Wien (vetmeduni) - Leben heißt Veränderung. Das gilt auch für Gene. Damit sich Lebewesen veränderten
Umweltbedingungen anpassen können, braucht es ein flexibles Genom. Christian Schlötterer und sein Team
vom Institut für Populationsgenetik an der Vetmeduni Vienna erforschen die Genome gesamter Populationen. Die
Forschenden wollen wissen, warum sich Individuen voneinander unterscheiden und was diese Unterschiede bewirken.
Sie zeigen in zwei Übersichtsartikeln in Nature Reviews Genetics und im Journal Heredity, dass die DNA-Sequenzierung
gesamter Gruppen effizient und kostengünstig diese Fragen beantworten kann.
Seit der vollständigen Sequenzierung des humanen Genoms im Jahr 2001 ist die DNA-Analyse immer effizienter
und kostengünstiger geworden. Dennoch muss man mit etwa 1.000 US Dollar pro sequenziertem Genom rechnen. Möchte
man nun etwa den genetischen Code hunderter Individuen sequenzieren, ist das sehr teuer und aufwändig. Forschende
stoßen dabei rasch an die Grenzen der Machbarkeit.
Gruppe statt Individuen sequenzieren
Die Lösung dieses Problems nennt sich Pool-Sequenzierung (Pool-Seq). Schlötterer und sein Team sequenzieren
ganze Gruppen von Individuen, nämlich Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), in einer einzigen Reaktion
anstelle von vielen einzelnen Sequenzierungen. So können die genetischen Informationen zwar nicht auf das
einzelne Individuum zurückgeführt werden, der gesamte Datensatz liefert dennoch alle wichtigen genetischen
Informationen der gesamten Population.
Schlötterer und seine KollegInnen zeigen in ihrer aktuellen Veröffentlichung, welche Fragestellungen
mit Pool-Seq beantwortet werden können.
Auf der Suche nach den Bausteinen der Evolution
Um zu verstehen, wie Organismen auf veränderte Umweltbedingungen reagieren, wird die gesamte DNA einer
Population mittels Pool-Seq vor und nach den veränderten Bedingungen analysiert. Die Forschenden nutzen dazu
die Methode des Evolve & Resequence (E&R). Für diesen Ansatz erhielt Schlötterer 2012 einen ERC-Advanced
Grant. Dabei handelt es sich um eine Analysetechnik bei der zuallererst die DNA einer Gruppe sequenziert wird,
anschließend wird die Gruppe einem Reiz ausgesetzt, das kann etwa starke Hitze, Kälte oder UV-Strahlung
sein, danach wird wieder sequenziert. Der Vergleich der beiden DNA-Datensätze zeigt, an welchen Genen sich
die Gruppe durch die Reizeinwirkung verändert hat. Diese Gene haben dann höchstwahrscheinlich mit der
Reizeinwirkung zu tun. So können beispielsweise die beteiligten Gene für eine verstärkte Pigmentierung
nach UV-Bestrahlung herausgefiltert werden.
„Nach diesem Prinzip betreiben wir Evolution in Höchstgeschwindigkeit und wollen so beispielsweise herausfinden,
welche Gene das Altern bestimmen, welche Gene vor Krankheiten schützen oder welche Gene die Auswirkung der
Klimaerwärmung lindern“, erklärt Schlötterer.
Der Genetik des Alterns und der Krankheitsresistenzen auf der Spur
Der Evolve&Resequence-Ansatz erlaubt es auch, jene Gene herauszufiltern, die beispielsweise das Altern regulieren.
Dabei werden über Generationen hinweg jene Fliegen einer Population ausgewählt, die besonders alt werden.
Nach einigen Generationen vergleichen die Forschenden die Genome der „Methusalem“-Fliegen mit normal alternden
Fliegen und können so die am Altern beteiligten Gene herausfiltern. Genauso verhält es sich mit der Suche
nach Genen, die gegen bestimmte Krankheiten resistent machen.
Der Bioinformatiker und Mitautor der Studie, Robert Kofler, erklärt es so: „Wir beschäftigen uns mit
genetischen Veränderungsprozessen und sind auf der Suche nach Variation in den Genomen. Diese Variationen
geben Aufschluss darüber, wie Evolution funktioniert“.
PopulationsgenetikerInnen werden in Wien ausgebildet
Schlötterer leitet das Doktoratskolleg „Vienna Graduate School of Population Genetics“ an der Vetmeduni
Vienna. Die Lehrplattform schließt die Lücke zwischen theoretischer und experimenteller Populationsgenetik.
Zurzeit forschen 22 PhD-StudentInnen in Wien im Bereich der theoretischen und experimentellen Populationsgenetik
sowie Bioinformatik und Statistik. http://www.popgen-vienna.at/
Über die Veterinärmedizinische Universität Wien
Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) ist eine der führenden veterinärmedizinischen,
akademischen Bildungs- und Forschungsstätten Europas. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Forschungsbereichen Tiergesundheit,
Lebensmittelsicherheit, Tierhaltung und Tierschutz sowie den biomedizinischen Grundlagen. Die Vetmeduni Vienna
beschäftigt 1.300 MitarbeiterInnen und bildet zurzeit 2.300 Studierende aus. Der Campus in Wien Floridsdorf
verfügt über fünf Universitätskliniken und zahlreiche Forschungseinrichtungen. Zwei Forschungsinstitute
am Wiener Wilhelminenberg sowie ein Lehr- und Forschungsgut in Niederösterreich gehören ebenfalls zur
Vetmeduni Vienna. Im Jahr 2015 feiert die Vetmeduni Vienna ihr 250-jähriges Bestehen.
Publikationen:
Der Artikel „Sequencing pools of individuals – mining genome-wide polymorphism
data without big funding” von Christian Schlötterer, Taymond Tobler, Robert Kofler und Viola Nolte wurde im
Journal Nature Reviews Genetics veröffnetlicht. DOI:10.1038/nrg3803
http://www.nature.com/nrg/journal/vaop/ncurrent/full/nrg3803.html
Der Artikel “Combining experimental evolution with next-generation sequencing: a powerful tool to study adaptation
from standing genetic variation” von Christian Schlötterer, Robert Kofler, E. Versace, Raymond Tobler und
S. U. Franssen wurde im Journal Heredity veröffentlicht. DOI:HDY.2014.86
http://www.nature.com/hdy/journal/vaop/ncurrent/full/hdy201486a.html
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