Neue Ergebnisse aufgrund von Ausgrabungen in Willendorf in der Wachau
Wien (universität) - Die ersten modernen Menschen kamen vermutlich etwa vor 43.500 Jahren während
einer kalten klimatischen Episode ins heutige Österreich. Ein multinationales Team unter der Leitung von Bence
Viola (Universität Wien und Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) und Philip
Nigst (University of Cambridge und MPI Evolutionäre Anthropologie) analysierte Artefakte, die während
einer erneuten Ausgrabung der Venusfundstelle Willendorf in der Wachau entdeckt wurden. Die
Ergebnisse erscheinen in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift PNAS.
Laut Bence Viola und Philip Nigst beide studierten an der Universität Wien gehört das gefundene Material
zum sogenannten Aurignacien. Dabei handelt es sich um eine Kultur, die den ersten modernen Menschen in Europa zugeschrieben
wird. Radiokarbon-Daten sowie die Stratigraphie also die im vertikalen Profil feststellbare Abfolge von Schichten
erlauben, die Artefakte auf etwa 43.500 Jahre vor heute zu datieren. Damit sind die gefundenen Steingeräte
erheblich älter als andere Aurignacien-Inventare. "Anhand des Bodens sowie der Mollusken-Fossilien können
wir ein relativ kaltes Klima rekonstruieren. Die Vegetation war eine Kaltsteppe mit verstreuten Nadelbäumen
in den Flusstälern. Die Artefakte sind der älteste, gut datierte Nachweis von Menschen mit modernem Verhalten
in Europa", erklärt Paläoanthropologe Viola und weiter: "Die Funde weisen darauf hin, dass
diese Menschen vor 43.500 Jahren mit Neandertalern, die in anderen Teilen Europas lebten, relativ lange koexistierten.
Es zeigt auch, dass diese modernen Menschen, die aus wärmeren Gebieten in Südosteuropa einwanderten,
schon gut an relativ unterschiedliche Klimabedingungen angepasst waren."
Vor über 40.000 Jahren haben moderne Menschen Neandertaler verdrängt
Moderne Menschen sind vor mindestens 40.000 Jahren nach Europa eingewandert und haben die hier ansässigen
Neandertaler verdrängt. Neue Forschungen zeigen allerdings, dass diese Einwanderung bereits früher stattgefunden
haben könnte. "Das Problem ist, dass wir so gut wie über keine Menschenreste aus dem frühen
Jungpaläolithikum verfügen. Daher müssen wir uns auf archäologische Hinweise verlassen. Wir
haben aus dem späten Aurignacien einige, eindeutig moderne Fossilien und daher glauben wir, dass diese Kultur
ein guter Indikator für das Erscheinen der modernen Menschen ist", erklärt Bence Viola. "In
Willendorf konnten wir das frühe Aurignacien auf etwa 43.500 Jahre datieren. Das ist um einiges früher
als bisher angenommen, und wir können damit eindeutig belegen, dass diese Menschen bereits gleichzeitig mit
direkt datierten Neandertalern in Europa gelebt haben", fügt Philip Nigst hinzu.
Bezüglich der kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler gehen die wissenschaftlichen Meinungen auseinander:
Die einen sind davon überzeugt, dass Neandertaler bereits über kulturelle Fähigkeiten verfügten,
die den unseren ähnlich waren, bevor moderne Menschen sie verdrängten. Andere argumentieren, dass diese
Entwicklung bei den Neandertalern nur nach dem Kontakt mit modernen Menschen möglich war. "Die Daten
aus Willendorf belegen eindeutig, dass die modernen Menschen bereits im heutigen Österreich waren, während
in anderen Regionen Europas noch Neandertaler lebten. Dies lässt weiter vermuten, dass die beiden Gruppen
sich begegneten und Gene sowie Ideen austauschten", folgert Bence Viola.
Steingeräte aus der letzten Eiszeit gefunden
Die Steingeräte wurden in einer Abfolge von Sedimenten gefunden, die in unterschiedlichen Warm- und Kaltphasen
der letzten Eiszeit abgelagert wurden. Die Bodentypen sowie die fossilen Mollusken erlauben, das Klima während
der menschlichen Besiedlung als kalt und steppenähnlich mit verstreuten Nadelbäumen in den Flussniederungen
zu rekonstruieren. "Mollusken sind sehr gut für die Rekonstruktion der Umwelt geeignet, da sie sehr empfindlich
auf Änderungen der Temperatur und Feuchtigkeit reagieren. Wir können anhand der gefundenen Arten ziemlich
genau aufs Klima schließen", erklärt Bence Viola. "Besonders interessant ist, dass diese Besiedelung
in Willendorf während einer Kaltphase stattfand. Dies weist darauf hin, dass diese frühen Einwanderer
bereits Subsistenzstrategien für sehr unterschiedliche Umweltbedingungen entwickelt hatten fügt Nigst
hinzu.
Bence Viola hat an der Universität Wien Anthropologie studiert und ist Paläoanthropologe an den Departments
für Evolutionäre Genetik sowie Humanevolution des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie
in Leipzig. Er lehrt am Departement für Anthropologie der Universität Wien und an der Universität
Toronto. Sein Interesse gilt den biologischen und kulturellen Interaktionen zwischen modernen Menschen, Neandertalern
und den Denisova-Menschen, einer zentralasiatischen Schwestergruppe der Neandertaler. Er arbeitet an mittel- und
jungpaläolithischen Fundstellen in Österreich, Usbekistan, Russland und Kirgisistan.
Philip R. Nigst hat an der Universität Wien Ur- und Frühgeschichte studiert und ist Archäologe und
Lecturer am Department of Archaeology and Anthropology an der University of Cambridge, UK, und wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Department für Humanevolution des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie
in Leipzig. Er arbeitet an Fundstellen in Österreich, Rumänien, der Ukraine sowie Russland und initiierte
2006 zusammen mit Bence Viola die Ausgrabungen in Willendorf. Ziel seiner Arbeit ist es, die Anpassungen von Neandertalern
und modernen Menschen an wechselnde Umweltbedingungen zu verstehen.
Fördergeber
Die Ausgrabungen in Willendorf sowie die Forschungsarbeit wurden von folgenden Institutionen unterstützt:
Leakey Foundation (2006-2012), Max-Planck-Gesellschaft (20062012), Universität Wien (20062011), Hugo Obermaier
Gesellschaft (2006), Federal Office for Scientific Affairs of the State of Belgium (Projects Sc-004, Sc-09, and
MO/36/021), der Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien (2007), die Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen
Museums Wien, der Marktgemeinde Aggsbach und dem
Verschönerungs- und Museumsverein Willendorf.
Publikation in PNAS
Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500
years ago in a cold steppe-type environment. Philip R. Night, Bence Viola et al. Proceedings of the National Academy
of Sciences. September 22, 2014 (PNAS Online Early Edition)
DOI: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1412201111
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