Basel (idw) - Unser Immunsystem muss zwischen Selbst und Fremd unterscheiden, um Infektionen bekämpfen
zu können, ohne gleichzeitig auch die körpereigenen Zellen zu schädigen. Das Immunsystem verhält
sich gegenüber den Körperzellen loyal, doch wie dies geschieht, ist nicht vollständig verstanden.
Forscher des Departements Biomedizin von Universitätsspital und Universität Basel haben entdeckt, dass
das Immunsystem einen molekularen biologischen Zeitmesser nutzt, um intolerante T-Zellen während ihrer Entwicklung
auszusondern. Die neuen Erkenntnisse wurden in der Fachzeitschrift «Cell» veröffentlicht.
Ein funktionierendes Immunsystem verhält sich gegenüber dem körpereigenen Gewebe tolerant. Zeigen
Immunzellen während ihrer Reifung eine starke Reaktion gegen köpereigene Substanzen, werden sie sofort
angegriffen und eliminiert. Wie dies geschieht, ist ein fundamentales Thema der Immunologieforschung. Überleben
intolerante T-Zellen irrtümlicherweise die Selektion, kann das zu einer Autoimmunkrankheit wie multipler Sklerose,
Diabetes oder rheumatoider Arthritis führen.
Selbsttoleranz beruht auf negativer Selektion
Aufschluss darüber, wie sich immunologische Selbsttoleranz entwickelt, liefert nun ein Artikel in der aktuellen
Ausgabe des Fachmagazins «Cell», der von der Forschungsgruppe um den Immunologen Prof. Ed Palmer und
den Erstautor Ondrej Stepanek vom Departement Biomedizin des Universitätsspitals und der Universität
Basel zusammen mit Forschenden aus Cambridge (USA) und Cardiff (UK) veröffentlicht wurde.
Während ihrer Entwicklung durchlaufen die T-Zellen in der Thymusdrüse verschiedene Tests, bei denen die
Antigenrezeptoren der T-Zelle an körpereigene Moleküle binden müssen. Fällt diese Bindung zu
stark aus, könnte eine reifende T-Zelle schliesslich eine Autoimmunkrankheit hervorrufen. In diesen Fällen
wird eine negative Selektion ausgelöst, und die Zelle stirbt ab. Den Reifungsprozess setzen nur T-Zellen fort,
die sich gegenüber dem eigenen Körper loyal zeigen. Sie werden positiv selektiert und werden später
fremde Erreger bekämpfen.
Verweilzeit liefert entscheidenden Hinweis
Die negative Selektion von heranreifenden T-Zellen ist für das Funktionieren des Immunsystems unerlässlich.
In der aktuellen Studie beschreiben die Autoren den Mechanismus, der diese Auswahl steuert. Auf Grundlage eigener
Experimente entwickelten sie ein mathematisches Modell, das die molekularen Vorgänge hinter der negativen
Selektion beschreibt. Im Mittelpunkt steht dabei die Verweilzeit, während der eine reifende T-Zelle an ein
Körpermolekül bindet. Sie wird über einen molekularbiologischen Chronometer gemessen. Beträgt
sie über vier Sekunden, wird die heranwachsende T-Zelle durch den programmierten Zelltod eliminiert. Bei Verweilzeiten
unter vier Sekunden werden die Zellen weiterentwickelt, denn sie haben die Loyalitätsprüfung bestanden.
«Diese Frage hat mich seit langer Zeit fasziniert», sagt Palmer, der die Resultate dieser Studie als
Früchte seiner rund 35-jährigen Forschungsarbeit auf diesem Gebiet betrachtet. «Die Immuntoleranz
wurde vor mehr als 60 Jahren entdeckt», erklärt der Immunologe. «Auch wenn es danach aussieht,
dass wir dem Verständnis eines wesentlichen Teils der Toleranz einen grossen Schritt näher gerückt
sind, so bleibt doch manches, das wir noch nicht wissen, etwa wie das Immunsystem Fehler ausgleicht, die bei der
negativer Selektion geschehen sind.»
Originalbeitrag
Stepanek et al. Coreceptor Scanning by the T Cell Receptor Provides a
Mechanism for T Cell Tolerance Cell (2014) | doi: 10.1016/j.cell.2014.08.042
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