Wien (imba/öaw) - Auf dem hochaktuellen Gebiet der Stammzellforschung lassen Forscher am IMBA - Institut
für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit zwei Entdeckungen
aufhorchen: Wenn Stammzellen nicht mehr gebraucht werden, hungern sie sich quasi selbst zu Tode. Es ist der Stoffwechsel
der Stammzelle, der ihr Schicksal besiegelt.
In jedem tierischen Embryo sorgen Stammzellen für den Aufbau von Gewebe und Organen, für Wachstum und
Regeneration. Irgendwann aber haben die Stammzellen ihren Dienst getan und müssen verschwinden. In der Fliege
verschwinden sie komplett, bei Säugetieren und Mensch bleiben einige wenige übrig. Bleiben allerdings
unnötige Stammzellen zurück, können sich aus ihnen bösartige Tumoren entwickeln.
Stammzelltumoren bei Säuglingen und Kleinkindern
Solche Stammzelltumoren werden auch bei Säuglingen und Kleinkindern beobachtet, wo sie unter anderem im
Gehirn auftreten und trotz aggressiver Therapien kaum heilbar sind. Diese sogenannten rhabdoiden Tumoren sind glücklicherweise
selten, dadurch aber auch noch wenig erforscht. 80 Prozent der Kleinkinder mit einem solchen Gehirntumor versterben
innerhalb von zwei Jahren nach der Diagnosestellung.
Abschied der Stammzellen
Der Stammzellforscher Jürgen Knoblich, Vizedirektor am IMBA, hat nun mit seinem Team einen Mechanismus
entdeckt, der dafür sorgt, dass sich Stammzellen nach der Organ- und Gewebeentwicklung in normale Zellen weiterverwandeln
und ihr Stammzelldasein ablegen.
Dazu muss man wissen, dass sich eine Stammzelle in der Embryonalentwicklung asymmetrisch teilt. Sie teilt sich
in eine große Zelle, die Stammzelle bleibt, und eine kleinere Zelle, die sich spezialisiert, etwa zu einer
Nervenzelle. Aus den Nervenzellen wird auch das Gehirn aufgebaut. Die Stammzelle hat bei diesem Teilungsprozess
an Substanz verloren und wächst wieder zu ihrer ursprünglichen Größe nach, bevor die nächste
Teilung stattfindet.
Sind schließlich genug Nervenzellen vorhanden und die Stammzelle wird nicht mehr gebraucht, muss sie verschwinden.
Im renommierten wissenschaftlichen Magazin Cell publiziert Postdoktorandin Catarina Homem nun den Mechanismus,
den sie in der Fruchtfliege entdeckt hat:
"Die Stammzellen wachsen nach der Teilung einfach nicht mehr nach. Dadurch werden sie nach jeder Teilung kleiner,
so lange, bis eine asymmetrische Teilung nicht mehr möglich ist und als letzter Schritt eine symmetrische
Teilung in zwei Nervenzellen stattfindet. Die Stammzelle ist somit verschwunden."
Der Stoffwechsel als zentrales Steuerelement
Die zweite völlig neue Erkenntnis ist, dass offensichtlich der Stoffwechsel der Zelle darüber entscheidet,
in welche Richtung sich die Zelle entwickelt. Steroidhormone steuern, ob die Zelle mit Hilfe von Sauerstoff ihren
Zucker komplett verbrennt, oder ob sie ohne Sauerstoff den Zucker nicht komplett abbaut, sondern bestimmte Bruchstücke
zurückbehält. Aus diesen werden später neue Fette oder Aminosäuren aufgebaut, die für
Wachstum benötigt werden. Wird wie bei der ersten Variante der Zucker komplett verbrannt, gehen der Zelle
nach einiger Zeit die Bausteine aus und sie kann nicht wachsen.
Wenn die Stammzelle verschwinden soll, ist die erste Variante des Stoffwechsels unbedingt notwendig. Die Zelle
setzt sich quasi selbst auf Diät und verbrennt ihren Zucker so gründlich, dass sie sich nach den Teilungsprozessen
nicht mehr zur ursprünglichen Größe regenerieren kann. Somit wird sie immer kleiner, bis schlussendlich
nur noch eine letzte symmetrische Teilung möglich ist.
Der zweite Stoffwechselweg, bei dem Zucker unter Sauerstoffausschluss zu Laktat vergärt wird, ist übrigens
jener, den auch Tumorzellen benötigen, um sich entwickeln zu können.
"Das Überraschende an unserer Arbeit ist, wie stark der Stoffwechsel das Schicksal einer Zelle beeinflussen
kann", erläutert Knoblich die Erkenntnis der vorliegenden Studie. "Im Allgemeinen glaubt man, dass
Zellen ein bestimmtes Entwicklungsprogramm durchlaufen und ihren Stoffwechsel daran angleichen. Unsere Arbeit zeigt
aber, dass es umgekehrt ist und der Stoffwechsel selbst das Zellschicksal steuert. Dies wirft auch ein völlig
neues Licht auf die Rolle der Ernährung für unseren Körper, einschließlich der Tumorentstehung."
Nachdem es nahe liegt, dass der bei der Fruchtfliege entdeckte Mechanismus auch bei Säugetieren und Mensch
zu finden ist, ließe sich möglicherweise in absehbarer Zeit klären, wie sich übriggebliebene
Stammzellen im Gehirn von Säuglingen und Kleinkindern zu den aggressiven rhabdoiden Tumoren entwickeln können.
Weitere Studien werden dazu beitragen, hier genauere Erkenntnisse zu gewinnen.
Zu diesem Thema erschien am 14.08. 2014 im renommierten Fachjournal Cell folgende Publikation: Homem, C. et. al.
(2014). Ecdysone and Mediator change energy metabolism to terminate proliferation in Drosophila neural stem cells.
Cell.
IMBA
Das IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW ist ein international anerkanntes Forschungsinstitut
mit rund 200 Mitarbeitern aus 25 Ländern. Die Wissenschaftler erforschen molekulare Prozesse in Zellen und
Organismen und versuchen, Ursachen für die Entstehung humaner Erkrankungen aufzuklären. Zwölf Forschungsgruppen
arbeiten an biologischen und medizinischen Fragestellungen aus Gebieten wie RNA-Biologie, Zellbiologie, Onkologie,
Stammzellforschung oder Immunologie. http://www.imba.oeaw.ac.at
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist die führende Trägerin außeruniversitärer
akademischer Forschung in Österreich. Ihre Forschungseinrichtungen beschäftigen insgesamt etwa 1.300
Personen und betreiben anwendungsoffene Grundlagenforschung in gesellschaftlich relevanten Gebieten der Natur-,
Lebens- und Technikwissenschaften sowie der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. http://www.oeaw.ac.at
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