Bures: Ich will eine faire und überparteiliche Präsidentin sein
Wien (pk) – In einer Trauerminute gedachten die Nationalratsabgeordneten eingangs der Sitzung vom 02.09.
ihrer vor genau einem Monat verstorbenen Präsidentin Barbara Prammer. Dann wählten die Abgeordneten unter
der Leitung des Zweiten Präsidenten Karlheinz Kopf "aus ihrer Mitte", wie es in der Geschäftsordnung
des Nationalrats heißt, Doris Bures auf Vorschlag der SPÖ als stärkster Fraktion zu ihrer neuen
Präsidentin. Zuvor übernahm die langjährige Wiener Abgeordnete, die zuletzt als Ministerin für
Verkehr, Infrastruktur und Technologie der Regierung angehörte, das Nationalratsmandat ihrer Fraktionskollegin
Sabine Oberhauser, die ihrerseits als Gesundheitsministerin auf die Regierungsbank wechselte. Das freie Mandat
von Barbara Prammer besetzt der Oberösterreicher Walter Schopf, der ebenfalls eingangs der Sitzung angelobt
wurde. SprecherInnen aller Fraktionen dankten dem Zweiten Nationalratspräsidenten Karl Heinz Kopf für
die professionelle und umsichtige Führung des Hauses in den schwierigen Wochen nach dem Tod Barbara Prammers
und für die würdige Vertretung des Parlaments nach außen.
Bei der Wahl gaben 175 Abgeordnete ihre Stimme geheim in Wahlzellen ab, davon waren 150 gültig. Auf Doris
Bures entfielen 117 Stimmen, 33 Stimmzettel lauteten auf andere Abgeordnete. Die somit gewählte Präsidentin
des Nationalrats dankte den Abgeordneten für das in der Debatte von SprecherInnen aller Fraktionen ausdrücklich
bekundete Vertrauen und skizzierte vom Präsidium aus in einer Ansprache an das Plenum ihre Ziele als Parlamentspräsidentin.
Doris Bures: Ich will Präsidentin für alle Abgeordneten sein
Sie sei bestrebt, eine gute, faire und überparteiliche Präsidentin zu sein, sagte die neu gewählte
Nationalratspräsidentin in ihrer Antrittsrede (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 776) und unterstrich die
Rolle des Parlaments als Haus des Volkes und als Zentrum der parlamentarischen Demokratie. Die Bereitschaft und
Fähigkeit zum Kompromiss sei dabei keine Schwäche, sagte Bures und trat dafür ein, sich mit Fairness,
Toleranz und Respekt auf einen Wettstreit der Ideen einzulassen. Was die Parlamentssanierung betrifft, äußerte
sie den Wunsch, auch die weiteren Entscheidungen für das Großprojekt in gleicher Geschlossenheit treffen
zu können. Außerdem sei sie sich ihrer besonderen Verantwortung als Vorsitzende in künftigen Untersuchungsausschüssen
bewusst, die U-Ausschuss-Reform stelle auf jeden Fall eine Weiterentwicklung der demokratischen Spielregeln dar.
"Was ich mir wünsche, ist ein offenes, ein lebendiges und ein arbeitendes Parlament", so Bures.
(siehe auch hier >)
Karlheinz Kopf für ein effizienteres und transparenteres Parlament
Vor der Debatte, in der SprecherInnen aller Fraktionen Person und Wirken der verstorbenen Präsidentin Barbara
Prammer in zum Teil sehr persönlichen Worten würdigten und ihre Arbeit für den Parlamentarismus
sowie ihr Eintreten für die Rechte der Frauen, ihren Antifaschismus und ihren Kampf gegen den Antisemitismus
hervorhoben, erinnerte Zweiter Präsident Kopf daran, dass das Parlament nach der Amtszeit von Präsidentin
Barbara Prammer nicht mehr dasselbe sei wie vorher. "Wir haben an Selbstbewusstsein gewonnen und sollten den
Weg, den Barbara Prammer uns vorgezeichnet hat, weitergehen", sagte Kopf. Konkret geht es Kopf darum, die
Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten des Parlaments zu erweitern sowie die Entscheidungsabläufe effizienter
und für die Bevölkerung nachvollziehbarer zu gestalten.
Großer Vertrauensvorschuss der Abgeordneten für Doris Bures
"Das Parlament ist der Ort, an dem gesellschaftliche Konflikte ausgetragen und gute politische Kompromisse
erreicht werden, zitierte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder die verstorbene Nationalratspräsidentin Barbara
Prammer und gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass Doris Bures für die wichtigen Aufgaben einer Nationalratspräsidentin
bestens geeignet sei. Als langjährige Mandatarin, sowohl als Regierungs- als auch als Oppositionsabgeordnete,
als MieterInnen-Vertreterin, als Frauen- und als Infrastrukturministerin habe Bures gezeigt, dass sie den Aufgaben
einer objektiven und überparteilichen Verhandlungsführung gewachsen sei, zeigte sich Schieder überzeugt.
Auch der SPÖ-Klubobmann bekannte sich dazu, den Parlamentarismus weiterzuentwickeln, die einstimmig beschlossene
Sanierung des Parlamentsgebäudes umzusetzen, Nationalrat und Europäisches Parlament besser zu vernetzen
und das Hohe Haus weiter für die Bevölkerung zu öffnen.
Die Wahl der neuen Nationalratspräsidentin falle in eine Zeit des parlamentarischen Umbruchs vor dem Hintergrund
unruhiger Zeiten mit einem Krieg im Osten Europas, neun Millionen Flüchtlingen in Syrien und Arbeitslosigkeit
in Europa, sagte ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka. Die neue Präsidentin werde stärker gefordert sein
als ihre VorgängerInnen, sagte Lopatka und schilderte die neue Situation eines aus sechs Fraktionen bestehenden
Nationalrats. Er bekannte sich dazu, Europa-Abgeordnete bei bestimmten Debatten im Nationalrat zu Wort kommen zu
lassen: "Unsere Zukunft liegt in einem starken Europa, daher müssen wir den Nationalrat stärker
europäisch vernetzen." Wie RednerInnen aller anderen Fraktionen sah auch Lopakta die neue Präsidentin
insbesondere bei der Vorsitzführung im Untersuchungsausschuss gefordert.
Großer Respekt für die verstorbene Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und der Ausdruck des
Vertrauens in Doris Bures – "eine inhaltlich versierte Persönlichkeit, deren korrektes Verhalten ich
schätze" – bestimmt die Rede des FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache zur Wahl der neuen Nationalratspräsidentin.
Strache sah die Aufgabe der Nationalratspräsidentin darin, Überparteilichkeit zu leben und sich für
die Weiterentwicklung der Parlamentarismus einzusetzen. Er wünsche Doris Bures alles Gute, schloss Strache.
Rollenwechsel von der Regierungsbank ins Nationalratspräsidium
Für die Klubobfrau der Grünen, Eva Glawischnig-Piesczek, übernimmt Doris Bures das Amt der Nationalratspräsidentin
zum Zeitpunkt einer historische Zäsur in der Entwicklung des Parlamentarismus. Dessen Zukunft werde vom Umgang
der Mehrheit mit der Minderheit sowie davon abhängen, ob es gelinge das Selbstbewusstsein des Parlaments zu
stärken. Dazu gehöre es, Gesetze selbständiger als bisher zu beschließen sowie dafür
zu sorgen, dass die Kontrollrechte der ParlamentarierInnen ernst genommen werden. Als eine Bewährungsprobe
für Doris Bures bezeichnete die Klubobfrau der Grünen die heikle Aufgabe der Vorsitzführung im Untersuchungsausschuss
und die Bewältigung des Rollenwechsels von der Regierungsbank in das Präsidium des Nationalrats.
Auch Team-Stronach Klubobfrau Kathrin Nachbaur wünschte Doris Bures alles Gute für ihre Arbeit an der
Spitze des Nationalrats und unterstrich die Bedeutung diese Amts für die Republik. Nachbaur zeigte sich nach
einem Jahr Erfahrungen mit dem österreichischen Parlamentarismus enttäuscht darüber, dass Vorschläge
der Opposition prinzipiell abgelehnt würden und hielt mehr Überparteilichkeit im Parlament und Konzentration
auf Sachfragen für wichtig. Angesichts von Rekordarbeitslosigkeit, Rekordsteuern und Rekordschulden sei es
dringend notwendig, verkrustete politische Strukturen zu reformieren. Nachbaur bedauerte in diesem Zusammenhang,
dass die SPÖ das Nationalratsmandat Barbara Prammers entgegen ihren Parteistatuten mit einem Mann besetze
statt mit einer Frau.
Vorschläge zur Weiterentwicklung des Parlamentarismus
Für die Neos brachte Klubobmann Matthias Strolz die Freude seiner Fraktion darüber zum Ausdruck, dass
in Zukunft wieder eine Frau an der Spitze des Nationalrats stehen werde und wünschte Doris Bures seinerseits
für ihre Aufgaben alles Gute. Es gelte Selbstbewusstsein und Kraft des Parlaments zu stärken und es aus
der Situation einer "verlängerten Werkbank der Bundesregierung" herauszuführen. Die Gesetzgebung
dürfe nicht länger von Sozialpartnern, Kammern und Ministerialbürokratie bestimmt werden. Strolz
empfahl auch, die milliardenschweren Parteiapparate zu verschlanken und einen Teil der Parteienförderungen
für bessere Arbeitsbedingungen der ParlamentarierInnen einzusetzen.
In der weiteren Debatte zeigten sich auch die Abgeordneten Gisela Wurm (S) und Dorothea Schittenhelm (V) erfreut,
dass mit Doris Bures eine Frau das Amt der Parlamentspräsidentin übernimmt. Die in der Amtszeit Barbara
Prammers eingeführte überfraktionelle Zusammenarbeit der FrauensprecherInnen sollte fortgesetzt werden.
Dorothea Schittenhelm sprach von einem großen Vertrauensvorschuss der ÖVP für Doris Bures. Diese
überaus positive Erwartungshaltung teilte auch der dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer, der Bures
als eine Frau mit einer festen politischen Weltanschauung sah, wie dies auch ihre Vorgängerin Barbara Prammer
ausgezeichnet habe. Ohne feste Positionen könne man nicht erfolgreich Politik machen. Ebenso wichtig sei in
einer Demokratie der Respekt vor den politischen Überzeugungen Anderer und eine politische Kultur, die es
ermögliche, emotional zu streiten, ohne Hassgefühle zuzulassen.
Problematisch sah Abgeordneter Albert Steinhauser (G) den erstmaligen direkten Wechsel einer Nationalratspräsidentin
von der Regierungsbank in das Amt der Parlamentspräsidentin. Kritik übte der Redner auch an der Nachbesetzung
des Nationalmandats von Barbara Prammer mit einem männlichen Abgeordneten. Nationalratspräsidentin Bures,
die als ehrgeizig und loyal gegenüber Bundeskanzler Faymann gelte, werde beweisen müssen, dass ihr Ehrgeiz
und ihre Loyalität nunmehr den Abgeordneten und den Kontrollinteressen gegenüber der Bundesregierung
gelten, schloss Steinhauser.
Abgeordneter Georg Vetter (T) setzte sich angesichts der Nachbesetzung des Mandats von Barbara Prammer mit einem
Gewerkschafter kritisch mit der Zunahme des Gewerkschaftseinflusses in der SPÖ auseinander und warnte in diesem
Zusammenhang vor Steuererhöhungen. An die ÖVP richtete Vetter die Aufforderung, zu akzeptieren, dass
das Zentrum der Macht das Parlament sei, nicht aber die Landeshauptstädte. Die Wahl von Doris Bures zur Nationalratspräsidentin
unterstützte Vetter. Einen Wunschzettel an die neue Nationalratspräsidentin aus der Sicht eines Oppositionsabgeordneten
formulierte schließlich Nikolaus Scherak (N). Ihm ging es um die Steigerung der Minderheitenrechte. Bures
werde im Untersuchungsausschuss schwierige Entscheidungen bei der Ladung von Auskunftspersonen und bei der Zulassung
von Fragen zu treffen haben, meinte Scherak, der sich überdies eine Aufwertung des Petitionsausschusses, öffentliche
Ausschussberatungen und mehr externe ExpertInnen in der Gesetzgebung wünschte.
|