Innsbruck (universität) - Fracking und andere technische Fortschritte in der Öl- und Gaserschließung
haben es in verschiedenen Gebieten der USA möglich gemacht, bislang nicht oder nicht rentabel nutzbare Öl-
und Gasvorkommen zu erschließen. Ein internationales Forscherteam hat ein vermehrtes und ungewöhnliches
Auftreten von Ozon-Grenzwertüberschreitungen in diesen Gebieten im Winter unter die Lupe genommen.
Das Streben nach Energie-Unabhängigkeit und die neuen technischen Möglichkeiten haben einen rasanten
Anstieg der Öl- und Erdgasproduktion in den USA bewirkt. In manchen Produktionsgebieten scheint diese Entwicklung
allerdings mit einer Verschlechterung der Luftqualität einherzugehen. „Ozon ist eine spezielle Form molekularen
Sauerstoffs, die sehr reaktionsfreudig ist und oxidierend wirkt. Während Ozon in hohen Luftschichten als bekannte
Ozonschicht einen unersetzlichen Schutzmantel gegen schädliche UV-Strahlung darstellt, ist dasselbe Molekül
in Bodennähe, in zu hoher Konzentration, als Luftschadstoff zu sehen“, erklärt Martin Graus vom Institut
für Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck, der seine Expertise in die Studie miteingebracht
hat. Bodennahes Ozon wird nicht direkt emittiert, sondern entsteht photochemisch in der Luft aus Stickoxiden und
einer Vielzahl flüchtiger organischer Verbindungen, kurz VOC (volatile organic compounds) genannt. Wesentliche
Faktoren, die diesen Vorgang beeinflussen, sind die Sonneneinstrahlung, die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit.
Wie Graus erklärt, sei das Ozon, das im Sommer als Hauptbestandteil von Smog bekannt ist, bereits gut untersucht
und würde von den Behörden routinemäßig überwacht. Ungewöhnlich ist allerdings das
Entstehen von überhöhtem Ozon im Winter, das von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Öl-
und Gasfeldern im Westen der USA gemessen wurde. „Ozonbelastung im Winter ist eine überraschende Erscheinung,
weil normalerweise hohe Sonnenintensität, wie sie im Sommer herrscht, nötig ist, um die ozonbildenden
chemischen Reaktionen in Gang zu setzen“, erklärt Peter Edwards von der University of York, England. Er ist
einer der Hauptautoren der Studie. Aufgrund dieses Phänomens wurden Untersuchungen im Uintah-Becken in Utah
durchgeführt.
Winter-Ozon im Fokus
Unter der Leitung von James Roberts von NOAA ESRL (National Oceanic and Atmospheric Administration), einer
US-Regierungsabteilung, die in Boulder eine Forschungseinrichtung der Atmosphärenwissenschaften betreibt,
und unter Mitwirkung von zahlreichen US Forschungseinrichtungen, dem Staat Utah und der Industrie wurde die Studie
durchgeführt. Dr. Martin Graus war damals Angehöriger des CIRES-Instituts der University of Colorado
Boulder und Teil des Forscherteams und erklärt den aufwändigen experimentellen Ansatz: „Die Aufgabe bestand
darin, in den Wintermonaten von 2012 bis 2014 die wesentlichen Ozon-Vorläuferstoffe und chemischen Zwischenprodukte
in dieser entlegenen Gegend mit einer Vielzahl von komplexen wissenschaftlichen Messgeräten zu identifizieren
und quantitative Zeitreihen zu erstellen.“ Prozessbedingt und aufgrund von Lecks ist die Emission von VOCs in den
Öl- und Gasfeldern sehr hoch. Zusätzlich werden Stickoxide von LKWs, Dieselaggregaten, Kompressoren,
Förderpumpen und anderem technischem Gerät emittiert. Eine durchgängige Schneedecke im Uintah-Becken
im Winter bedingt die Ausbildung einer sehr starken und niedrigen Inversionsschicht, die die Verdünnung und
den Abtransport der Emissionen unterbindet und so zu einer Akkumulation der Ozon-Vorläuferstoffe führt.
„Unter bestimmten Winterbedingungen kann dies zu extrem hoher Ozonbelastung führen”, so Edwards. Weiters erhöht
die reflektierende Schneeoberfläche die für die Photochemie zur Verfügung stehende Lichtintensität.
„Die hoch detaillierten chemischen Zeitreihen dienen neben meteorologischen Daten als Eingabeparameter für
ein atmosphärenchemisches Model, das mehr als zehntausend Reaktionen berücksichtigt. Aufgrund der breiten
Abdeckung der chemischen Eingabeparameter reproduziert das Modell die tatsächlich gemessenen Ozonkonzentrationen
und lässt so stichhaltige Schlüsse auf die involvierten Mechanismen zu“, so Graus. Die Ergebnisse haben
gezeigt, dass die Entstehung von Ozon im Winter gänzlich von den Vorgängen im Sommer abweicht. „Unter
den winterlichen Bedingungen bilden sich aus den hoch konzentrierten VOCs im Uintah-Becken ausreichend Carbonyle,
die dann die Ozonproduktion in Gang setzen“, erklärt Steven Brown von NOAA in Boulder. Somit können auch
bei niedrigem Sonnenstand und trockener Luft die in der Inversionsschicht angesammelten VOCs bei moderaten Stickoxid-Konzentrationen
zu drastischen Ozon-Grenzwertüberschreitungen führen. Der Modellansatz, bei dem Edwards, Brown und Roberts
federführend waren, erlaubt, vorab verschiedene Emissionsszenarien dahingehend zu testen, mit welcher Ozonbelastung
zu rechnen ist. Dieses wissenschaftliche Verständnis soll die Basis bilden, zu entscheiden, welche Maßnahmen
von der Regierung und der Industrie getroffen werden können, um das bodennahe Ozon im Winter zu reduzieren.
Joost de Gouw, Mitautor und VOC Experte bei CIRES und den NOAA-Laboratorien kommentiert: „Staatliche und regionale
Luftreinhaltungsbehörden, die sich mit solchen Ozonepisoden konfrontiert sehen, können unsere Ergebnisse
heranziehen, um entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, und die Resultate können der Industrie helfen,
die Luftgütestandards in diesen Gebieten einzuhalten.“
Publikation: Winter Photochemistry Underlying
High Ozone in an Oil and Gas Producing Region. Peter M. Edwards, Steven S. Brown, et.al. Nature Advance Online
Publication, am 01.10.2014 – DOI: 10.1038/nature13767
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