Zürich (idw) - Ein bekannter Qualitätskontrollmechanismus von menschlichen, tierischen und pflanzlichen
Zellen wirkt auch gegen Viren, wie Forschende herausgefunden haben. Es dürfte sich dabei evolutionsgeschichtlich
um einen der ältesten Virus-Abwehrmechanismen handeln.
Dem Immunsystem steht ein ganzes Arsenal an Waffen zur Verfügung, um Viren zu bekämpfen: Killerzellen,
Antikörper und Botenstoffe, um nur einige zu nennen. Das Immunsystem setzt die entsprechenden Abwehrmechanismen
in Gang, wenn ein Erreger den Körper befällt. Daneben gibt es auch Abwehrmechanismen, die nicht angestossen
werden müssen, sondern quasi als stehendes Heer ständig aktiv sind. Forschende der ETH Zürich haben
nun in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Bern einen neuen solchen Mechanismus entdeckt. Er wirkt
gegen einzelne Viren, deren Erbgut in Form von einzelsträngiger RNA mit positiver Polarität vorliegt,
wie die Forschenden gezeigt haben. Zur selben Gruppe von Viren gehören viele bekannte Erreger wie jene von
Hepatitis C, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Kinderlähmung, SARS, Gelbfieber und Dengue, aber
auch die Potyviren, eine Gruppe von Pflanzenviren, die bei zahlreichen wirtschaftlich bedeutenden Kulturpflanzen
grossen Schaden anrichten.
Forschende um Ari Helenius, Professor für Biochemie an der ETH Zürich, endeckten den Mechanismus in ihrer
Forschung mit menschlichen Zellen in Zellkultur und einem in der Grundlagenforschung häufig verwendeten Modellvirus,
dem Semliki-Forest-Virus. In einem grossangelegten Screening schalteten sie bei den Zellen einzelne Gene aus. Dabei
entdeckten sie, dass die Zellen für eine Infektion mit dem Virus anfälliger waren, wenn Gene eines zellulären
Kontroll- und Regulationssystems für RNA mit dem Namen NMD (Nonsense-mediated mRNA decay) ausgeschaltet waren.
Viren als fehlerhafte Zell-RNA erkannt
In einer parallelen grossangelegten Forschungsanstrengung entdeckten Olivier Voinnet, Professor für RNA-Biologie
an der ETH Zürich, und seine Kollegen denselben Abwehrmechanismus gegen Viren auch bei Pflanzen. Sie benutzten
die Modellpflanze Ackerschmalwand und das Kartoffelvirus X für ihre Untersuchungen. Die Gruppen von Helenius
und Voinnet veröffentlichen ihre beiden Arbeiten bei menschlichen Zellen und Pflanzen in der neusten Ausgabe
der Fachzeitschrift "Cell Host & Microbe", erstere in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Oliver Mühlemann,
Professor an der Universität Bern, der sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem NMD-System beschäftigt
hat.
Das NMD-System ist in der Biologie schon seit längerem als Kontroll- und Regulationssystem bekannt, das in
Zellen fehlerhaft hergestellte und somit nicht-funktionale Boten-RNA-Moleküle aus dem Verkehr zieht. Neu ist
die Erkenntnis, dass dieses System eine zweite Funktion hat: Es sorgt auch dafür, dass das Erbgut bestimmter
RNA-Viren abgebaut wird, womit sich diese Viren in den Wirtszellen nicht vermehren können. "Das RNA-Genom
dieser Viren hat Gemeinsamkeiten mit fehlerhafter Boten-RNA in menschlichen, tierischen und pflanzlichen Zellen
und wird vom NMD-System als solches erkannt", erklärt Giuseppe Balistreri, Postdoc und Erstautor einer
der beiden Studien.
Ältestes Abwehrsystem
Die Forschenden vermuten, dass das NMD-System bei einer Infektion mit Viren der untersuchten Klasse der zeitlich
erste Abwehrmechanismus ist. "Der Mechanismus wirkt direkt auf das Erbgut der Viren, bevor sich dieses in
den Wirtszellen vervielfältigen kann", sagen Helenius und Voinnet. Ausserdem gehen sie davon aus, dass
es sich dabei evolutionsgeschichtlich um einen der ältesten Abwehrmechanismen gegen Viren handelt. Denn das
NMD-System ist so grundlegend, dass es in allen höheren Lebewesen – Menschen, Tieren, Pflanzen und Pilzen
– vorkommt.
Allerdings ist der Mechanismus nicht hundertprozentig wirksam. "Wäre er dies, würden RNA-Viren gar
nicht existieren", sagt Helenius. Vielmehr haben Viren im Laufe der Evolution Mechanismen entwickelt, um der
Wirkung des NMD-Systems zu entkommen oder dieses sogar aktiv zu unterdrücken. Beide ETH-Forschungsgruppen
haben in ihren Arbeiten Hinweise darauf gefunden. "Die Viren und ihre Wirte liefern sich eine endlose Schlacht,
und in dieser spielte und spielt das NMD-System eine Rolle", sagt Voinnet. "Dadurch hat der NMD-Mechanismus
im Laufe der Evolution mitgeholfen, das Genom von RNA-Viren so zu formen, wie es heute ist."
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