23. Juli bis 5. September 2014 im Ausstellungszentrum im Ringturm
Wien (vig) - Die neue Ausstellung der Reihe "Architektur im Ringturm" des Wiener Städtischen
Versicherungsvereins setzt seine Reise fort und macht diesmal in der Tschechischen Republik und ihrer historisch
bedeutsamen Region Mähren halt. Die Besonderheiten der mährischen Stadtensembles bilden den Mittelpunkt
der Schau. Darüber hinaus wird der sogenannte Stadtorganismus als gesamtheitliches Werk thematisiert. Es wird
gezeigt, wie die urbanen Strukturen die Zeit überdauerten und dabei lebenswert geblieben sind.
Die Einzigartigkeit der mährischen Stadtensembles
Die heutige Tschechische Republik besteht historisch betrachtet aus den drei Teilen Böhmen, Tschechisch-Schlesien
sowie Mähren. Diese Regionen weisen in ihren landschaftlichen Gegebenheiten, ihren meteorologischen Bedingungen,
der historischen Gewachsenheit und auch vom Menschentyp - bis hin zu dessen kultureller oder religiöser Grundeinstellung
- große Unterschiede auf. Speziell die mährischen Stadtensembles inmitten der fruchtbaren und landschaftlich
reichen Weite des namensgebenden Flusses March (Morava) sind einzigartig und lassen in ihrer Gesamtheit wesentliche
Unterschiede zu jenen in Böhmen deutlich werden. Mähren war als Einzugsgebiet junger und gebildeter Zuwanderer
auch für die Entwicklung der Wiener Kultur des Fin de Siècle von großer Bedeutung. Durch die
bewahrte Substanz bilden Böhmen und Mähren im internationalen Kontext bislang wenig bekannte, aber herausragende
Beispiele für über Jahrhunderte gewachsene und immer noch funktionierende Stadtorganismen. Diese lassen
sich jeweils als eine Art "Skulptur" lesen, deren gestalterischer Wert, einem anonymen Kunstwerk gleich
wird. So steht weniger das bauliche Einzelobjekt (Bürgerhäuser, Klöster, Schlösser, Wehranlagen,
Friedhöfe) im Brennpunkt der Ausstellung, sondern vielmehr das Stadtgefüge als Ganzes. Dieses wird -
physisch-real ebenso wie geistig-abstrakt - in seiner gewachsenen, dreidimensionalen Einheit als architektonisches
Werk verstanden Heute noch gelten die teilweise als UNESCO-Weltkulturerbe gelisteten Gebäude als steinerne
Zeugen einer vergangenen Kultur. Sie spannen einen Bogen von der über Jahrhunderte der Prosperität gewachsenen,
historischen Bausubstanz zu den auf hohem architektonischem Niveau stehenden Bauten der ersten Hälfte des
zwanzigsten Jahrhunderts.
Vier Bauten zeigen beispielhaft das Wirken der Metropolen Wien und Prag auf den Baukünstler. In Wien bzw.
Prag ausgebildete Architekten führten ihr in der Stadt erworbenes Können zurück in ihre Herkunftsregion:
Jan Kotera und Emil Králík von Prag nach Proßnitz (Prostejov), Hubert Gessner nach Kremsier
(Kromeríž) und Walter Sobotka nach Iglau (Jihlava). Im Fokus steht die einmalige architektonische Qualität,
die durch die über Jahrhunderte währende Koexistenz der drei präsentesten Bevölkerungsteile
hervorgebracht wurde. In den Mittepunkt gerückt werden jene geschichtlichen Aspekte, die zu diesen beeindruckenden
Stadtensembles geführt haben, die sie lebenswert gemacht und sie überdauern haben lassen. Die Ausstellung
hebt dabei auch jene Charakteristika hervor, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben.
Menschen der Region
In "Bauten o Menschen o Wege" werden Personen dargestellt, die aus Mähren kamen und später
in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie oder sogar weltweit Erfolg hatten. Sie zählen noch heute zu wichtigen
Vertretern der Wiener Kultur um 1900. Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse, aus Friedberg (Príbor)
ist die wohl international bekannteste dieser Persönlichkeiten. Der Architekt und Designer Josef Hoffmann
stammte aus Pirnitz (Brtnice) und der Architekt Adolf Loos aus Brünn (Brno). Der österreichische Komponist
Gustav Mahler bewahrte ein Leben lang enge Verbindungen nach Iglau (Jihlava), wo er aufgewachsen war. Seine Eltern
und zwei seiner Geschwister liegen dort am alten jüdischen Friedhof begraben. Karl Renner und Adolf Schärf,
beide Präsidenten der Zweiten Republik, kamen aus Nikolsburg (Mikulov), wo sie das Gymnasium absolvierten.
Max Eisler, berühmter Kunsthistoriker und Wiener Universitätsprofessor der Zwischenkriegszeit, kam
aus Boskovitz (Boskovice). Julius Tandler, Arzt und Politiker, wurde in Iglau (Jihlava) geboren. Die Familie des
früheren Bundeskanzlers Bruno Kreisky kam aus Kaunitz (Dolní Kounice), mütterlicherseits aus Trebitsch
(Trebíc). Edmund Husserl, einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts sowie der Industrielle
und Erfinder der Kontaktlinsen, Otto Wichterle, kamen beide aus Proßnitz (Prostejov). Gleichzeitig stellt
die über Generationen beobachtbare Bewegung vom äußersten Osten der Monarchie über Mähren
in Richtung Hauptstadt einen Weg dar. Mähren diente oft als Zwischenstation von der Peripherie Galiziens oder
der Bukowina ins Zentrum des Reiches.
Ausstellung
Der Wiener Städtische Versicherungsverein präsentiert in Schau und begleitender Publikation zahlreiche
mährische Stadtensembles, die detailreich von ihrer geschichtlichen Entwicklung bis hin zur Analyse von Einzelbauten
und deren Spezifika tiefgreifend dargestellt werden. Zur Veranschaulichung dieser Analyse werden in der Publikation
vielfältige historische sowie zeitgenössische Bildmaterialien präsentiert. Die Ausstellung ist von
Montag bis Freitag, 9:00 bis 18:00 Uhr, freier Eintritt zu besichtigen (an Feiertagen geschlossen).
Katalog
Architektur im Ringturm XXXVII, Mähren - Bauten o Menschen o Wege. Adolph Stiller (Hg.), ca. 156 Seiten
mit zahlreichen Abbildungen, Textbeiträge: Jan Sapák und Stephan Templ Preis: 26 Euro.
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