Forscher rekonstruieren dritte Dimension aus einer einzigen Aufnahme
Jülich (forschungszentrum) - Stellen Sie sich vor, Sie wollten anhand eines einzelnen Fotos von der
Vorderseite eines Hauses herausfinden, wie das Gebäude von hinten aussieht, ob es irgendwelche Anbauten oder
Schäden am Mauerwerk gibt und wie der Keller aufgeteilt ist. Unmöglich? Nicht in der Nanowelt. Wissenschaftler
aus Jülich und Xian haben eine neue Methode entwickelt, mit der sich Kristallstrukturen in allen drei Dimensionen
atomgenau rekonstruieren lassen. Sie verwendeten für dieses Kunststück allerdings nicht das Bild einer
einfachen Digitalkamera, sondern die Aufnahme eines ultrahoch auflösenden Elektronenmikroskops. Das Verfahren
eignet sich insbesondere auch, um strahlungsempfindliche Proben vollständig räumlich zu erfassen, die
durch den energiereichen Messstrahl rasch zerstört werden. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der
Fachzeitschrift Nature Materials erschienen (DOI: 10.1038/nmat4087).
Bei Nanoteilchen bestimmt die Oberfläche die physikalischen und technischen Eigenschaften weit mehr als bei
anderen Stoffen. Die Effizienz von Katalysatoren etwa hängt stark von der Form des verwendeten Materials und
seiner Oberflächenbeschaffenheit ab. Physiker und Materialforscher sind deshalb daran interessiert, den Aufbau
von Nanomaterialien von allen Seiten und über mehrere Lagen hinweg atomgenau bestimmen zu können. Bisher
wurden dafür ganze Untersuchungsreihen aus unterschiedlichen Perspektiven benötigt. Doch Wissenschaftler
des Forschungszentrums Jülich, des Ernst Ruska-Centrums für Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen
(ER-C) sowie der chinesischen Xian Jiaotong Universität haben es nun zum ersten Mal geschafft, die räumliche
Anordnung der Atome ausgehend von einer einzigen elektronenmikroskopischen Aufnahme zu errechnen.
Ihre Methode bietet große Vorteile: Mit ihr können auch strahlungsempfindliche Proben untersucht werden,
die durch den energiereichen Elektronenstrahl der Mikroskope rasch zerstört werden. Die vergleichsweise kurze
Aufnahmedauer könnte es künftig sogar ermöglichen, kurzlebige Zwischenschritte chemischer Reaktionen
zu beobachten. Darüber hinaus erlaubt es das „sanfte“ Messverfahren, nicht nur schwere, sondern auch leichte
chemische Elemente nachzuweisen -- etwa Sauerstoff, der in vielen technologisch bedeutsamen Materialien eine wichtige
Funktion innehat.
"Dreidimensionale Informationen aus einer einzigen, zweidimensionalen Aufnahme zu gewinnen, scheint auf den
ersten Blick unmöglich. Doch es ist möglich, weil wir keine simple zweidimensionale Projektion der dreidimensionalen
Probe erhalten, sondern das Experiment quantenmechanischen Regeln folgt", erläutert Prof. Chunlin Jia,
der am Jülicher Peter Grünberg Institut, Bereich Mikrostrukturforschung (PGI-5), am ER-C wie auch an
der Jiaotong Universität forscht. „Auf dem Weg durch das Kristallgitter fungiert die Elektronenwelle des Mikroskops
als hochempfindlicher Detektor für Atome und wird von jedem einzelnen Atom beeinflusst. Entscheidend ist,
dass es tatsächlich einen Unterschied macht, ob die Wellenfront zu Beginn oder am Ende ihres Wegs durch den
Kristall auf ein Atom trifft.“
Für das neue 3D-Messverfahren wird die dünne kristalline Probe – in diesem Fall Magnesiumoxid – so im
Mikroskop positioniert, dass die Atome an den Knotenpunkten des Kristallgitters genau übereinander liegen
und Säulen entlang der Beobachtungsachse bilden. Diese Atomsäulen sind später nur als helle Punkte
auf der mikroskopischen Aufnahme sichtbar. Ein spezieller Abbildungsmodus verbessert noch das Signal-Hintergrund-Verhältnis.
So werden feine Unterschiede sichtbar, die den Forschern verraten, wo sich die einzelnen Atome in den Säulen
entlang der Strahlrichtung befinden.
Für die Rekonstruktion der räumlichen Struktur vergleichen die Wissenschaftler die Aufnahme mit Berechnungen
am Computer. Die Computersimulationen vermitteln einen Eindruck, wie eine mikroskopische Abbildung eines perfekten
flachen Magnesiumkristalloxids aussehen würde. Anschließend passen sie den Modell-Kristall Schritt für
Schritt an, bis die errechnete Abbildung mit der elektronenmikroskopischen Aufnahme optimal übereinstimmt.
Um die Eindeutigkeit der erhaltenen Ergebnisse zu belegen, haben die Wissenschaftler umfangreiche statistische
Tests durchgeführt. Diese ergaben auch, dass die Methode nicht nur empfindlich genug ist, um jedes einzelne
Atom nachzuweisen, sondern auch zwischen den beiden Elementen des Kristalls, Magnesium und Sauerstoff, unterscheiden
kann.
Original-Veröffentlichung
Determination of the 3D shape of a nanoscale crystal with atomic resolution
from a single image; C. L. Jia, S. B. Mi, J. Barthel, D. W. Wang, R. E. Dunin-Borkowski, K. W. Urban, A. Thust;
Nature Materials Advance Online Publication (AOP) 21.9.2014, DOI: 10.1038/nmat4087
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