Parlament: Experten für Erleichterung von
 Doppelstaatsbürgerschafte

 

erstellt am
09. 10. 14
10.00 MEZ

Öffentliches Hearing im Innenausschuss zum Staatsbürgerschaftsrecht
Wien (pk) - Der Trend in Europa gehe in die Richtung, Doppel- und Mehrfachstaats- bürgerschaften zu erleichtern. Auch Österreich solle sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Das war der verbreitete Tenor bei einem Expertenhearing im Innenausschuss des Nationalrats zum Thema Staatsbürgerschaftsrecht am 08.10. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen führen zu einer Reihe von Ungerechtigkeiten, machte etwa die Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot, selbst Doppelstaatsbürgerin, geltend. Je nachdem, aus welchem Land man komme, habe das unterschiedliche Konsequenzen. Lediglich Dietmar Hudsky, Leiter der Abteilung Aufenthalt und Staatsbürgerschaftswesen im Innenministerium, sprach sich dafür aus, das Prinzip der Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften beizubehalten, er fürchtet Interessens- und Loyalitätskonflikte.

Laut Politikwissenschafter Gerd Valchars, der an einem Projekt der Europäischen Hochschule Florenz zum Vergleich des Staatsbürgerschaftsrechts in Europa mitarbeitet, gehört Österreich zu den restriktivsten Ländern, was Standardeinbürgerungen betrifft. Demnach liegt das Land in einem Ranking, das 31 Staaten umfasst, an 28. Stelle. Nur die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben noch höhere Einbürgerungshürden. Valchars verwies zudem auf die hohen Kosten für Einbürgerungen: die Landes- und Bundesgebühren betragen zusammengerechnet zwischen 1.220 € in Vorarlberg und 2.580 € in der Steiermark. Ehepaare mit einem Kind müssen zwischen 2.480 € und 5.080 € berappen.

Von Seiten der Verwaltung wies Walter Sedlak, Leiter der für Einwanderung und Staatsbürgerschaft zuständigen Magistratsabteilung der Stadt Wien (MA 35), unter anderem auf den hohen bürokratischen Aufwand hin, der notwendig ist, um zu eruieren, ob die StaatsbürgerschaftswerberInnen das Kriterium eines gesicherten Lebensunterhalts erfüllen. Gerade an dieser Hürde scheitern nach Erfahrung von Dunja Bogdanovic-Govedarica vom Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen viele Einbürgerungswillige. Bogdanovic-Govedarica versteht nicht, warum Mietkosten, Kreditraten und Unterhaltsverpflichtungen beim Einkommensnachweis berücksichtigt werden.

Grüne für gesetzliche Verankerung des Geburtslandprinzips
Basis für das Hearing bildete eine Reihe von Gesetzes- und Entschließungsanträgen der Opposition sowie eine Bürgerinitiative, die schließlich alle vertagt wurden. So fordern die Grünen unter anderem, im Staatsbürgerschaftsgesetz das Geburtslandprinzip zu verankern und Doppelstaatsbürgerschaften zu ermöglichen ( 15/A), beim erforderlichen Einkommensnachweis eine Härtefallregel vorzusehen ( 242/A), geringfügige Lücken bei der vorgeschriebenen Mindestaufenthaltsdauer außer Acht zu lassen und verbliebene Einbürgerungshürden für Kinder aus binationalen Ehen abzuschaffen.

Auch die NEOS sprechen sich für die Erleichterung von Mehrfachstaatsbürgerschaften aus ( 275/A) und schlagen in diesem Zusammenhang vor, ein Europaratsabkommen aus den 60er-Jahren zur Verminderung der Fälle von Doppelstaatsbürgerschaft außer Kraft zu setzen ( 277/A[E]). Mittelfristig streben sie eine völlige Gleichstellung der EU-Unionsbürgerschaft mit der österreichischen Staatsbürgerschaft an. Für Doppelstaatsbürgerschaften und das Geburtslandprinzip im Staatsbürgerschaftsrecht machen sich auch die UnterzeichnerInnen einer Bürgerinitiative ( 25/BI) stark: Ihrem Vorschlag nach sollen Kinder automatisch als ÖsterreicherInnen zur Welt kommen, wenn zumindest ein Elternteil seit mindestens einem Jahr einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich hat.

Die FPÖ wiederum sieht nicht ein, dass Fremden, die in Österreich geboren wurden, ein erleichterter Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft gewährt wird und eine Einbürgerung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bereits nach sechs – statt nach zehn – Jahren möglich ist ( 409/A).

Bogdanovic-Govedarica: Einbürgerungen sind offenbar unerwünscht
Als erste der ExpertInnen hielt Dunja Bogdanovic-Govedarica vom Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen fest, ihrer Wahrnehmung nach sind Einbürgerungen in Österreich etwas Unerwünschtes. Die Gesetzesnovelle 2013 habe zwar eine Verkürzung der Wartefrist auf den österreichischen Pass gebracht, allerdings nur für bestimmte "Supermigranten". Unter dem Deckmantel der Integration würden nach wie vor große Gruppen von der Einbürgerung ausgeschlossen, kritisierte sie.

Größte Hürden sind laut Bogdanovic-Govedarica die Deutschprüfung auf B1-Niveau und der erforderliche Einkommensnachweis. Sie verstehe nicht, warum Mietkosten, Kreditraten und Unterhaltszahlungen das Einkommen schmälern, sagte sie. Viele scheiterten an den komplizierten Berechnungen. Der Expertin zufolge können sich auch viele ihrer KlientInnen die Kosten für eine Einbürgerung nicht leisten.

Die hohen Einkommenshürden sind für Bogdanovic-Govedarica auch insofern unverständlich als das Argument, man wolle "eine Zuwanderung in den Sozialstaat" vermeiden, nicht greife. Viele der Betroffenen hätten ohnehin ein Daueraufenthaltsrecht und seien damit ÖsterreicherInnen sozialrechtlich gleichgestellt, etwa was den Anspruch auf Mindestsicherung oder auf eine Gemeindewohnung betrifft. Nur bei schwerwiegenden Verbrechen könnten sie ausgewiesen werden. Was die Fremden allerdings nicht haben, ist das Wahlrecht.

Bogdanovic-Govedarica sprach sich dafür aus, in Österreich geborenen Kindern von hier ansässigen Fremden automatisch die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Das hätte ihr zufolge nicht nur eine hohe Symbolwirkung für die Eltern und die Kinder, sondern würde auch viel bürokratischen Aufwand vermeiden helfen und Kosten sparen. Kinder von Daueraufenthaltsberechtigten würden nämlich keinen Daueraufenthaltstitel erhalten, sondern müssten in bestimmten Abständen um eine Aufenthaltsverlängerung ansuchen, schilderte sie. Gleichzeitig würde die Familienbeihilfe immer nur für die Dauer des Aufenthaltstitels gewährt. Auch bei der Lehrstellen- und der Jobsuche hätten Jugendliche ohne Staatsbürgerschaft Nachteile. Dass Doppelstaatsbürgerschaften zu Loyalitätskonflikten führen, glaubt Bogdanovic-Govedarica nicht, sie wisse als Kind aus einer binationalen Ehe aus eigener Erfahrung, "dass es einem nicht die Brust zerreißt".

Hudsky will an Prinzipien des Staatsbürgerschaftsrecht nicht rütteln

Der Leiter der Abteilung Aufenthalt und Staatsbürgerschaftswesen im Innenministerium Dietmar Hudsky wies darauf hin, dass nach dem Selbstverständnis des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts die Staatsbürgerschaft der Endpunkt einer erfolgreichen Integration sei. Das Staatsbürgerschaftsgesetz biete einen verlässlichen und stabilen Rahmen, Änderungen sollten nur behutsam erfolgen, bekräftigte er.

Im Konkreten macht Hudsky vier Hauptprinzipien im Gesetz fest: Das österreichische Recht beruhe auf dem Abstammungsprinzip, man wolle keine unterschiedlichen Staatsbürgerschaften im Familienverband, man wolle das Prinzip der Staatenlosigkeit verhindern und man wolle Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaften vermeiden. An diesen Grundprinzipen solle man festhalten, erklärte er. Die Einschränkung von Mehrfach- und Doppelstaatsbürgerschaften wertete er als sinnvoll, nicht zuletzt wegen möglicher Interessens- und Loyalitätskonflikte.

Die gesetzlichen Bestimmungen würden ohnehin regelmäßig angepasst, hielt Hudsky fest. So sei erst im vergangenen Jahr eine umfangreiche Gesetzesnovelle beschlossen worden. Seither würden auch uneheliche Kinder mit österreichischem Vater automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben. Auch der Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts sei neu geregelt worden, um auch Familien mit erheblich schwankendem Einkommen eine Chance auf die Staatsbürgerschaft zu geben. Bei dauerhafter Krankheit oder Behinderung werde auf den Einkommensnachweis verzichtet. Besonders gut integrierte Fremde könnten bereits nach 6 Jahren eingebürgert werden. Deutliche Erleichterungen hat es laut Hudsky auch bei der Einbürgerung von Adoptivkindern unter 14 Jahren gegeben. Derzeit ist ihm zufolge eine Novelle in Begutachtung, die den Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft bei einer Teilnahme an ausländischen militärischen Konflikten vorsieht. Dass die vorliegenden Oppositionsanträge zu einer Verbesserung des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts führen würden, glaubt der Experte nicht.

Die Frage mehrerer Abgeordneter, wie viele Doppelstaatsbürgerschaften in Österreich existieren, konnte Hudsky nicht beantworten. Dazu existieren keine Statistiken. Bei der Volkszählung 2001 haben sich seiner Auskunft nach rund 55.000 ÖsterreicherInnen dazu bekannt, eine weitere Staatsangehörigkeit zu haben.

Was das Problem der "Ein-Tages-Lücke" betrifft, machte Hudsky geltend, dass es nach dem geltenden Aufenthaltsrecht die Möglichkeit gebe, Fristversäumnisse zu sanieren und damit Aufenthaltsunterbrechungen zu vermeiden. Zudem würden die meisten Einbürgerungen aus dem Daueraufenthaltsrecht heraus stattfinden. Der Hauptteil der Einbürgerungen erfolgt seiner Information nach außerdem nach der verkürzten Wartefrist von sechs Jahren, die etwa für EWR-BürgerInnen, Aslyberechtigte und EhegattInnen gilt. Die Bundesgebühren bezifferte er mit einer Bandbreite von 217 € für die Erstreckung der Staatsbürgerschaft auf Familienmitglieder bis zu 976 € für Standardeinbürgerungen nach 10 Jahren.

Sedlak: Berechnung des gesicherten Lebensunterhalts ist sehr komplex
Werner Sedlak, Leiter der für Einwanderung und Staatsbürgerschaft zuständigen Magistratsabteilung der Stadt Wien (MA 35), räumte ein, dass Österreich durch die Unterzeichnung eines Europarats-Übereinkommens völkerrechtlich verpflichtet sei, Doppelstaatsbürgerschaften zu vermeiden. Dieses Europarats-Übereinkommen stamme aber aus den 60er-Jahren und sei von den meisten Unterzeichnerstaaten inzwischen gekündigt worden, skizzierte er. In einem neueren Folgeübereinkommen sei man vom Standpunkt der Vermeidung der Doppelstaatsbürgerschaft abgekommen. Der Trend in Europa gehe zur Erleichterung von Doppelstaatsbürgerschaften.

Zu den vorliegenden Anträgen merkte Sedlak an, grundsätzlich seien alle beschließbar. Er appellierte an die Abgeordneten allerdings, bei jeder Novellierung des Staatsbürgerschaftsgesetzes daran zu denken, was das für den Vollzug und die Verwaltung bedeutet. Besonders kompliziert ist seiner Darstellung nach derzeit die Prüfung des gesicherten Lebensunterhalts der StaatsbürgerschaftswerberInnen. Die VollzugsbeamtInnen seien fast schon SteuerberaterInnen, sie müssten etwa nicht nur Kreditunterlagen und Kontobewegungen prüfen, sondern bei einem Wohnsitzwechsel auch verschiedene Mietausgaben berücksichtigen, veranschaulichte er. Sedlak zufolge wäre der Verwaltung enorm geholfen, wenn die Vorgaben für den Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts weniger detailliert geregelt wären.

Generell machte Sedlak darauf aufmerksam, dass die Einbürgerungen in den letzten Jahren massiv zurückgegangen sind. Vor dem Jahr 2004 habe man österreichweit jährlich bis zu 40.000 Staatsbürgerschaften verliehen, zuletzt seien es nur mehr 7.400 gewesen. Ein Großteil der neuen StaatsbürgerInnen sei in Österreich geboren.

Zum Problem der "Ein-Tages-Lücke" hielt Sedlak fest, es gebe noch immer derartige Fälle, da die von Hudsky angesprochene Toleranzgrenze erst seit wenigen Jahren gelte. Damit könne ein kurz unterbrochener Aufenthalt nicht in allen Fällen saniert werden. Ein Problem ist für Sedlak auch, dass viele Personen nicht wissen, dass sie um eine Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft vor der Annahme einer fremden Staatsbürgerschaft ansuchen müssen und dann vor unbeabsichtigten Folgen stehen.

Vadrot für Vergemeinschaftung des Staatsbürgerschaftsrechts
Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot, wissenschaftliche Mitarbeiterin im NEOS-lab und Lehrbeauftragte an der Universität Wien, appellierte an die Abgeordneten, Mehrfachstaatsbürgerschaften zu erleichtern. Es gehe nicht ausschließlich um Rechte und Pflichten, betonte sie, die derzeitige gesetzliche Regelung führe auch zu vielen Ungerechtigkeiten und berge durch die Ausgrenzung vieler Personen Konfliktpotenzial.

Vadrot zufolge leben in Österreich 1,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, davon ist ein Drittel in Österreich geboren. Gleichzeitig würden rund 406.000 Staatsangehörigen aus EU-Ländern staatsbürgerschaftliche Rechte in Österreich verwehrt. Ungerechtigkeiten würden unter anderem dadurch entstehen, dass viele Länder im Gegensatz zu Österreich bei der Annahme einer fremden Staatsbürgerschaft nicht auf die Zurücklegung der ursprünglichen Staatsbürgerschaft beharren. In Österreich gebe es hingegen nur für Prominente eine Ausnahme, konstatierte Vadrot. Sie machte außerdem auf viele problematische Einzelfälle aufmerksam, so drohe manchen bei Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft der Verlust des Anspruchs auf jeglichen Besitz im Heimatland und damit auch des Erbrechts.

Für Vadrot wären Mehrstaatsbürgerschaften eine logische Konsequenz aus dem EU-Integrationsprozess. Langfristig strebt sie eine Vergemeinschaftung des Staatsbürgerschaftsrechts und daran anknüpfend eine Unionsstaatsbürgerschaft an. Man solle nicht unterschiedliche Rechte haben, je nachdem aus welchem EU-Land man komme, argumentierte sie. Damit würde sich auch die Frage erübrigen, wie viele Staatsbürgerschaften man jemandem zugestehen solle.

Valchars: Österreich ist im internationalen Vergleich sehr restriktiv
Politikwissenschaftler Gerd Valchars, der neben der Teilnahme am Projekt der Europäischen Hochschule Florenz auch an den Universitäten Wien und Klagenfurt lehrt, machte darauf aufmerksam, dass Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern extrem hohe Einbürgerungshürden hat. So liege das Land in einem Ranking von 31 Staaten bei Standardeinbürgerungen mit 22 Indexpunkten an 28. Stelle, nur Estland, Lettland und Litauen liegen hinter Österreich. Im EU-Durchschnitt gebe es 44 Punkte, Deutschland habe 59 Punkte. Auch ein anderes Ranking bringe ähnliche Ergebnisse.

Grund für den abgeschlagenen Rang Österreichs sind Valchars zufolge unter anderem die hohen und sehr kompliziert zu berechnenden Einkommenserfordernisse, vergleichsweise lange Wohnsitzfristen und die hohen Einbürgerungsgebühren. Laut Valchers muss ein Ehepaar mit einem Kind, abhängig vom Bundesland, bis zu 5.080 € an Landes- und Bundesgebühren berappen. Einzelne StaatsbürgerschaftswerberInnen zahlen zwischen 1.220 € in Vorarlberg und 2.580 € in der Steiermark.

An den hohen Einbürgerungshürden hat nach Einschätzung von Valchers auch die Gesetzesnovelle im letzten Jahr wenig geändert. Er plädierte dafür, dem Beispiel vieler anderer europäischer Länder zu folgen und das Abstammungsprinzip im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht mit einem bedingten Geburtslandprinzip zu kombinieren. Es sei ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Einführung des anderen Prinzip das eine ablösen müsse, sagte er. Wie lange die Eltern im jeweiligen Land ansässig sein müssen, damit ihr Kind die Staatsbürgerschaft des Wohnsitzlandes erhält, ist laut Valchers sehr unterschiedlich geregelt, je nach Land seien drei, fünf, acht oder auch zehn Jahre vorgeschrieben.

Valchers gab zu bedenken, dass jedes sechste Kind, das derzeit in Österreich auf die Welt kommt, Ausländer ist. Im Jahr sind davon 13.000 Kinder betroffen. Diese Kinder würden kein anderes Land kennen, trotzdem verwehre man ihnen viele Rechte und setze sie teuren Einbürgerungsverfahren aus. Konsequenz sei, dass im Jahr 2012 erstmals mehr als eine Million EinwohnerInnen in Österreich keine österreichische Staatsbürgerschaft hatten. Heute seien es 12,5 % der Bevölkerung. Bei den letzten Nationalratswahlen 2013 sei die Zahl der Wahlberechtigten gegenüber 2008 trotz gestiegener Bevölkerungszahl gesunken. Die Demokratie verliere ihre Legitimation, warnte Valchers.

Was das Europaratsabkommen zur Verminderung der Fälle von Doppelstaatsbürgerschaft betrifft, wies Valchers darauf hin, dass nur noch Österreich, die Niederlande und Norwegen zu den verbleibenden Unterzeichnerländern gehören. Dänemark habe das Abkommen in diesem Sommer gekündigt. Da das Abkommen überdies nur zwischenstaatlich, also zwischen den Unterzeichnerstaaten gelte, sei es mehr oder weniger wirkungslos. Ein neues, moderneres Abkommen biete verschiedene Lösungen für die Folgen mehrfacher Staatsangehörigkeit.

Bestätigt wurde von Valchers, dass es keine Statistiken über die Zahl von DoppelstaatsbürgerInnen in Österreich gibt. In Deutschland seien es 4,3 Millionen Personen, das sind 5,7 % der Bevölkerung. Grundsätzlich gebe es auch in Österreich kein Prinzip, das Mehrfachstaatsbürgerschaften verhindere, sagte Valchers, diese würden etwa bei Kindern von binationalen Ehen akzeptiert. Für ihn ist es wenig nachvollziehbar, warum Doppelstaatsbürgerschaften aus Gründen der Abstammung als unproblematisch qualifiziert werden, Doppelstaatsbürgerschaften durch Einbürgerung aber weitgehend verhindert würden.

FPÖ für restriktivere Kriterien bei Verleihung der Staatsbürgerschaft
Im Rahmen der Debatte sprach sich FPÖ-Abgeordneter Gernot Darmann in Anlehnung an den Antrag seiner Fraktion dafür aus, Fremden, die in Österreich geboren wurden, keinen bevorzugten Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft zu gewähren. Für ihn ist es sachlich nicht gerechtfertigt, dass in Österreich geborene AusländerInnen bereits nach 6 Jahren um die Staatsbürgerschaft ansuchen können. Das widerspricht ihm zufolge der Prämisse, dass der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft Integrationsendpunkt sein soll. Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und ein Bekenntnis zu den österreichischen Werten müssen für ihn Voraussetzung für die Erlangung der Staatsbürgerschaft sein.

Darmann machte in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam, dass laut Pisa-Studie Zuwanderer der zweiten Generation schlechtere Ergebnisse erzielten als Zuwanderer der ersten Generation. Offenbar funktioniere die Integration in der zweiten Zuwanderergeneration nicht. Ziel könne es nicht sein, Integration durch eine Verschenkung von Staatsbürgerschaften zu "ermogeln".

Skepsis in Bezug auf den automatischen Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft für in Österreich geborene Kinder äußerte auch Abgeordneter Christoph Hagen (T). Diese könnten sich nicht explizit zum österreichischen Staat bekennen, zudem gebe es keine Gewissheit, dass die Kinder Deutsch sprechen, unterstrich er. Viele Jugendliche unter den österreichischen Neo-StaatsbürgerInnen lehnen Österreich seiner Erfahrung nach außerdem ab und fühlen sich mehr der Heimat der Eltern verbunden.

Grün-Abgeordnete Alev Korun meinte dem gegenüber, sie könne aus eigener Erfahrung bestätigen, dass eine Einbürgerung das Zugehörigkeitsgefühl enorm stärke, man fühle sich als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach belegt auch die große Zahl von Doppelstaatsbürgerschaften aus binationalen Ehen, dass es den immer wieder zitierten Loyalitätskonflikt nicht gibt.

Besonders fragwürdig ist für Korun auch der notwendige Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts. 70 % der Arbeiterinnen würden die Einkommensvoraussetzungen für die Staatsbürgerschaft nicht erfüllen, gab sie zu bedenken. Damit werde das Wahlrecht de facto an das Einkommen gekoppelt, wie im früheren Zensuswahlrecht. Zur Problematik der "Ein-Tages-Lücke" hielt die Abgeordnete fest, sehr oft sei den Menschen die Bedeutung einer kurzen Aufenthaltsunterbrechung oder versäumter Fristen nicht bewusst. Sie sprach sich für eine weniger restriktive Regelung und die Zusammenrechnung von Aufenthaltszeiten bei der Berechnung der 10-Jahres Frist aus.

Auch Abgeordnete Nurten Yilmaz (S) sprach die Problematik hoher Kosten für eine Einbürgerung an. Sie seien gerade für ArbeiterInnen einfach nicht leistbar. Zudem gelte die österreichische Matura nicht für einen Nachweis der Sprachkenntnisse. Vorrangig Fragen an die Experten richteten ihre beiden Fraktionskolleginnen Angela Lueger und Ulrike Königsberger-Ludwig.

Abgeordneter Nikolaus Alm (N) meinte zu den Ausführungen von Hudsky, wonach sich die Staatsbürgerschaft am Familienverband orientieren solle, die Staatsbürgerschaft sein ein Recht des Individuums und nicht der Familie. Zudem müssten nach Hudskys Logik spätestens beim dritten in Österreich geborenen Kind alle Familienmitglieder die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Alm bezweifelt auch, dass es empirische Befunde dafür gibt, dass Mehrfachstaatsbürgerschaften zu Loyalitätskonflikten führen.

Seitens der ÖVP unterstrich Abgeordneter Werner Amon, dass das Staatsbürgerschaftsrecht aus guten Gründen nicht EU-Gemeinschaftsrecht sei. Darmanns Fraktionskollegin Dagmar Belakowitsch-Jenewein sprach die Fälle vor allem türkischer StaatsbürgerInnen an, die mit Erwerb der österreichischen die türkische Staatbürgerschaft erst zurückgelegt, aber später wieder angenommen haben.

Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung in Wien ist nicht wahlberechtigt
In einer abschließenden Expertenrunde hielt Dunja Bogdanovic-Govedaria fest, es seien ihr keine Fälle bekannt, wo Kinder keinen Aufenthaltstitel erhalten haben, jedoch viele Fälle von Verfahrensverzögerungen bei der Verlängerung von Aufenthaltstiteln, die Unsicherheit herstellen und sich belastend auswirken. Wenn bei unehelichen Kindern österreichischer Väter schon das Abstammungsprinzip gelte, so sehe sie nicht ein, warum diese Regelung so eng gefasst werde und die Frist der Anerkennung des Kindes durch den Vater nur acht Woche betrage. Die Regelung gelte auch nicht rückwirkend.

Hinterfragt wurde von Bogdanovic-Govedaria auch die Sinnhaftigkeit der Sprachprüfungen, da ein Niveau vorausgesetzt würde, das viele ÖsterreicherInnen nicht erfüllen würden, zudem lasse sich so die Integration nicht feststellen. Menschen könnten zwar mündlich eine gute Ausdrucksfähigkeit haben, gleichzeitig aber schriftliche Prüfungen nicht bestehen.

Im Aufenthalt würden regelmäßig Lücken entstehen, oft seien diese durch die Gesetzeslage nur juristisch konstruiert, meinte die Expertin und verwies auf Probleme, die aus Scheidungen entstehen. Es gebe Personen, die als minderjährige Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind und nun keine Staatbürgerschaft erhalten, obwohl sie hier aufgewachsen und hochqualifiziert sind.

Dietmar Hudsky meinte zu der Frage der Lücken in Nachweis des Aufenthalts, es sei problematisch, hier eine generelle nachträgliche Sanierung durchzuführen. Ein illegaler Aufenthalt sei schließlich ein schwerer Verstoß gegen österreichische Gesetze, gab er zu bedenken. Viele Lücken, vor allem im Bereich des humanitären Aufenthaltsrecht habe man zudem bereits geschlossen. Es gebe aber tatsächlich eine Schieflage dadurch, dass die Matura nach derzeitiger Rechtslage nicht für den Nachweis der Sprachkompetenz ausreiche. Dazu sei das Innenministerium im Gespräch mit dem Unterrichtsministerium.

Es sei richtig, dass die Einkommensfeststellung sehr kompliziert und schwer zu vollziehen sei, hielt Hudsky fest. Der Grund dafür sei aber, dass man auf viele Einzelfälle eingehen müsse. Es werde sehr vieles als Einkommen gerechnet, um den gesicherten Lebensunterhalt zu beurteilen. Das Problem mit Wiederannahmen türkischer Staatsbürgerschaften sei bekannt und vom Außenministerium mit der türkischen Seite angesprochen worden.

Werner Sedlak hielt fest, dass die Verankerung eines Geburtslandprinzips im Staatsbürgerschaftsrecht sicher bürokratische Vereinfachungen bedeuten würde, wobei es auf die Ausgestaltung ankomme. In fast allen Staaten sei es mit zusätzlichen Bedingungen verknüpft. Über unberechtigte Doppelstaatbürgerschaften von türkischen MigrantInnen verfüge seine Behörde keine Daten und es sei nicht an ihr, sie zu erheben. Wo Fälle bekannt werden, würden daraus auch die Konsequenzen gezogen, was bis zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gehen kann. Unterbrechungen des Aufenthalts seien ein häufiger Grund, dass keine Staatsbürgerschaft erteilt wird, es handle sich im Normalfall aber um längere Unterbrechungen, und nicht nur um einige Tage. Zweifellos sei aber vielen Personen die Problematik, die Aufenthaltsunterbrechungen mit sich bringen, nicht bewusst.

Alice Vadrot stellte zur Frage der Loyalitätskonflikte fest, dass dieses Argument zumindest bei EU-BürgerInnen sicher nicht als schwerer wiegend angesehen werden dürfe als das massive demokratische Defizit, dass sich aus der Vorenthaltung des Wahlrechts ergebe. Schließlich bildeten die EU-Staaten eine Wertegemeinschaft. Staatsbürgerschaft sei ein wichtiger Faktor für die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, meinte sie.

Gerd Valchars sagte, die meisten Staaten würden das Geburtslandprinzip bei der Staatsbürgerschaft an Kriterien wie den verfestigten Aufenthalt knüpfen, um Phänomene wie "Geburtstourismus" zu vermeiden. Fragen von Loyalitäten seien komplex, es gebe viele Gründe, durch die eine emotionale Bindung entstehe. Diese könne auch zu mehreren Staaten bestehen. Die Ablehnung von Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaften kommen eher aus veralteten Vorstellungen von Loyalität. Kritisch sah er die Koppelung des Erwerbs von Staatsbürgerschaft mit dem Einkommen. Man schaffe damit ein "Zensuswahlrecht durch die Hintertür", meinte er, und handle sich ein Demokratiedefizit ein. So seien in Wien über 21% der Bevölkerung im Wahlalter nicht wahlberechtigt, bezirksweise noch mehr. Es entstehe ein Legitimationsverlust der Demokratie, wenn große Teile von den Entscheidungen ausgeschlossen werden, gab er zu bedenken.

Ein von Abgeordneter Alev Korun zum Antrag 15/A eingebrachter Abänderungsantrag mit Klarstellungen wurde zusammen mit dem Hauptantrag und den anderen Anträgen einstimmig vertagt.

 

 

 

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