Linz (jku) - Bevor ein neues Medikament den Patienten helfen kann, hat es einen langen Weg hinter sich. Vor
allem die Tests und klinischen Studien bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen sind kosten- und zeitintensiv.
Um diese Testreihen vom Labor in die virtuelle Welt zu verlegen, haben Pharma-Forscher der Firma Janssen (Forschungsabteilung
von Johnson & Johnson, dem umsatzstärksten Healthcareunternehmen der Welt) einen wissenschaftlichen Partner
gesucht.
Der Zuschlag ging an das Institut für Bioinformatik an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz,
das Forschergruppen aus Cambridge, Harvard oder von Max-Planck-Instituten vorgezogen wurde.
„Computermodelle und deren Vorhersagen werden immer genauer und besser“, erklärt Institutsleiter Prof. Sepp
Hochreiter das Interesse der Pharmaindustrie an spezialisierten Vorhersagemodellen. Tests haben ergeben, dass die
Linzer Vorhersagen bereits fast genauso exakte Ergebnisse liefern wie die Tests in Laboren, in manchen Bereichen
sogar bereits ebenbürtig sind – ein Paradigmenwechsel, der nicht nur die Labormäuse freut, sondern auch
die Unternehmen: 84% der Medikamentenentwicklungen scheiterten. Ursache sind entweder mangelnde Wirkung des Medikaments
oder Nebenwirkungen, die sich spät in den klinischen Studien oder gar erst nach der Markteinführung bemerkbar
machen – milliardenteure Irrwege also.
Von Mäusen und Menschen
Und genau hier setzt die JKU-Technologie an: „Wenn man z.B. ein Eiweiß identifiziert hat, das eine Krankheit
verursacht oder vorantreibt, möchte man das Eiweiß manipulieren, um die Krankheit zu stoppen oder zu
heilen. Dafür setzt man chemische Stoffe, also Moleküle ein. Aber welche Moleküle wirken auf ein
spezielles Eiweiß ein und können somit zu einem Medikament weiterentwickelt werden? Wenn man das vorhersagen
kann, spart man sich langwierige und kostenspielige Tests in der Medikamentenentwicklung“, beschreibt Hochreiter
die Aufgabenstellung. Und man kann! „Unsere neuen Computermethoden sagen nicht nur die Auswirkung des eingesetzten
Moleküls auf das fragliche Eiweiß vorher, sondern warnen auch gleich noch, wie sich das Molekül
auf ganz andere, nicht gewünschte Bereiche des Körpers auswirken könnte. Es nützt ja z.B. bei
Blutdrucksenkern nichts, wenn der Blutdruck wieder passt, aber die Leber geschädigt wird.“ Damit braucht man
nicht nur weniger Versuchstiere zum Wohle der Menschen, sondern die Unternehmen verkleinern die Anzahl ihrer Fehlschläge,
wodurch mehr Geld in neue Projekte investiert werden kann. Außerdem laufen die Versuchsreihen viel schneller
ab, da Medikamente nicht in späten Entwicklungsphasen zurückgezogen werden müssen und wieder neu
begonnen werden muß. Somit stehen Medikamente den Patienten rascher zur Verfügung und retten womöglich
Leben.
„Die Zahl der neuen genehmigten Medikamente pro Jahr gingen im letzten Jahrzehnt kontinuierlich zurück. Es
ist schwierig, krankheitsrelevante Eiweiße zu entdecken und zu bestätigen und dann noch Medikamente
für die von diesen Eiweißen verursachten Krankheiten zu finden. Deshalb wird dringend nach neuen effizienten
Methoden gesucht, die Zusammenhänge zwischen potenziellen Medikamenten und krankheitsrelevanten Eiweißen
identifizieren. Somit findet man heraus, ob ein Eiweiß mit Medikamenten manipuliert werden kann oder ob eine
chemische Substanz spezifisch auf ein spezielles Eiweiß wirkt. Hier unterstützt uns das Knowhow der
JKU auf optimale Weise“, bestätigt Janssen den Wert der JKU-Forschungen.
Hohe Kunst des Computerlernens
„Das nächste Ziel ist eine individualisierte Medizin, denn jeder Körper ist anders, und Medikamente
können sich auch bei jedem Patienten verschieden auswirken.“ Die computergestützten Vorhersagen der Wirksamkeit
von Medikamenten durch die JKU-Technologie kann das Geschlecht, genetische Unterschiede oder Umwelteinflüße
berücksichtigen. Damit können bei der Therapie die Medikamente auf den individuellen Patienten abegstimmt
werden und dadurch die Wirkung gesteigert und zugleich die Nebenwirkungen gesenkt werden. Und woher stammt nun
der Knowhow-Vorsprung der JKU? „Wir verbinden Medizin mit Informatik, speziell mit maschinellem Lernen, also mit
lernenden Computern und künstlicher Intelligenz“, verrät Hochreiter das Erfolgsrezept. Der Computer erkennt
biologische Zusammenhänge in großen Datenmengen von klinischen Studien, bei denen das Aktivierungsmuster
der Gene gemessen, die DNA der Patienten gescannt und ein klinischer Datensatz erfasst wurde. Der Erfolg liegt
also darin, daß die JKU-Forscher um Hochreiter Spezialisten in der Verbindung von lernenden Maschinen mit
„Big Data“ sind. In der Medikamentenentwicklung hat man wieder „Big Data“: eine Molekül-Versuchsreihe besteht
aus Millionen chemischer Verbindungen, die jeweils wiederum durch hunderte von Millionen Eigenschaften beschrieben
werden – auch moderne Computer gehen da in die Knie. Die Gruppe von Hochreiter setzt hier die neue Methode des
„Deep Learning“ ein, für die Facebook, Google und Microsoft in diesem Jahr riesige Forschungsgruppen eingerichtet
haben, da sie „Deep Learning“ als die Technologie der Zukunft sehen. Die JKU Forscher um Hochreiter gelten als
Spezialisten in dieser Zukunftstechnologie und setzen sie für die Medikamentenentwicklung ein.
66 Institute und Abteilungen für die Medizin
Diese neuen Methoden des maschinellen Lernens in Kombination mit den grossen Datenmengen, die für das
Lernen verwendet werden, sind die Stärken des JKU-Instituts. Was zu beweisen war: Bei der wichtigsten „Toxicogenetics
Challenge“, an der 83 Forschungsinstitute teilnahmen, mussten verschiedene Informatikmethoden vorhersagen, ob chemische
Stoffe – oft Kandidaten für Medikamente – giftig sind oder nicht. Jeder Teilnehmer durfte 5 Vorhersagen abgeben.
Das Ergebnis: Rang 1-5 gingen an die JKU, auf den Plätzen dahinter fanden sich dann renommierte Namen wie
die TU Dresden, das Max Planck Institut Tübingen oder die Universitäten Lissabon und Texas.
„Dies zeigt die enorme Kompetenz, die sich aus dem fächerübergreifenden Ansatz der JKU ergibt“, freut
sich auch JKU-Rektor Richard Hagelauer. „Es beweist auch den Wert der medizinischen Forschung, die in Linz passiert
und durch den Aufbau der Medizinischen Fakultät weiter gestärkt wird. Immerhin sind bereits jetzt 66
Institute und Abteilungen der JKU im medizinnahen Bereich tätig.“
Wovon letztlich nicht nur Labortiere, sondern vor allem auch kranken Menschen, nicht nur in Oberösterreich,
profitieren werden.
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