Verdoppelung öffentlicher Ausgaben bis 2030, begrenztes Potential zur Verlagerung von
stationärer zu mobiler Pflege
Wien (wifo) - Der öffentliche Aufwand für Pflegedienstleistungen wird sich, wie eine aktuelle
WIFO-Projektion zeigt, in den einzelnen Bundesländern bis zum Jahr 2030 gegenüber 2012 mehr als verdoppeln
(+112% bis +159%). Eine Verlagerung von stationärer zu mobiler Pflege - wie im Pflegefondsgesetz festgeschrieben
- dämpft zwar den Kostenanstieg, das Verlagerungspotential erscheint angesichts der begrenzten Substituierbarkeit
dieser Pflegeformen jedoch insgesamt gering. Die Zunahme der Nachfrage nach stationären Pflegeplätzen
muss deshalb vor allem durch den Ausbau alternativer Betreuungsdienste (z. B. betreubares Wohnen, teilstationäre
Dienste, Kurzzeitpflege) verzögert bzw. verringert werden. Der flächendeckende Ausbau eines geförderten
Case- und Care-Managements und eine verstärkte Ausrichtung der Förderkriterien am Bedarf würden
dazu beitragen, die Effizienz der Zuteilung der jeweiligen Pflegeformen zu den Pflegebedürftigen zu verbessern.
Die Länder und Gemeinden wendeten im Jahr 2012 netto 1,67 Mrd. Euro für Sachleistungen in der Langzeitpflege
auf. Eine aktuelle WIFO-Studie projiziert bis zum Jahr 2030 für alle Bundesländer mehr als eine Verdoppelung
dieses Aufwandes, bereits im Jahr 2020 dürften die Ausgaben um mehr als 40% über dem Niveau von 2012
liegen. Am stärksten steigt der Aufwand dabei in Vorarlberg (+60,9% bis 2020 +159% bis 2030), am schwächsten
im Burgenland (+42,6% bzw. +112%.
Mit der Einführung des Pflegefondsgesetzes 2011 erhielt der Ausbau mobiler und alternativer Pflege- und Betreuungsdienste
Vorrang gegenüber der stationären Pflege. Aus Kostengründen ist dieser Schritt zu begrüßen.
Wie eine österreichweite Expertenbefragung im Bereich der mobilen und stationären Pflege durch das WIFO
verdeutlicht, können jedoch mobile und stationäre Pflege nur sehr eingeschränkt als Substitute gesehen
werden. Vielmehr stehen diese Dienste in einer chronologischen, komplementären Beziehung zueinander: Personen,
die mobile Dienste in Anspruch nehmen, weisen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit für die spätere
Aufnahme in ein Pflegeheim auf. Ein deutlicher Ausbau von stationären Pflegediensten kann somit jenem der
mobilen Dienste zwar zeitlich nachgelagert sein, scheint jedoch ebenso unausweichlich. Parallel dazu sollte insbesondere
der Ausbau der stationären Kurzzeitpflege, teilstationärer Dienste, alternativer Wohnformen (betreubares
Wohnen, Senioren-Wohngemeinschaften) und - bei entsprechender Qualitätssicherung - der 24-Stunden-Pflege zuhause
dazu beitragen, den bevorstehenden Anstieg stationärer Pflegeplätze zu verzögern bzw. zu verringern.
Die Befragung von Pflegedienstleistern durch das WIFO zeigt dennoch Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung
in der Leistungszuteilung und -erbringung auf. Das Potential zur Verlagerung aus dem stationären Bereich zu
mobilen und alternativen Pflegeformen beträgt rund 10% aller stationär betreuten Personen und ist mit
einer Dämpfung des Kostenanstieges verbunden. Vor allem bei geringerem Betreuungsbedarf (bis Pflegegeldstufe
2) ist laut Einschätzung der Dienstleister für jede 3. bis 4. Person in stationären Einrichtungen
die Ausrichtung des Heimes weniger als "Gut" (Schulnoten 3 bis 5)für den tatsächlichen Betreuungsbedarf
geeignet. Die Effizienz in der Zuteilung variiert dabei zwischen den Bundesländern. Der flächendeckende
Ausbau eines geförderten Case- und Care-Managements sowie eine verstärkte Ausrichtung der Förderkriterien
am Bedarf sind von zentraler Bedeutung, um die Effizienz der Zuteilung zu den jeweiligen Pflegeformen zu verbessern.
Die derzeitigen föderalen Strukturen begünstigen aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit und Intransparenz
der Leistungserbringung in den einzelnen Ländern das Bestehen von Ineffizienzen. Eine stärkere Harmonisierung
der Tarife und Personalschlüssel würde die Vergleichbarkeit erhöhen und dazu beitragen, die Qualität
und Effizienz des Angebotes in den einzelnen Bundesländern nach oben hin anzugleichen.
Während die Nachfrage nach Pflegediensten deutlich zunimmt, hält das Arbeitskräfteangebot im Pflegesektor
mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Folglich wird eine beträchtliche Steigerung der Attraktivität von
Pflegeberufen notwendig sein, um den hohen Bedarf an Pflegekräften decken zu können. Der Kostenanstieg
durch das Nachfragewachstum und die relative Verknappung des Arbeitskräfteangebotes wird die finanzielle Belastung
der öffentlichen Hand und der Pflegebedürftigen weiter erhöhen.
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