Britischer Historiker Pollard in Radio Vatikan: Diplomatie des Heiligen Stuhls zielte auf Machtausgleich
zwischen katholischer Donaumonarchie, protestantischem Deutschland und orthodoxem Russland
Vatikanstadt/Wien (kap) - Die Friedensdiplomatie des Heiligen Stuhls während des Ersten Weltkriegs
war darauf ausgerichtet, die K.u.K.-Monarchie als katholischen "Player" in Europa abzusichern. Diese
These hat der britische Historiker John Pollard in einem Interview mit Radio Vatikan über die zwischenstaatlichen
Bemühungen des Vatikan vertreten.
"Grundsätzlich sah sich der Vatikan in der Verpflichtung, die Machtverhältnisse vor Ausbruch des
Krieges zu sichern, um so das Gleichgewicht zwischen dem katholischen Österreich-Ungarn auf der einen Seite
und dem protestantisch geprägten Deutschland auf der anderen zu erhalten", sagte der emeritierte Universitätsprofessor
aus Cambridge. Es sei dem Vatikan aber auch um das Gleichgewicht zwischen der Donaumonarchie und dem orthodoxen
Russland gegangen.
Pollard ortete im Vatikan damals "eine gewisse Paranoia vor der Orthodoxie". Über die ganze Zeit
des Totalitarismus hinweg sei die Orthodoxie als eine Bedrohung gesehen worden. Die kuriale Diplomatie habe auch
Nationen kontaktiert, zu denen der Vatikan keine diplomatischen Beziehungen unterhielt. "Der Vatikan kommunizierte
auch mit Präsident Wilson in den USA und versuchte ihn mit Nachdruck zu überzeugen, dass Amerika nicht
in den Krieg eintritt", sagte der Autor des Buches "Benedict XV - The Unknown Pope and the Pursuit of
Peace" (Benedikt XV. Der unbekannte Papst und das Bemühen um Frieden).
Aber nicht erst der für seine Friedensinitiativen geschätzte Benedikt gab der Vatikan-Diplomatie seine
Linie vor, auch sein als Altösterreicher um beste Beziehungen zu Österreich bemühte Papst Pius X.
(er stammte aus dem bis 1866 zur Monarchie gehörenden Venetien) strebte nach Frieden durch Machtausgleich.
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