Historiker der Uni Graz erforscht die öffentliche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in
Österreich
Graz (universität) - Vor exakt hundert Jahren brach der Erste Weltkrieg aus und forderte 17 Millionen
Opfer. Die kollektive Erinnerung an diese alles verändernde Zäsur war in Österreich im öffentlichen
Raum lange ambivalent: Heroisierende Darstellungen dominierten die Denkmalkultur für Jahrzehnte, während
Trauer, Verlust und Kriegsgegnerschaft nur in regional begrenzten Mahnmalen thematisiert wurden – etwa im Wotruba-Denkmal
in Leoben-Donawitz. Ass.-Prof. DDr. Werner Suppanz vom Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität
erforscht, wie im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts des Ersten Weltkriegs und der gefallenen Soldaten gedacht
wurde. Eine Entwicklung, die zwangsläufig eng mit politischen Strömungen und dem nationalen Diskurs über
den Krieg verknüpft ist.
Mitte der 1920er Jahre, als die größten kriegsbedingten Nöte einigermaßen überwunden
waren, begann man mit der kulturellen Aufarbeitung. Eine erste Denkmalwelle präsentierte ein einheitliches
Bild, erklärt Suppanz: „Tapfere Soldaten, die in Treue und Pflichterfüllung ihr Leben ließen –
andere Auslegungen der Vergangenheit existierten praktisch nicht. Nur dort, wo die Sozialdemokratie dominierte,
etwa in Wien oder in den obersteirischen Industriegebieten, wurden Leid und Verzweiflung gezeigt.“ All diese frühen
Denkmäler entstanden hauptsächlich durch das Engagement von Vereinen und Verbänden, staatliche Initiativen
gab es kaum. Das änderte sich jedoch mit dem Austrofaschismus Mitte der 1930er Jahre. „1934 wurde das Heldendenkmal
mit der Figur des Toten Soldaten im Äußeren Burgtor in Wien enthüllt. Das war der Beginn des Versuchs,
eine gesamtstaatlich verbindliche Erzählung über den Ersten Weltkrieg durchzusetzen – mit den Mitteln
der Diktatur.“
Nachdem der Austrofaschismus 1938 durch den Nationalsozialismus abgelöst wurde und der Zweite Weltkrieg noch
viel verheerendere Folgen nach sich zog, verschwand sein Vorgänger nahezu vollständig aus dem öffentlichen
und wissenschaftlichen Diskurs. Denkmäler aus der Zwischenkriegszeit wurden meist kurzerhand um die Jahreszahlen
1939-1945 erweitert. Eine einheitliche Erzählung zum Ersten Weltkrieg war in der Zweiten Republik kein vorrangiges
Anliegen mehr – im Gegensatz zu Westeuropa: „In Österreich ist das Gedenken sehr viel stärker regional
geprägt“, unterstreicht Suppanz. „So spiegeln sich vor allem die Verluste von Südtirol und der Untersteiermark
in der öffentlichen Wahrnehmung prominent wider, während in Großbritannien, Frankreich oder Belgien
aus dem Ersten Weltkrieg nationale Feiertage hervorgingen.“ Erst in den späten 1980er Jahren begann eine Neuaufarbeitung
der Ereignisse, die bis heute anhält. Denkmäler haben mittlerweile aber ausgedient, meint Suppanz: „Dieser
Tage übernehmen Gedenktafeln, Ausstellungen und mediale Berichte das Ruder.“ Die Frage, wie nachhaltig diese
Formen der Erinnerung sind, bleibt offen. Suppanz macht sich jedoch für das Einfließen von den teils
stark veränderten Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg in den Schulunterricht stark: „Heute ist klar, dass
der ‚Große Krieg‘ die erste globale Konfrontation überhaupt war: Osmanische Truppen kämpften in
Galizien gegen Russland, Neuseeländer und Australier für das Britische Empire gegen das Osmanische Reich,
Chinesen räumten im Dienste der Entente-Mächte die Schlachtfelder an der Westfront auf.“ Auch ist heute
bewiesen, dass viele Elemente, die man dem Zweiten Weltkrieg als Spezifika zuschrieb, schon vorher da waren: Etwa
die Allgegenwart von Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft, in Fabriken, im Straßen- sowie Bergbau und ein
organisiertes Lagersystem inklusive Zivilinternierten.
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