Wissenschaftler der Uni Kassel entwickeln neuartiges umweltfreundliches Tensid – Kooperation
mit der Universität Graz
Kassel (idw) - Es klingt wie ein Zaubertrick: Eine Forschungsgruppe der Universität Kassel hat auf
Basis von gewöhnlichem Quarzsand eine neuartige Klasse von Tensiden entwickelt. Der Stoff kann in Seifen oder
Waschmitteln zum Einsatz kommen und hat gegenüber herkömmlichen Produkten eine Reihe von Vorteilen.
Der Stoff hat einen komplizierten Namen, aber er hat, was es im Haushalt braucht: Das „silanol-basierte Tensid“,
das Wissenschaftler der Universität Kassel entwickelt haben, vereint wie herkömmliche Tenside Flüssigkeiten,
die eigentlich nicht mischbar sind, und löst so beispielsweise das Öl von der Küchenschürze
im Wasser der Waschmaschine. „Unser silanol-basiertes Tensid reduziert die Oberflächenspannung von Wasser
in vergleichbarem Maße wie andere bekannte Tenside“, erklärt Prof. Dr. Rudolf Pietschnig, Leiter des
Fachgebiets Chemische Hybridmaterialien an der nordhessischen Hochschule. Damit könnte der Stoff im Prinzip
zukünftig als Kernbestandteil von Waschmitteln, Seifen, Spülmitteln und anderen Detergenzien zum Einsatz
kommen.
Im Gegensatz zu phosphathaltigen Waschmitteln ist das neuartige Tensid für die Umwelt unschädlich, wie
Pietschnig erläutert: „Insbesondere führt er über das Abwasser nicht zur Eutrophierung von Gewässern“,
also zur Anreicherung mit Nährstoffen, die in einem vermehrten Wachstum von Algen und anderen Pflanzen resultiert
und Gewässer „umkippen“ lassen kann. Zudem haben Tests ergeben, dass das Tensid für menschliche Zellen
ungiftig ist. Die Neuentwicklung hat aber noch einen weiteren Vorteil: „Die Ausgangsstoffe lassen sich aus gewöhnlichem
Quarzsand herstellen“, so der Wissenschaftler, „der wiederum aus den zwei häufigsten chemischen Elementen
der Erdkruste besteht und daher als Ressource so schnell nicht knapp werden dürfte.“
„Infrastruktur zur industriellen Produktion ist in Deutschland vorhanden“
Bis aus dem Sand ein Tensid wurde, waren mehrere Verarbeitungsschritte nötig: Industriell wird der Sand zunächst
zu Silicium reduziert und dann mittels Direktsynthese zu Organosiliciumverbindungen weiter umgesetzt, ganz wie
bei der Silikonherstellung. Der entscheidende Schritt war dann die Synthese zu einer besonders stabilen Variante
von dabei auftretenden Zwischenprodukten, eines sogenannten Silantriols. Dabei handelt es sich um ein Molekül,
bei dem sich drei OH-Gruppen um ein Siliciumatom gruppieren und an eine vierte Stelle ein organischer Bestandteil
angedockt wird. Pietschnigs Forschungsgruppe baute den Stoff so um, dass er stabil genug ist, um sich nicht von
selbst zu verändern, zugleich aber geeignet ist, um Fett in Wasser zu lösen. „Silantriole werden eigentlich
seit rund 50 Jahren recht intensiv untersucht“, berichtet Pietschnig. „Offenbar hatte aber noch niemand daran gedacht,
daraus ein Tensid herzustellen.“ Das sei einerseits durchaus überraschend, so Pietschnig, „andererseits war
die Synthese auch nicht ganz einfach.“ Die Ergebnisse veröffentlichten Pietschnig und seine Mitarbeiterin
Dr. Natascha Hurkes vom Institut für Chemie mit einem interdisziplinären Team der Universitäten
Kassel (Dr. Malte Bussiek, Institut für Biologie) und Graz im renommierten Fachmagazin „Chemistry“, der Artikel
ist soeben online erschienen.
Die Kasseler Forschungsgruppe hat das neue Tensid bislang nur im Labormaßstab hergestellt. Grundsätzlich
steht einer industriellen Produktion in Deutschland aber nichts im Wege: „Die Infrastruktur wäre prinzipiell
vorhanden, da deutsche Unternehmen traditionell bei der Organosiliciumchemie gut aufgestellt sind. Bei der Herstellung
von Silikonen treten Silanole normalerweise als instabile Zwischenprodukte auf“, so Pietschnig. Allerdings stehen
für eine wirtschaftliche Umsetzung noch Prozessoptimierungen für den industriellen Maßstab aus.
Der nachhaltige Charakter derartiger Materialien wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass sie in der
Umwelt oder bei der Verbrennung in der Regel einfach wieder in SiO2, CO2 und Wasser umgewandelt werden.
Kooperation mit Universität Graz
Prof. Dr. Rudolf Pietschnig ist gebürtiger Österreicher und entwickelte das „silanol-basierte Tensid“
in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe der Universität Graz. Pietschnig leitet das Fachgebiet Chemische
Hybridmaterialien am Institut für Chemie der Universität Kassel seit 2011 und ist Mitglied des interdisziplinären
Zentrums für Nanostrukturforschung (CINSaT). International ist er Teil des EU-Netzwerks SIPs (Smart Inorganic
Polymers) und einer der beiden deutschen Vertreter im Management Committee dieser Initiative, die sich der Entwicklung
innovativer Kunststoffe zum Ersatz rein petrochemischer Funktionsmaterialien widmet, und durch COST (European Cooperation
in Science and Technology) finanziert wird. Zudem ist er Vorsitzender des Kasseler Ortsverbands der Gesellschaft
Deutscher Chemiker (GDCh).
|