Der "Pionier der Moderne" im neuen Licht: Gesamtschau und Weggefährten von Picasso
bis Pollock
Wien (leopold museum) - Alberto Giacometti, dem bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts widmet
das Leopold Museum von 17. Oktober 2014 bis 26. Jänner 2015 eine spektakuläre Retrospektive, die am 16.
Oktober von seinem "Künstlerkollegen" und Meister des erweiterten Skulpturbegriffes Erwin Wurm eröffnet
wird. Anhand von rund 150 Objekten stellt die Ausstellung "Alberto Giacometti Pionier der Moderne" in
umfassender Weise die einzelnen Schaffensphasen des Künstlers vor, von den Arbeiten der Frühzeit über
Werke der kubistischen und der surrealistischen Phase bis hin zu den unverwechselbaren Skulpturen des Spätwerks.
Ergänzt wird die Schau durch herausragende Werke von Giacomettis Weggefährten und Zeitgenossen von Picasso
bis Pollock. Die Schau vereint Arbeiten von insgesamt 35 Künstlern.
Bedeutendster Bildhauer des 20. Jahrhunderts
Der Schweizer Alberto Giacometti (geb. 1901 in Borgonovo bei Stampa, gest. 1966 in Chur) zählt zu den
wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts und gilt vielen als der bedeutendste Bildhauer seiner Zeit. Giacomettis
Werke erzielen heute Rekordpreise am internationalen Kunstmarkt. Seine Skulptur "L'homme qui marche I"
(Schreitender I) wurde 2010 bei Sotheby's für rund 104 Millionen Dollar (74 Millionen Euro) verkauft und hält
damit bis heute den weltweiten Rekord für Skulpturen. Jüngst wurde bekannt, dass Sotheby's für eine
bevorstehende Auktion Giacomettis "Chariot" anbietet. Der Schätzwert des "Wagens" beträgt
rund 100 Millionen Dollar (80 Millionen Euro), ein weiterer Rekord scheint in Reichweite. Von dieser Skulptur wurden
insgesamt sechs Stück produziert. Nummer 2 wird am 4. November in London versteigert, Nummer 3 ist ab sofort
im Leopold Museum zu Gast.
Einblick in alle Schaffensphasen
Die Giacometti-Ausstellung im Leopold Museum bietet einen umfassenden Blick auf das beeindruckende Oeuvre des
bedeutenden Schweizer Künstlers. In Wien waren Werke Alberto Giacomettis zuletzt in großer Bandbreite
in der von Toni Stooss kuratierten Retrospektive der Kunsthalle Wien im Jahr 1996 zu sehen. Rudolf Leopold (1925-2010)
war es, der 2010 mit der Ausstellung "Cézanne - Picasso - Giacometti Meisterwerke aus der Fondation
Beyeler" erstmals auch Werke Giacomettis ins Leopold Museum brachte, die er in Basel persönlich ausgesucht
hatte.
Die Sammlung Leopold und das Kunsthaus Zürich
Die Ausstellung ist Teil einer umfassenden Kooperation des Leopold Museum mit dem Kunsthaus Zürich. 1989 zeigte
das Kunsthaus als erste öffentliche Institution eine umfassende Ausstellung von Werken aus der Privatsammlung
von Rudolf und Elisabeth Leopold unter dem Titel "Egon Schiele und seine Zeit: Österreichische Malerei
und Zeichnung von 1900 bis 1930 aus der Sammlung Leopold". Erst im Anschluss war die Ausstellung im Wiener
"Kunstforum" der Länderbank (heute Bank Austria Kunstforum Wien) zu sehen. Diese Schiele-Ausstellung
war der erste große öffentliche Auftritt der Sammlung Leopold und damit eine der Initialzündungen
für die spätere Gründung der Leopold Museum-Privatstiftung und die Errichtung des Leopold Museum
durch die Republik Österreich. Äußerer Anlass für die Giacometti-Ausstellung des Leopold Museum
ist das 20-jährige Jubiläum der 1994 gegründeten Leopold Museum-Privatstiftung.
Egon Schiele / Jenny Saville - Ausstellung in Zürich
Zum 25-jährigen Jubiläum der "Schiele-Kooperation" mit der Sammlung Leopold plante das
Kunsthaus Zürich nun eine neue Schiele-Ausstellung. Kunsthaus-Direktor Christoph Becker betraute Oliver Wick
mit dieser Aufgabe. Dieser hatte die außergewöhnliche Idee, in Zürich eine Begegnung der Werke
Egon Schieles mit den großformatigen Arbeiten der britischen Gegenwartskünstlerin Jenny Saville herbeizuführen.
Diese interessante Schau, bei der das Leopold Museum und die Privatsammlung Leopold als wichtige Leihgeber von
Schiele Werken - unter anderem der berühmten "Wally", die "Eremiten" oder "Kardinal
und Nonne" - auftreten, ist unter dem Titel "Egon Schiele / Jenny Saville" seit 10. Oktober und
noch bis 25. Jänner 2015 in Zürich zu sehen
Giacometti: Die Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich
Im Gegenzug stellen das Kunsthaus Zürich und die ebenfalls in Zürich ansässige Alberto Giacometti-Stiftung
dem Leopold Museum zahlreiche bedeutende Werke für die aktuelle Giacometti-Ausstellung "ALBERTO GIACOMETTI.
Pionier der Moderne" in Wien zur Verfügung, ergänzt durch Leihgaben weiterer wichtiger Leihgeber
wie der Fondation Alberto und Annette Giacometti in Paris, dem Wiener mumok, der Sammlung Klewan, der Fondation
Balthus u.v.m. Insgesamt sind 36 Skulpturen und 50 Zeichnungen, Gemälde und Lithografien Giacomettis in Wien
zu sehen. Die von Kunsthaus Zürich Direktor Christoph Becker initiierte Schau wird von Franz Smola, Museologischer
Direktor (interim.) des Leopold Museum und Philippe Büttner, Sammlungskonservator am Kunsthaus Zürich,
kuratiert, beide ausgewiesene Kenner der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts
Giacometti, Bacon, Schiele
Im Jahr 1964 besuchte Alberto Giacometti gemeinsam mit Francis Bacon die von Wolfgang Georg Fischer in der
Marlborough Fine Art Galerie organisierte Schiele-Ausstellung, die erste in Großbritannien. Fischer erinnert
sich, dass damals der Name Schieles in Großbritannien so unbekannt war, wie jener von William Blake in Österreich.
In seinem Tagebuch notierte Fischer: "An den Schiele-Ölbildern (Die Eremiten, Selbstseher, Selbstporträt
von 1910, Liegender Akt von 1917) [die heute Teil der Sammlung des Leopold Museum sind] gehen Francis und Giacometti
flüchtig vorbei. Vor dem Späten Herbstbaum, 1912, stockt Giacometti und sagt: "Das ist außerordentlich!""
Der komplette Eintrag zu dieser Episode aus Fischers bisher nicht publiziertem Tagebuch wird im aktuellen Ausstellungskatalog
erstmals veröffentlicht.
Schweizer Wurzeln
Der aus der italienischsprachigen Schweiz stammende Alberto Giacometti war schon früh von künstlerischem
Wirken umgeben. Sein Vater Giovanni Giacometti (1868-1933) war ein von postimpressionistischen Einflüssen
geprägter Künstler. Der Maler Cuno Amiet (1868-1961) war ein enger Freund seines Vaters Giovanni und
Albertos Taufpate. Sowohl von Giovanni Giacometti als auch von Amiet sind Werke in der Ausstellung zu sehen.
Studien in Genf und Paris
1919 begann Alberto Giacometti mit dem Studium in Genf. 1922 ging er nach Paris, wo er fortan lebte. Er studierte
bei Antoine Bourdelle (1861-1929) an der vor allem von nicht französischen Staatsbürgern gerne frequentierten
Académie de la Grande Chaumière. Bourdelle verschaffte seinem Studenten 1925 die Gelegenheit, im
berühmten Salon des Tuileries auszustellen, wo Giacometti zum ersten Mal seine kubistischen Figuren präsentierte.
Im Banne des Kubismus
Ab Mitte der 1920er-Jahre stand Giacometti ganz im Banne des Kubismus. In seinen Skulpturen setzte sich Giacometti
mit dem Volumen auseinander und zerlegte die Masse, um sie in festen und mechanischen Strukturen wieder zusammenzusetzen.
Einflüsse: Antike und Außereuropäische Kunst
Giacometti zeigte sich wie viele Künstler jener Zeit fasziniert von der Kraft und Abstraktionsgabe der Kunst
antiker und außereuropäischer Kulturen. Eine wichtige Anregung lieferten Werke der Kultur der Kykladen
und der Kunst Afrikas. Besonders beeindruckt war Giacometti von den Skulpturen Constantin Brâncusis (1876-1957),
von dem ein Werk in der Ausstellung zu sehen ist.+
Die Surrealisten
Ende 1929 kam für Giacometti der große Erfolg. Seine Arbeiten wurden in der Galerie Jeanne Bucher
ausgestellt und wichtige Sammler erwarben sie umgehend. Man erkannte ihn als vielversprechenden Künstler.
Giacometti hält fest: "Einige sagten, sie hätten seit Jahren nichts gesehen, was sie so beeindruckt
hätte wie meine Skulpturen, und nun habe ich in Paris einen Stellenwert." 1932 schloss sich Alberto Giacometti
formell dem Kreis der Surrealisten um den Dichter, Schriftsteller und Theoretiker André Breton (1896-1966)
an. Er traf u.a. auf Joan Miró (1893-1983), Max Ernst (1891-1976), Pablo Picasso (1881-1973), René
Magritte (1898-1967). Die Ausstellung stellt Giacomettis surrealistische Werke den zeitgleich entstandenen Werken
von Künstlerfreunden und Bekannten gegenüber. Freundschaften pflegte Giacometti u. a. auch mit André
Derain und Balthus (1908-2001). Von all diesen Künstlern sind herausragende Werke in der Ausstellung zu sehen.
Bruch mit der Breton-Gruppe: drastische Stiländerung
Die Tatsache, dass Giacometti wieder verstärkt realistisch zu arbeiten begann und dadurch von der strengen
Dogmatik Bretons abwich, führte 1935 zu einem Ausschluss aus der Breton-Gruppe. Eine zwölf Jahre andauernde
künstlerische Krise war die Folge. In den späten 1930er Jahren und in den Kriegsjahren, die er zum großen
Teil in die Schweiz verbrachte, radikalisierten sich die Proportionen seiner Arbeiten, er schuf vorerst Skulpturen
in Miniaturformat.
Giacomettis späte Skulpturen
Ab den 1940er-Jahren entstand Giacomettis unverwechselbare Ausdrucksweise seiner reifen Phase, die zwar das
gegenständliche Abbild der menschlichen Figur wieder ins Zentrum rückte, aber ganz eigene Wege beschritt,
etwa durch auffällige Veränderungen der Größenverhältnisse und Proportionen. In dieser
Phase entwickelte Giacometti den unverwechselbaren Stil seiner späten Jahre. Die Figuren seiner reifen und
späten Phase sind durch extrem in die Länge gezogene Proportionen und durch eine unruhige Oberfläche
gekennzeichnet. Sie entziehen sich einer konkret-sinnlichen Erfassung und wirken auf den Betrachter wie entmaterialisierte,
metaphysische Erscheinungen, die einen besonderen Bezug zum Raum aufweisen.
Inszenierung der Skulptur im Raum
In den beiden großen Sälen am Beginn der Ausstellung wird der gleichsam sakrale Charakter dieser
späten Figuren Giacomettis besonders hervorgehoben. Die hieratischen Statuen scheinen aus ihrem Inneren heraus
zu leuchten. Die ewige Größe des von Menschenhand geformten Abbildes wird spürbar. Der starken
räumlichen Wirkung der Skulpturen Giacomettis wird in der Ausstellung durch eine spezielle Aufstellung und
Inszenierung besonders Rechnung getragen. Die Farbgebung, der rohe Boden und die großen Lampen evozieren
die Atmosphäre einer Gusshalle. Die weißen Umrisse der Figuren verweisen auf den Arbeitsprozess, die
Gipse und Gussformen, die zum finalen Ergebnis der Bronzeskulpturen führen.+
Fotografien: Annäherung an die Person Alberto Giacometti
Eine Auswahl herausragender Fotografien ermöglicht in der Ausstellung auch eine visuelle Annäherung
an die Person Alberto Giacomettis. Die Aufnahmen stammen durchwegs von bedeutenden Fotografen, u.a. von René
Burri (geb. 1933), Henri Cartier Bresson (1908-2004), Robert Doisneau (1912-1994), oder Man Ray (1890-1976). Auch
herausragende österreichische Fotografen haben Alberto Giacometti fotografiert, nämlich Franz Hubmann
(1914-2007) und Inge Morath (1923-2002).
Internationaler Durchbruch, internationaler Kontext
Mit zunehmender internationaler Bekanntheit durch Ausstellungsprojekte in London und in den USA wurden Giacomettis
Arbeiten auch mit bedeutenden Vertretern der Moderne nach 1945 in Zusammenhang gebracht. Besonders hervorzuheben
sind hier der dem Gegenständlichen verpflichtete Francis Bacon (1909-1992), die abstrakten Expressionisten
Jackson Pollock (1912-1956) und Mark Tobey (1890-1976) oder Cy Twombly (1928-2011).
Der Katalog zur Ausstellung
Zur Ausstellung ist ein reich illustrierter zweisprachiger Katalog (Deutsch/Englisch) erschienen. ALBERTO GIACOMETTI.
Pionier der Moderne. Herausgegeben von Franz Smola und Philippe Büttner, mit Beiträgen von Casimiro Di
Crescenzo, Wolfgang Georg Fischer, Franz Smola und Chiara Galbusera, 232 Seiten, 153 Abbildungen, ISBN 978-3-85033-847-9,
Preis Euro 29,90, erhältlich im Leopold Museum Shop.
Rahmenprogramm zur Ausstellung
Die Ausstellung wird von einem reichhaltigen Rahmenprogramm mit Workshops, LEO Kinderatelier, Schulvermittlungsprogrammen
und buchbaren Abendführungen begleitet. Jeden Sonn- und Feiertag werden um 15 Uhr kostenlose Überblicksführungen
geboten (freie Teilnahme mit gültigem Museumsticket).
Kooperationspartner:
Alberto Giacometti-Stiftung
http://www.giacometti-stiftung.ch
Kunsthaus Zürich
http://www.kunsthaus.ch
|