Start der Abwasser-Tunnelbohrung auf Europas größter Kanalbaustelle
Wien (rk) - Seit September 2013 laufen die Arbeiten am derzeit größten Kanalbauprojekt Europas
in Wien-Simmering auf Hochtouren. Für den ersten von zwei leistungsfähigen Transportkanälen war
am 17.10. Bohrbeginn am Sportplatz in der Haidestraße 10. "Mit diesem Projekt schaffen wir die Voraussetzungen,
bei den zunehmenden Starkregenereignissen, die gigantischen Wassermengen zukünftig kontrolliert zur ebswien
hauptkläranlage zu leiten", erklärt Umweltstadträtin und Tunnelpatin Ulli Sima das ehrgeizige
Projektziel.
Im Verbund mit einem neuen Speicherbecken schützen die beiden Kanäle "Unter der Kirche" und
"Florian-Hedorfer-Straße" den 11. Bezirk bei Starkregenereignissen vor Überschwemmungen. Die
30 Millionen Euro teuren unterirdischen Bauwerke haben ein Fassungsvermögen von mehr als 34 Millionen Liter
Regenwasser. Das Wasser wird zwischengespeichert und nach dem Regenereignis, bei freien Abflusskapazitäten
in der Kanalisation, der Hauptkläranlage in Simmering zugeleitet. "Das künftige Speicherbecken in
der Haidestraße 10 und die beiden Transportkanäle sind die letzten Bausteine einer in der Folge insgesamt
86 Millionen Liter Regenwasser fassenden Speicherkette in und um den 11. Bezirk. Wir reagieren damit auf die Folgen
des längst auch bei uns spürbaren Klimawandels, der extreme Wetterkapriolen und Niederschläge mit
sich bringt", so Sima weiter.
Effektiver Schutz vor Starkregen
Vor allem große Teile des 11. Bezirks erlebten diese Starkregenereignisse in den letzten Jahren verstärkt,
wie etwa am 13. August 2010. Damals fielen mit 40 Liter Regen pro Quadratmeter in zehn Minuten mehr als sieben
Prozent der Jahresniederschlagsmenge. Derartige Niederschläge kommen sonst eher nur in tropischen Regenwäldern
vor. Kein Kanalnetz der Welt kann derartige Regenereignisse erfassen, müssen doch Abwasserkanäle so dimensioniert
sein, dass sie bei "normaler" Wetterlage das Abwasser transportieren können. "Der Kanal ist
also keine Hochwasserschutzanlage, dennoch reagiert Wien Kanal auf diese Entwicklungen: Seit vielen Jahren wird,
auch international vernetzt, intensiv an Maßnahmen gearbeitet und das vorhandene Kanalnetz optimiert",
so Sima.
Oben rollt die Kugel, unten fließt das Wasser
Für den unterirdischen Speicher haben die Kanalplaner mit dem Sportplatz in der Haidestraße 10 den idealen
Standort gefunden. Gilt es doch, an einem topografischen Tiefpunkt des Bezirkes das 90 Meter lange, 45 Meter breite
und 7 Meter tiefe Becken unterzubringen. Unmittelbar unter dem Hauptspielfeld werden bei Regenwetter bis zu 28,5
Millionen Liter Wasser zwischengespeichert. Um das Becken nach einem Regenereignis wieder vorzuhalten, sorgen leistungsstarke
Pumpen für eine rasche Entleerung über das Kanalsystem in Richtung ebswien hauptkläranlage. Im Zuge
der Kanalbaumaßnahmen wird auch der in die Jahre gekommene Sportplatz des SC Mautner Markhof in der Haidestraße
10 saniert. Das Hauptspielfeld erhält einen neuen Kunstrasen, das kleinere Spielfeld einen Naturrasen. Nicht
nur dadurch erstrahlt die Anlage in neuem Licht. Auch eine moderne Flutlichtanlage sorgt für ideale Spielbedingungen
bei jeder Jahres- und Tageszeit. Bezirksvorsteherin Renate Angerer: "Die Simmeringer Bevölkerung kann
sich doppelt freuen. Einerseits über die Investitionen in das Kanalnetz für die nächsten Generationen,
andererseits über eine moderne Flutlicht-Sportanlage, vor allem für unsere fußballbegeisterten
Mädchen und Burschen".
Mit 415-PS quer durch Simmering
Mit einem "Glückauf" an alle, die jetzt im Tunnel aber auch an der Oberfläche arbeiten,
wünschte Tunnelpatin Ulli Sima insbesondere den Beteiligten vor Ort einen unfallfreien Bauablauf. Die beiden
neuen Transportkanäle, die das Speicherbecken dotieren, verfügen mit einem Durchmesser von zwei Meter
und einer Länge von 1,9 Kilometer über ein zusätzliches Fassungsvermögen von sechs Millionen
Liter Regenwasser. Die beiden Röhren "Unter der Kirche" und "Florian-Hedorfer-Straße"
werden dabei in drei Etappen mittels modernster Tunnelbohrtechnik durch den 11. Bezirk vorgetrieben. Das erste,
insgesamt 860 Meter lange Teilstück, der "Ulli-Stollen", soll nach viermonatiger Bauzeit im Jänner
2015 sein Ziel in der Kaiser-Ebersdorfer-Straße erreichen. Zwei weitere Tunnelabschnitte folgen bis zur Fertigstellung
im Frühjahr 2016.
"Wir tauchen für die nächsten Monaten unter und arbeiten rund um die Uhr mit einem 415-PS starken
Spezialbohrer, der 1.000 mal mehr Drehmoment hat als ein aktueller Formel-1 Rennwagen", erklärt Wien
Kanal Direktor Andreas Ilmer die High-Tech-Maschine. Und Technik-Fans dürften dabei ins Schwärmen kommen.
Denn die eingesetzte Hydroschildmaschine mit Druckluftstützung zermalmt mit 780 Kilonewtonmeter Drehmoment
und einem Gewicht von 36 Tonnen das Erdreich am Bohrkopf. Zerkleinert und mit Bentonit, eine Mischung aus verschiedenen
Tonmineralien verflüssigt, wird es in Druckrohrleitungen an die Oberfläche gepumpt und dort in speziellen
Separieranlagen wieder in Flüssig- und Feststoffe getrennt. Der flüssige Anteil wird wieder in den Abbaukreislauf
eingebracht. Die Suspension übernimmt aber nicht nur die Transportfunktion, sondern mit einem Druckluftpolster
auch die Stützfunktion an der Ortsbrust, der vordersten Abbaustelle im Tunnel.
Gleichzeitig mit dem Abbau des Erdmaterials werden mittels gewaltiger Pressen und einem Druck von 500 bar die jeweils
vier Meter langen und 18 Tonnen schweren Kanalrohre aus Stahlbeton in den Untergrund geschoben. In Summe müssen
bis zur Fertigstellung der Kanäle rund 500 dieser Rohre mit einem Gewicht von über 8.500 Tonnen verbaut
werden. Auch die anderen Zahlen sind imposant: 15.000 Kubikmeter Beton und rund 63.000 Kubikmeter Bodenmaterial
werden bewegt. 1.200 Tonnen Stahl, immerhin dreimal so viel wie beim Bau des Riesenrades, werden verarbeitet. Um
diese Mengen zu bewältigen sind neben modernsten Baumaschinen rund 60 Arbeiter bis 2016 beschäftigt.
Wien Kanal - Die Abwasserprofis
Mit einer Leitungslänge von mehr als 2.400 Kilometer ist Wien Kanal Österreichs größter
Kanalnetzbetreiber. Täglich wird etwa eine halbe Milliarde Liter Abwasser sicher und umweltgerecht zur ebswien
hauptkläranlage in Simmering transportiert. Rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen dafür, das
Kanalnetz funktionsfähig und sauber zu halten. So wird zum Beispiel täglich 15 Tonnen abgelagertes Material
aus den Kanälen geräumt, um den Abfluss zur Kläranlage zu garantieren. Mehr als 99 Prozent aller
Haushalte in Wien sind an das städtische Kanalnetz angeschlossen. Trotzdem wächst das Wiener Kanalnetz
jährlich um rund zehn Kilometer. Mehr als 700 Kanalbaustellen werden jährlich zur Erhaltung und Reparatur
des öffentlichen Kanalnetzes durchgeführt.
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