Können sich Neutronen an einem anderen Ort befinden als ihr eigener Spin?
Wien (tu) - Ein Quantenexperiment, durchgeführt von einem Team der TU Wien, zeigt ein neues Quanten-Paradox
auf. Die Grinsekatze im Roman "Alice im Wunderland" von Lewis Caroll hat ganz besondere Fähigkeiten:
Sie selbst verschwindet, ihr Grinsen bleibt aber zurück. Lässt sich ein Objekt von seinen Eigenschaften
trennen? In einem Quantenexperiment ist das nun gelungen: Neutronen wurden dazu gebracht, sich entlang eines anderen
Wegs zu bewegen als eine ihrer Eigenschaften - ihr magnetisches Moment. Diese "Quanten- Grinsekatze"
könnte dazu dienen, Hochpräzisions-Messungen unempfindlicher gegen Störungen zu machen.
Gleichzeitig hier und dort
Nach den Gesetzen der Quantenphysik können sich Teilchen in einer Überlagerung unterschiedlicher
Zustände befinden. So kann man beispielsweise einen Strahl von Neutronen mit Hilfe eines Silizium- Kristalls
auf zwei unterschiedliche Strahlen aufteilen und zeigen, dass sich die einzelnen Neutronen nicht für einen
der beiden möglichen Wege entscheiden müssen, sondern in einer Quanten-Überlagerung beide Strecken
gleichzeitig durchlaufen. "Diese experimentelle Technik bezeichnet man als Neutroneninterferometrie",
sagt Prof. Yuji Hasegawa von der TU Wien. "Sie wurde hier am Atominstitut in den 1970er Jahren entwickelt
und hat sich als perfektes Werkzeug zur Untersuchung der Grundlagen der Quantenmechanik erwiesen."
Yuji Hasegawa versammelte ein großes Team - mit Tobias Denkmayr, Hermann Geppert und Stephan Sponar (TU
Wien), Alexandre Matzkin vom französischen Forschungsinstitut CNRS und Prof. Jeff Tollaksen von der Chapman
University in Kalifornien. Gemeinsam gelang es, eine "Quanten-Grinsekatze" zu fangen: Das System verhält
sich, als wären die Neutronen räumlich von ihrem magnetischen Moment getrennt. Das Experiment selbst
wurde an der Neutronenquelle des Institut Laue-Langevin in Grenoble durchgeführt, wo das Atominstitut eine
weltweit einzigartige Messstation für Neutroneninterferometrie betreibt. In Grenoble wurde das Team zusätzlich
von Hartmut Lemmel unterstützt.
Wo ist die Katze...?
Neutronen besitzen zwar keine elektrische Ladung, tragen aber ein magnetisches Moment. Sie besitzen damit eine
magnetische Richtung (den Spin), die durch äußere Magnetfelder beeinflusst werden kann. In einem Interferometer
wird zunächst ein Neutronenstrahl in zwei Teile aufgespalten, dann sorgt man dafür, dass die Spins beider
Teilstrahlen unterschiedliche Richtungen einnehmen: Der obere Neutronenstrahl hat einen Spin parallel zur Flugrichtung
des Neutrons, die Spinrichtung des unteren Strahls ist antiparallel zur Flugrichtung. Nachdem die beiden Strahlen
wieder zusammengeführt worden sind, wählt man gezielt jene Neutronen aus, deren Spin iFlugrichtung zeigt
- die anderen werden einfach ignoriert. "Das bezeichnet man als Postselection", erklärt Hermann
Geppert. "Im Strahl gibt es Neutronen unterschiedlicher Spin-Richtungen, wir analysieren aber nur um einen
Teil davon."
Diese Neutronen, die im Zustand "Spin in Flugrichtung" vorgefunden werden, müssen sich entlang
des oberen Pfades bewegt haben, denn nur dort befinden sich die Neutronen in diesem Zustand. Dies lässt sich
auch experimentell beweisen: Baut man im unteren Pfad einen Filter ein, der einen geringen Anteil der Neutronen
verschluckt, dann bleibt die Anzahl der am Ende gemessenen "Spin in Flugrichtung-Neutronen" gleich. Baut
man deFilter oben ein, sinkt die Zahl dieser Neutronen.
… und wo ist das Grinsen?
Komplizierter wird es allerdings, wenn man zusätzlich auch untersucht, wo der Spin der Neutronen zu finden
ist: Durch ein Magnetfeld wird der Spin der Neutronen leicht verändert. Wenn man die beiden Strahlen auf geeignete
Weise überlagert, können sie sich dann gegenseitig verstärken oder abschwächen. Genau das lässt
sich im Experiment beobachten, wenn man ein Magnetfeld am unteren Pfad anlegt, also dort, wo die Neutronen, die
für das Experiment entscheidend sind, sich eigentlich gar nicht aufhalten. Ein Magnetfeld am oberen Pfad hingegen
hat keine Auswirkungen.
"Eben dadurch, dass wir die Neutronen anfangs in einem speziellen Zustand präparieren und am Ende
ganz bestimmte Neutronen postselektieren, erreichen wir, dass die möglichen Wege im Interferometer beide eine
Bedeutung für das Experiment haben - allerdings auf ganz unterschiedliche Weise", sagt Tobias Denkmayr.
"Entlang des einen Weges koppeln die Teilchen selbst an unseren Messapparat, aber nur der andere Weg ist empfindlich
gegenüber einer Kopplung des Spins. Das System verhält sich also so, als wären Teilchen räumlich
von ihren Eigenschaften getrennt."
Chance für Hochpräzisions-Messungen
Interessant ist das für Hochpräzisionsmessungen, die heute sehr oft auf dem Prinzip der Quantenüberlagerung
beruhen. "Wenn ein Quantensystem eine Eigenschaft hat, die man messen will, und eine andere, die das System
anfällig gegen Störungen macht, kann man mit einer Quanten-Grinsekatze beides trennen und so möglicherweise
die Beeinträchtigung des Experiments durch die Störung minimieren", hofft Stephan Sponar.
Die Idee der Quanten-Grinsekatze hatten zunächst von Jeff Tollaksen und Ykir Aharonov (Chepman University)
entwickelt. Ein Vorschlag für ein Experiment war im Vorjahr publiziert worden, die nun vorgestellten Messungen
sind der erste experimentelle Nachweis dieses Phänomens. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Fachjournal
"Nature Communications".
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