Reden von Haslauer, Ostermayer und Fischer / Die Festrede hielt der Historiker Christopher
Clark
Salzburg (lk) - Die 94. Salzburger Festspiele wurden am 27.07. mit einer Festveranstaltung in der Felsenreitschule
offiziell eröffnet. Nach der Begrüßung durch Festspielpräsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler folgten
Ansprachen von Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer, Bundesminister Dr. Josef Ostermayer sowie die Eröffnungsrede
von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. Als Festredner verwies der Historiker Prof. Dr. Christopher M. Clark
auf Parallelen zwischen den Ereignissen, die vor 100 Jahren zum Ausbruch des Ersten Wettkrieges geführt haben,
und der heutigen weltpolitischen Lage. Diesem thematischen Fokus entsprechend bildeten Lesungen von Cornelius Obonya
und Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf aus Werken von Karl Kraus und Stefan Zweig den Rahmen der Veranstaltung.
Für die musikalische Gestaltung zeichnete das Mozarteumorchester Salzburg unter seinem Chefdirigenten Ivor
Bolton verantwortlich.
Haslauer: Kunst und Politik als Wechselspiel
"Die Kunst rettet die Welt nicht. Das müssen wir schon selber besorgen, aber: Ohne Kunst wird es uns
das kaum gelingen", stellte Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer am Ende seiner Ansprache fest. Die Allianz
zwischen Politik und Kunst für die "heilige nationale Sache" gebe es nicht mehr. "Sie hat einer
Hassliebe zwischen Kunst und Staat Platz gemacht", so der Landeshauptmann. Diese Beziehung, dieses Aufeinander-
Angewiesen- Sein – Kunst kann ohne Öffentlichkeit nicht existieren, auch ohne öffentliche Finanzierung,
öffentlich getragene Aufführungsstätten oder Festspiele, aber auch der Staat, die Öffentlichkeit
kann und will ohne Kunst nicht sein – gleicht lang verheirateten Ehegatten, die die jeweiligen Angewohnheiten des
anderen bis zur Weißglut reizt und dennoch nicht voneinander lassen, nicht ohne einander leben können,
unvollständig wären, Bruchwerk sein müssten."
Heute sei die Kunst der würdevolle oder provokante Träger des Himmels in einer Prozession des "Nie
wieder", von Humanität und Moralität, ein Himmel, der vor der sengenden Sonne der Wirklichkeit schützen
soll. Aber, so Haslauer, "er schützt nicht vor den Raketen, die in Israel einschlagen und den Granaten
auf Gaza, er schützt nicht vor einem Krieg in der Ukraine, deren Staatsgrenze von Wien weniger weit als Vorarlberg
entfernt liegt. Und dieser Himmel schützt auch nicht den Himmel, aus dem unschuldige Frauen, Kinder, Familien
in den Tod geholt werden."
Ostermayer: Festspiele als Friedenswerk
"In genau diesen Tagen, in denen wir in Salzburg miteinander die Festspiele feiern, hat sich 100 Jahre
zuvor auf dramatische Art und Weise das Schicksal Europas entschieden", betonte Dr. Josef Ostermayer, Bundesminister
für Kunst und Kultur, Verfassung und öffentlichen Dienst. "Die Initiatoren der Salzburger Festspiele
verstanden 1920, zwei Jahre nach Ende des Krieges, ihr Engagement als 'Friedenswerk", so Ostermayer weiter.
Nur wenige Jahre später mussten sie allerdings die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen erleben. Denn der
Nationalsozialismus - und damit die Ursache für das größte Leid: den Zweiten Weltkrieg, wäre
ohne den Ersten nicht möglich gewesen, so der Bundesminister.
Emotionale, menschliche Bewusstmachung entstehe allerdings seltener in Anbetracht globaler Aspekte, sondern öfter
anhand einzelner, persönlicher Schicksale. Kunst und Kultur würden den Weg dorthin öffnen. "Von
Auge, Ohr und Gehirn, wo wahrgenommen und verstanden wird, zum Rest des Körpers, wo in einem kontemplativen
Prozess dafür gesorgt wird, dass Geschichte zuerst emotional und schließlich empathisch verstanden wird.
Die Salzburger Festspiele 2014 nehmen sich dieser, unserer Geschichte an und damit eine verantwortungsvolle Aufgabe
wahr", sagte Ostermayer.
Fischer: Entwicklung zum internationalen Rechtsstaat
Bundespräsident Fischer stellte in seiner Eröffnungsansprache fest, dass vor 100 Jahren alle Mechanismen
versagt hätten, die den Frieden hätten bewahren können und dass uns dies auch heute noch ratlos
zurücklasse. Und auch in den Köpfen vieler Musiker und Komponisten schien Merkwürdiges vor sich
gegangen zu sein: Auch die Musik wurde rasch in nationale Einzelsprachen untergliedert.
"Es lässt uns nicht heute noch, sondern heute schon wieder ratlos zurück, wenn wir an das Versagen
der Friedensmechanismen in der Ukraine oder an das Perpetuum mobile des Tötens zwischen Israelis und Palästinensern
denken – von Syrien, vom Irak, von Afghanistan ganz abgesehen", so das Staatsoberhaupt. "Und es erstaunt
mich immer wieder, dass gerade diejenigen, die ein Versagen europäischer und damit auch österreichischer
Politik für die schrecklichen und blutigen Entwicklungen außerhalb Europas oder am Rande Europas mitverantwortlich
machen, oft nicht viel anderes anzubieten haben, als die alte Politik des Drehens an der Spirale der Gewalt, der
Zuspitzung der Feindbilder, der Dialogverweigerung. Die simple Erkenntnis, dass Krieg und Gewalt nicht die Ultima
Ratio, sondern die Ultima Irratio sind, ist noch immer nicht weit genug vorgedrungen – und das auf allen Seiten."
Fischer weiter: "Umso mehr bin ich überzeugt, dass die Zukunft der internationalen Politik auf die Entwicklung
vom nationalen Rechtsstaat zum internationalen Rechtsstaat und auf eine umfassende judizielle Ahndung von Kriegshandlungen
und Kriegsverbrechen hinarbeiten muss. Und Bertha von Suttner wird letzten Endes Recht behalten mit dem Satz: Entweder
die Menschheit schafft den Krieg ab oder der Krieg schafft die Menschheit ab."
Festredner Clark: Es häuft sich das Risiko
Festredner Christopher Clark stellte die Ereignisse, die vor 100 Jahren zum Ausbruch des Ersten Wettkrieges geführt
haben, der weltpolitischen Lage von heute gegenüber. Sein Resümee: "Wir befinden uns, wie im Jahre
1914, in einer Phase des Umbruchs. Die Konturen des alten Systems sind im Auflösen begriffen, die neuen Konstellationen
sind noch nicht klar erkennbar. Gerade in solchen Momenten, wo das Gleichgewicht ins Wanken kommt, häuft sich
das Risiko." Die Katastrophe des Jahres 1914 sei eine Mahnung, wie furchtbar die Folgen sein können,
wenn die Politik versagt, die Gespräche versiegen und kein Kompromiss mehr möglich ist.
"Ob wir heute in der Lage sind, dieser Falle zu entkommen ist noch nicht klar", so Clark weiter. Wir
sind nicht unbedingt klüger oder weiser als unsere Vorfahren. Aber wir haben, jedenfalls in Europa, bessere
Strukturen. Hier hat man aus den Ruinen zweier verheerender Weltkriege eine Wirtschafts- und Friedensordnung hergestellt,
die weltweit einmalig ist. Es ist nicht nur, dass durch die EU ein Krieg zwischen den Staaten Europas unvorstellbar
geworden ist, sondern dass dieses transnationale Gebäude für die ganze Welt ein Modell bietet für
die friedliche Schlichtung von Interessenkonflikten." Die EU habe zurzeit vor allem innerhalb Europas eine
schlechte Presse. Sie und ihre Werte würden auch innerhalb der Union von populistischen Bewegungen in Frage
gestellt. Aber wer die EU wie ich von außerhalb betrachtet sehe in ihr einen Akt transnationalen politischen
Willens, der zu den größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit gehöre, so Clark.
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