publikation in "Physical Review X"
Andreas Tröster, Wilfried Schranz, Ferenc Karsai and Peter Blaha:
"Fully consistent finite-strain Landau theory for high-pressure phase transitions", Phys. Rev. X (2014).
http://journals.aps.org/prx/abstract/10.1103/PhysRevX.4.031010
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